Sabine Sütterlin-WaackCDU/CSU - Strafrechtliche Rehabilitierung - Homosexualität
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie wissen ja, viele unserer Reden beginnen hier mit dem Standardsatz: Ich freue mich, dass wir heute das Gesetz XY nach langer Vorbereitung in erster Lesung beraten. – Heute kann ich voller Überzeugung sagen, dass es mir eine große Freude, ja eine Herzensangelegenheit ist, dass wir das Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen im Bundestag beraten können.
(Johannes Kahrs [SPD]: Ihnen glauben wir das auch! – Beifall der Abg. Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU])
– Danke.
Es gibt schon lange von Betroffenenverbänden, von Mitgliedern verschiedener deutscher Parlamente Forderungen nach Rehabilitierung. Viele andere Kollegen vor mir haben in diesem Hohen Haus bei anderen Gelegenheiten oft auf die Notwendigkeit dieses nun vorliegenden Gesetzentwurfs hingewiesen. Wir haben es schon gehört: Uns liegen zwei Gesetzentwürfe vor, die in die gleiche Richtung zielen und die sich lediglich in der Ausgestaltung unterscheiden. Ich will später einmal kurz darauf eingehen.
Der irische Dramatiker und Satiriker George Bernard Shaw sagte einmal:
Der einzige Mensch, der sich vernünftig benimmt, ist mein Schneider. Er nimmt jedes Mal neu Maß, wenn er mich trifft, während alle anderen immer die alten Maßstäbe anlegen in der Meinung, sie passten auch heute noch.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Mit dem nun vorliegenden Gesetzentwurf verhält es sich ähnlich: Was die ehemals rechtliche Bewertung der Kriminalisierung und Stigmatisierung homosexueller Handlungen betrifft, müssen wir heute neue Maßstäbe anlegen. Es ist ein einmaliger und einzigartiger Schritt in der rechtspolitischen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, der dennoch keinen Präzedenzfall schafft. Das möchte ich genauso klarstellen und hervorheben wie die außergewöhnlichen Gründe, die uns zu diesem besonderen Vorhaben veranlassen.
Wir haben es heute schon öfter gehört: Wir haben es hier mit nach 1945 ergangenen Verurteilungen von homosexuellen Männern wegen Straftaten nach den §§ 175 und 175a Strafgesetzbuch alte Fassung in der Bundesrepublik und nach dem § 151 des Strafgesetzbuchs der DDR zu tun. Bis ins Jahr 1969 waren demnach im alten Bundesgebiet einfache homosexuelle Handlungen kriminalisiert und strafbewehrt, bis 1994 galten diskriminierende Jugendschutzbestimmungen. Wenn ich das heute vor Schülergruppen erzähle, schaue ich in völlig ungläubige und erschrockene Gesichter. Diese Reaktionen zeigen mir, wie sehr wir uns als Gesellschaft von dieser Rechtsauffassung entfernt haben.
Zumindest für die junge Bundesrepublik kann man sagen, dass die durch den nationalsozialistischen Gesetzgeber drastisch verschärften Strafrechtsparagrafen unverändert in das Strafgesetzbuch Eingang fanden. Das Bundesjustizministerium hat sich im Rahmen des Projekts „Die Akte Rosenburg“ mit seiner Vergangenheit auseinandergesetzt. Zu dieser gehört auch, dass es in den 50er- und 60er-Jahren keinen nennenswerten personellen Austausch in den Fachabteilungen, insbesondere in der Strafrechtsabteilung, gab. Dies ist sicherlich nur ein Teil der Erklärung. Zur deutschen Rechtsgeschichte gehört aber auch, dass das Bundesverfassungsgericht in einem aufsehenerregenden Urteil vom 10. Mai 1957 die Vereinbarkeit des § 175 StGB mit dem jungen Grundgesetz bestätigte. Wenn ich mir heute die damalige Begründung durchlese, erscheint sie mir teilweise sehr befremdlich.
(Johannes Kahrs [SPD]: Ja!)
Trotz meines heutigen Gefühls und meiner rechtlichen Bewertung kann ich nicht sagen, dass das Bundesverfassungsgericht damals ein Unrechtsurteil gesprochen hat. Hier unterscheiden wir uns im Umgang mit der Thematik von dem, was im Gesetzentwurf der Grünen gefordert wird. Ich will deutlich darauf hinweisen: Die damaligen Gerichtsentscheidungen waren ebenso wenig falsch wie das Handeln unserer parlamentarischen Vorgänger. Besser, als es Ovid ursprünglich einmal ausdrückte, kann man es kaum sagen: Die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns in ihnen. – Für uns war das unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten einer der kritischen Punkte, auf den wir bei der Entstehung des vorliegenden Gesetzes besonderen Wert legten.
Ich habe aber auch schon darauf hingewiesen: Wir haben es mit einer Ausnahmesituation zu tun, in der sich die Verurteilten befanden und immer noch befinden. Das strafrechtliche Verbot des einvernehmlichen homosexuellen Verhaltens ist aus heutiger Sicht im besonderen Maße grund- und menschenrechtswidrig. Die Betroffenen wurden allein aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verurteilt. Damals waren viele noch der Ansicht, dies sei ein selbstgewähltes Schicksal – welch ein Fehlschluss.
Die besondere Ausgangssituation ergibt sich überdies aus der Lebenssituation der Betroffenen, ihrer drohenden gesellschaftlichen Stigmatisierung, der tatsächlichen und sehr intensiven Verfolgung durch die Behörden. Hiervon zeugt die Statistik der Verurteilten, die bis 1969 einen recht konstanten und hohen Verlauf zeigt. Für die damals verurteilten Männer bedeutete der Richterspruch oftmals das Ende ihres gesellschaftlichen Lebens. Eine Verurteilung war nicht nur ein Strafmakel, sondern markierte in den meisten Fällen das Ende der beruflichen Laufbahn und soziale Ächtung. Wessen homosexuelle Identität in der Nachkriegszeit durch Prozess oder Verurteilung offenbart wurde, war mehrfach bestraft. Zum damaligen Gesamtbild zählten deshalb auch die Scheinehen, Erpressungen, die ständige Angst des Entdecktwerdens und der Enttarnung.
Nichtsdestotrotz haben wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verfassungsrechtliches Neuland betreten. Die Diskussion währt schon lange; das stimmt. Die Fragen nach Rechtssicherheit und Gewaltenteilung haben uns auch in der CDU/CSU-Fraktion im Vorfeld der Entstehung des Gesetzentwurfs beschäftigt
(Johannes Kahrs [SPD]: Jahrzehntelang!)
und dazu veranlasst, die Problematik mit Verfassungsrechtlern intensiv zu diskutieren, mit dem Ergebnis, dass aus unserer Sicht die verfassungsrechtlichen Prinzipien Gewaltenteilung und Rechtssicherheit keine Hindernisse für das Rehabilitierungsgesetz darstellen.
(Johannes Kahrs [SPD]: Was lange währt, wird endlich gut!)
– Sie sagen es, Herr Kollege Kahrs.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Es ist die spezifische Aufgabe des Gesetzgebers, abstrakt generelle Entscheidungen zu treffen. Der Vertrauensschutz, meine Damen und Herren, einer der Pfeiler des Rechtsstaats, ist nicht verletzt, wenn die angesprochenen Urteile aufgehoben werden; denn es handelt sich ja um begünstigende staatliche Maßnahmen. Zu den schon vor längerer Zeit ebenfalls aufgehobenen Straftatbeständen, wie zum Beispiel Ehebruch oder schwere Kuppelei, lassen sich die sanktionierten homosexuellen Handlungen klar und deutlich abgrenzen. Weder beim Ehebruch noch bei der Kuppelei haben wir es mit einem massiven Eingriff in den Kernbereich des Persönlichkeitsrechts zu tun. Zudem ist auch der Personenkreis der Betroffenen eng umgrenzt. Opfer, die sich auf die mit dem Urteil verschaffte Genugtuung verlassen dürfen, gibt es beim alten § 175 StGB ebenfalls nicht, da es sich hier um einvernehmliche Handlungen zwischen Erwachsenen handelt.
Die vorliegende Aufhebungslösung berührt weder die Gewaltenteilung noch die richterliche Unabhängigkeit. Dies wäre der Fall, wenn eine Aufhebung eine direkte Reaktion auf ein bestimmtes Urteil oder ein einzelnes Strafverfahren wäre. Beim vorliegenden Gesetzentwurf geht es um eine generelle Aufhebung, nicht um den Einzelfall. Wir korrigieren durch die Aufhebung der Gesetze nur uns selbst und nicht die Justiz, die zur Gesetzesanwendung verpflichtet war und ist.
Auch die bereits erwähnte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht einer Aufhebung nicht entgegen, da das oberste Gericht damals feststellte, dass der Gesetzgeber den umstrittenen Paragrafen so erlassen durfte. Umgekehrt lässt sich daraus aber auch nicht ableiten, dass der Gesetzgeber die Vorschrift nicht ändern, aufheben oder die Betroffenen rehabilitieren darf.
Uns war besonders wichtig, dass keine Rehabilitierung für Handlungen erfolgt, die nach dem damaligen Recht auch für heterosexuelle Handlungen strafbar waren oder nach heutigem Recht strafbar sind. Das gelingt dem Gesetzentwurf weitgehend. Wir sehen an einer Stelle noch eine Ungleichbehandlung. Die werden wir im parlamentarischen Verfahren sicher beseitigen.
Ich denke, es ist bereits deutlich geworden, aber ich möchte es noch einmal hervorheben, dass wir den Gesetzentwurf begrüßen. Wir begrüßen ihn als konsequente Weiterführung der Resolution des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 2000. Auf die überfraktionelle Entschuldigung folgt nun auch die Rehabilitierung der homosexuellen Personen, die allein wegen ihrer sexuellen Orientierung nach 1945 strafrechtlich verurteilt wurden. Die Rehabilitierung ist ein wichtiges, moralisches, politisches und gesellschaftliches Anliegen. Wir werden uns dafür einsetzen, dass der Gesetzentwurf noch vor Ende der laufenden Legislaturperiode abgeschlossen wird.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Johannes Kahrs das Wort.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7103255 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 232 |
Tagesordnungspunkt | Strafrechtliche Rehabilitierung - Homosexualität |