Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer dieser wichtigen Debatte! Homosexualität ist weder unnormal noch sittenwidrig noch rechtswidrig. Das ist heute ein klarer Satz, eine klare Aussage und glücklicherweise heute hier in Berlin eine Selbstverständlichkeit.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU])
Es hat aber so unglaublich lange gedauert, bis wir das sagen konnten, und, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage hier auch ganz deutlich: Wir sind noch nicht am Ziel bei dem Abbau von Diskriminierung von Schwulen und Lesben und bei vollständiger Gleichberechtigung und Gleichstellung.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Es ist nahezu unvorstellbar – ich kann mich noch gut daran erinnern, wie das in den politischen Debatten war –, dass Homosexualität bis 1994 – das muss man sich einmal vorstellen! – noch unter Strafe stand. Und es hat noch einmal 23 Jahre bis zum heutigen Tag gedauert, an dem wir nun über Rehabilitierung und Entschädigung sprechen können.
Die Zahlen unterscheiden sich. Ich will sie aber noch einmal nennen, weil sie so eindrücklich sind. Und hinter jeder einzelnen Zahl steckt ja auch ein Schicksal. Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld sagt, dass zwischen 1949 und 1994 in der BRD rund 64 000 Homosexuelle verurteilt wurden, 50 000 davon allein zwischen 1949 und 1969, sowie 4 300 in der DDR. Das sind nach dieser Statistik 68 000 Verurteilungen. Die Strafverfolgungsstatistik weist 54 000 Personen aus. Wir müssen uns darüber jetzt nicht streiten; jede einzelne Person ist eine Person zu viel. Für jede dieser Personen ist das jedoch mit weitreichenden Einschränkungen in allen Lebensbereichen verbunden gewesen.
Es ist heute schon gesagt worden, dass damit eine gesellschaftliche Stigmatisierung einherging. Familien haben sich zum Teil abgewandt. Wohnungen gingen verloren. Es wurde kein Arbeitsplatz gefunden, oder er ging verloren. Das ist eigentlich ein Unrecht, liebe Kolleginnen und Kollegen, das uns nicht nur sprachlos macht und uns entsetzt, sondern auch eines, das wir eigentlich kaum wiedergutmachen können. Deswegen haben wir uns lange Gedanken darüber gemacht, wie wir einen Beitrag leisten können. Wir haben lange darum gerungen, natürlich unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten.
Wir haben uns es nicht einfach gemacht. Aber wir sind zu dem Ergebnis gekommen: Wir müssen diese Urteile aufheben, wir müssen die betroffenen Personen rehabilitieren und entschädigen. Das folgte der Einsicht, dass nicht die homosexuellen Handlungen rechtswidrig waren, sondern die Urteile.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sie verstoßen gegen unser Grundgesetz, sie verstoßen gegen die Menschenrechte. Deswegen sind sie verfassungswidrig und müssen aufgehoben werden. Und ja, es ist allerhöchste Zeit; das ist auch schon gesagt worden. Es ist eigentlich viel zu spät. Ich sagte schon, dass 23 Jahre vergangen sind. Viele Betroffene sind schon verstorben oder hochbetagt.
Ich finde es vor diesem Hintergrund sehr richtig, dass wir uns darauf verständigt haben – das besagt auch der Gesetzentwurf –, dass ein pauschalisierter Schadensersatzanspruch vorgesehen wird und es eben kein aufwendiges und langwieriges Verfahren geben wird. Die Anregungen, die jetzt noch von Volker Beck und Harald Petzold gekommen sind, werden wir in den Beratungen im Ausschuss und hier im Plenum sorgfältig prüfen. Wir werden schauen, ob wir den Gesetzentwurf an der einen oder anderen Stelle noch verbessern können.
Ich will aber auch etwas dazu sagen, dass wir noch nicht am Ziel sind, und in diesem Zusammenhang drei Punkte erwähnen.
Selbst wenn wir jetzt die Rehabilitierung auf den Weg bringen, haben wir es in unserer Gesellschaft noch immer nicht ganz geschafft; denn Homosexualität begegnet noch immer Vorurteilen. Homosexuelle werden stigmatisiert. Sie werden beschimpft oder sogar körperlich attackiert. Sogar hier in dieser weltoffenen Stadt Berlin gibt es leider entsprechende Übergriffe. Wir müssen also in unserer Gesellschaft – in den Familien, in den Schulen und an allen anderen Stellen – noch viel mehr tun. Und da sind wir alle gefragt, dafür zu sorgen, dass Homosexuelle nicht diskriminiert und stigmatisiert werden.
Auch wir als Gesetzgeber, liebe Kolleginnen und Kollegen – und da gucke ich vor allem in Richtung der CDU/CSU-Fraktion –, haben noch nicht unsere Hausaufgaben gemacht. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir die Diskriminierung vollständig abbauen wollen. Sie wissen, was jetzt kommt, aber ich sage es heute in dieser Debatte ausdrücklich noch einmal so deutlich:
(Johannes Kahrs [SPD]: Und das ist auch gut so!)
Wir sind es bisher schuldig geblieben, auch die Ehe für alle zu öffnen.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das könnten wir – schnips! – sofort machen, wenn es dafür eine Bereitschaft gäbe. Ich finde, es wäre ein wirklich wichtiges Signal, das jetzt auch hier im Deutschen Bundestag auf den Weg zu bringen.
Ich will noch etwas anderes anführen, was meiner Meinung nach in der nächsten Legislaturperiode auf der Agenda stehen sollte. Wir sollten auch unser Grundgesetz im Artikel 3 ergänzen,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
nämlich die Diskriminierung wegen sexueller Orientierung ganz ausdrücklich untersagen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])
Wir schaffen also heute viel, indem wir die Rehabilitierung auf den Weg bringen. Wir gehen einen großen Schritt. Ich hoffe auf gute Beratungen im Ausschuss und hier im Plenum. Ich hoffe, dass wir uns hier im Parlament einig sind, dass wir erst am Ziel sind, wenn die rechtliche und gesellschaftliche Diskriminierung vollständig beseitigt ist und alle gleichgestellt sind.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU])
Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion hat die Kollegin Dr. Sabine Sütterlin-Waack das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7103251 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 232 |
Tagesordnungspunkt | Strafrechtliche Rehabilitierung - Homosexualität |