28.04.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 232 / Zusatzpunkt 7

Herlind GundelachCDU/CSU - Ausfuhr von Brennelementen

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst mit einer Vorbemerkung beginnen:

Sicherheit in der Kernenergie stand und steht für die Union immer an erster Stelle, und zwar von Anbeginn an. Als 1999 – das ist zugegebenermaßen schon ein bisschen her – die CDU in Hessen die Regierung übernommen hat, war eine der ersten Entscheidungen, für Biblis A und Biblis B ein umfangreiches Nachrüstprogramm auf den Weg zu bringen. Das war erforderlich, weil unter der rot-grünen Landesregierung mit einem grünen Umweltminister jahrelang keinerlei Nachrüstung und damit keinerlei Gewinn an Sicherheit erfolgt sind;

(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: So ist es!)

einer der verantwortlichen Herren ist übrigens noch heute aktiv. Ich denke, das geschah damals wohl in der Hoffnung, so schneller zu einer Abschaltung der Gesamtanlage zu kommen, was das eigentliche politische Ziel war. Damit wurde aus meiner Sicht aber billigend in Kauf genommen, dass es zu Zwischenfällen kommen könnte und dass sich dadurch das Risiko für eine Gefährdung der Bevölkerung erhöht.

(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Was das mit Sicherheit und Verantwortung zu tun hat, ist mir bis heute ein Rätsel.

Das von der CDU-geführten Landesregierung veranlasste Nachrüstprogramm für die Reaktorblöcke Biblis A und Biblis B ging damals in die Hunderte von Millionen, zunächst D-Mark, anschließend Euro. RWE war, wie Sie sich vorstellen können, alles andere als amused über diese Herausforderung; denn nie hat RWE günstiger Strom aus Kernenergie produzieren können als damals unter einem grünen Umweltminister in Hessen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

So weit die Vorbemerkung und zum Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

Nun aber zu den uns vorliegenden Anträgen. Hier drängt sich durchaus der Eindruck auf – da nehme ich das auf, was die Kollegin Hendricks schon gesagt hat –, dass die vorliegenden Anträge und die heutige Debatte etwas mit den anstehenden Wahlen in Nordrhein-Westfalen zu tun haben könnten, wo vor allen Dingen die Grünen durch die jüngsten Umfragen höchst verunsichert sind und dringend Profilierungspotenzial brauchen. Was liegt da näher, als auf das Thema zurückzugreifen, das sich schon immer als das geeignetste erwiesen hat, nämlich die Atomenergie? Das ist aber aus meiner Sicht so nicht in Ordnung, genauso wenig wie es in Ordnung ist, mit den Ängsten der Menschen zu spielen. Dafür sind diese Anträge ein Musterbeispiel.

(Beifall bei der CDU/CSU – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hier spielt niemand!)

– Doch, das tun Sie.

Wir alle – ich meine damit wirklich uns alle – haben es geschafft, dass es heute in Deutschland einen Grundkonsens zum Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie in unserer Gesellschaft gibt. Die Bürgerinnen und Bürger und alle Fraktionen im Bundestag stehen für einen grundlegenden Umbau unserer Energieversorgung. Das heißt, sie stehen zur Energiewende. Ihre Anträge, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, stellen diesen Konsens wieder infrage. Sie sind polemisch und helfen in keiner Weise, die Energiewende in einem verantwortungsvollen Miteinander nach vorne zu bringen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben Sie ja eh an die Wand gefahren!)

Ich persönlich muss sagen, dass ich gedacht habe, dass wir in der Zwischenzeit ein bisschen weiter wären, als dass wir uns auf diesem Niveau auseinandersetzen müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oppositionsarbeit ist das, gnädige Frau!)

Das verwundert mich umso mehr, als wir gerade in dieser Legislaturperiode mit großen Mehrheiten hier im Bundestag die neue Endlagersuche gesetzlich verankert und auch die Finanzierungsfrage der nuklearen Altlasten geklärt haben.

Lassen Sie mich jetzt noch konkret auf einige Punkte aus den vorliegenden Anträgen eingehen.

Die Grünen sprechen in ihren Anträgen von den sogenannten Risse-Meilern Tihange und Doel in Belgien und fordern uns auf, mit der belgischen Regierung Verhandlungen darüber aufzunehmen, diese Anlagen stillzulegen. Auch die Linken fordern die sofortige Abschaltung. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, wenn jemand ohne tiefgreifende fachliche Kenntnisse ihre Anträge liest, geht er oder sie wahrscheinlich davon aus, dass in Belgien Kraftwerke stehen, die Risse haben, durch die radioaktive Strahlung entweichen könnte.

(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich haben die Risse!)

Genau das meinte ich mit meiner Bemerkung, dass Sie nicht mit den Ängsten von Menschen spielen sollten.

(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Gundelach, diese Rede halten Sie mal bitte in Aachen! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und zwar bei der CDU in Aachen!)

– Das würde ich auch machen. Davon können Sie ausgehen.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen Sie mal!)

Es ist richtig, dass in den Reaktordruckbehältern der Kraftwerke Doel und Tihange Ultraschallanzeigen gefunden wurden, die auf sogenannte Wasserstoffflocken bzw. Seigerungen im Metall hinweisen, die für Risse stehen könnten. Ich betone aber ausdrücklich: könnten. Inwieweit dies unter Betriebsbelastungen einen Integritätsverlust der drucktragenden Wand des Reaktorbehälters verursachen könnte, muss noch abschließend geklärt werden. Die belgischen Behörden und unser Umweltministerium haben sich dieser Problematik angenommen, und das BMUB hat eine Stilllegung bis zur Klärung gefordert.

Die Reaktor-Sicherheitskommission beim Bundesamt für Strahlenschutz hat in ihrer vorläufigen Bewertung vom April 2016 festgehalten, dass auf Grundlage der umfangreichen Untersuchungen der Belgier sowie der vorliegenden Erkenntnisse aus Forschungsvorhaben im Rahmen der Reaktorsicherheitsforschung in Deutschland davon ausgegangen werden kann, dass ein Integritätsverlust – das heißt, eine Möglichkeit des Austritts von radioaktiver Strahlung – nicht zu erwarten ist. Selbstverständlich müssen noch weitere Untersuchungen vorgenommen werden, und diese finden auch statt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist schon erwähnt worden: Der Energiemix eines Landes liegt in der Entscheidung des jeweiligen Landes; darauf hat auch die EU keinen Einfluss. In den meisten Ländern der Welt genießt die Kernenergie einen guten Ruf. Frankreich und Großbritannien sehen in ihr sogar eine saubere und CO 2 -freie Energiegewinnungsmöglichkeit. Ob wir das so sehen oder nicht, spielt für diese Länder bei ihren Entscheidungen schlichtweg keine Rolle. Und daran werden wir auch nichts ändern können.

(Zuruf von der CDU/CSU: Genauso ist es!)

Auch das Risiko der Kernenergienutzung wird von Land zu Land höchst unterschiedlich beurteilt. Das ist die Realität, die wir akzeptieren müssen.

Wir können niemandem vorschreiben, was er oder sie denkt. Wenn wir ganz objektiv an die Sache herangehen, ist und bleibt ein Ja oder Nein zur Kernkraft immer auch eine politisch-gesellschaftliche Frage, ob uns das nun gefällt oder nicht. Wir sollten außerdem vielleicht bedenken, dass auch wir nicht wollen, dass uns jemand von außen in unsere Energiewende hineinredet, und das, obwohl unsere Nachbarn durch sie durchaus in Mitleidenschaft gezogen werden, Stichworte „Netzüberlastung“ und „Netzsperren“.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber nicht vergleichbar!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin der Meinung, dass es unser gemeinsames oberstes Ziel sein sollte, auf europäischer Ebene flächendeckend möglichst hohe Sicherheitsstandards für den Betrieb von Kernkraftwerken zu implementieren. Wir haben hier in Deutschland noch immer die sichersten Kraftwerke und verfügen über ein hervorragendes Know-how in Sachen Sicherheitstechnik. Deswegen würde ich gerne auch noch auf die geforderte Schließung des Unternehmens Urenco eingehen.

Diese Forderung hat die jetzige rot-grüne nordrhein-westfälische Landesregierung unter Hannelore Kraft 2012 in ihren Koalitionsvertrag aufgenommen,

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat auch der Bundestag zweimal beschlossen!)

was zumindest insofern ein wenig verwundert, da die von Ministerpräsident Steinbrück geführte rot-grüne Landesregierung im Jahre 2005 noch eine Verdreifachung der Betriebskapazität genehmigt hat.

(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man kann ja klüger werden!)

Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat deshalb für die Begründung einer möglichen Schließung ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, das ja schon zitiert wurde. In diesem wurde 2013 ausdrücklich festgestellt, dass eine rechtssichere Beendigung des Betriebs nicht möglich ist. Die Landesregierung stellte in einer Landtagsdrucksache fest, dass ein Stresstest und seine Auswertung ergeben hätten, dass die Urananreicherungsanlage in Gronau auf allen überprüften Gebieten die strengsten Bewertungskriterien erfüllt.

Somit wären wir ganz klar wieder bei der Frage nach ideologischen Befindlichkeiten. Wie ich aber schon mehrfach klargemacht habe, steht für die Union stets Sicherheit an erster Stelle. Insofern sind wir uns unserer Verantwortung sehr wohl bewusst und haben auch in dieser Legislaturperiode bewiesen, dass wir im Nuklearbereich dazu stehen.

Ich verstehe auch nicht, warum Sie Firmen wie Urenco und ANF in Lingen schließen wollen. Damit fördern Sie letztendlich, dass erstens in den Reaktoren in Belgien, auf deren Abschaltung wir, wie gesagt, gar keinen Einfluss haben, Brennstoffe aus anderen Anlagen eingesetzt werden, die vermutlich nicht den bei uns geltenden und nachgewiesenen Sicherheitsstandard haben werden,

(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür sorgt doch Euratom, denke ich! Deswegen bestehen Sie doch immer auf Euratom, weil die das alles so toll regeln!)

und dass zweitens – auch das ist schon erwähnt worden – Deutschland notwendiges und wertvolles Fachwissen im Nuklearbereich verloren geht. Sind Sie sich eigentlich bewusst, welche Konsequenzen das zur Folge hätte? Ich will es Ihnen noch einmal verdeutlichen: Die einzige für uns zur Verfügung stehende Möglichkeit, auf die Sicherheit von grenznahen Kernkraftwerken einzuwirken, besteht in der Mitsprache deutscher Experten in den entsprechenden Beratungsgremien der Europäischen Union oder der IAEO. Dort können wir diese Themen und auch unser Fachwissen einbringen, diskutieren und Vorschläge machen. Nur so können wir tatsächlich etwas bewegen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Haben wir hier in Deutschland kein kerntechnisches Know-how mehr, werden wir auch nicht mehr in den entscheidenden Gremien wahrgenommen und ernst genommen. Das wäre aus meiner Sicht fatal und auch verantwortungslos.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb noch einmal als Fazit meiner Rede: Die Sicherheit unserer Bevölkerung muss an erster Stelle stehen. Wir sollten uns deshalb alle für möglichst hohe Sicherheitsstandards beim Betrieb von Kernkraftwerken in Europa einsetzen.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb müssen die geschlossen werden! Die müssen geschlossen werden, wenn es Ihnen um die Sicherheit geht!)

Leider sind da Ihre Vorschläge, liebe Opposition, kontraproduktiv und helfen weder uns noch den Belgiern, solange diese ihre Anlagen betreiben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege Andrej Hunko.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7103218
Wahlperiode 18
Sitzung 232
Tagesordnungspunkt Ausfuhr von Brennelementen
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