Johannes KahrsSPD - Strafrechtliche Rehabilitierung - Homosexualität
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte klang, wenn man ihr gelauscht hat, in vielen Teilen sehr theoretisch und auch etwas abgehoben. Ich glaube, die Realität war für viele Menschen damals eine andere. Ich selber habe es nicht mehr erlebt, aber wir haben viel davon gehört: Wenn man durch die einschlägigen Kneipen und Bars gezogen ist, hat man viele kennengelernt, die unter den Paragrafen § 175 gefallen sind, und man hat gesehen, dass Menschen daran zerbrochen sind, dass sie im Leben gescheitert sind, dass sie sich auch selber als gescheitert angesehen haben. Einige sind daran gewachsen, aber ganz viele sind einfach elendig daran zugrunde gegangen.
Es betraf nicht nur diejenigen, die verurteilt worden sind. Viele Hundertausende haben aufgrund dieser Gesetzgebung anders gelebt, haben sich anders orientieren müssen, sind damit nie glücklich geworden. Es hat geschiedene Ehen gegeben, es hat unglückliche Kinder gegeben. All das waren Sachen, die einen Teil der Bevölkerung ins Unglück gestürzt haben, und das werden wir heute nicht wiedergutmachen können. Wir können heute den Versuch wagen, zu sagen: Wir haben als Parlament verstanden.
An dieser Stelle muss ich einfach sagen, dass ich Heiko Maas und seinem Haus sehr dankbar bin.
(Beifall bei der SPD)
Ich weiß, lieber Heiko, wie schwierig es in deinem Haus war. Da sind viele über ihren Schatten gesprungen, und es war ein langer Prozess. Wer die Kollegin Sütterlin-Waack eben gehört hat, der ich alles glaube, was sie gesagt hat, muss wissen, dass sie leider nicht für große Teile der CDU/CSU steht.
(Mechthild Rawert [SPD]: Leider, leider, leider!)
Da weiß man, dass das ein mühsamer Prozess war. Volker Beck, der in diesem Zusammenhang sehr große Verdienste erworben hat, hat es hier eben noch einmal geschildert.
Im Kern ist es so: Wir alle hätten das gerne schon etwas eher gehabt; denn viele Betroffene werden die Rehabilitierung nun nicht mehr erleben. Insofern geht es bei der Entschädigungsregelung nicht so sehr darum, ob man einen Euro mehr oder weniger bekommt, sondern darum, wie man behandelt wird. Das hat etwas mit Anerkennung und Respekt zu tun. Es hat nichts damit zu tun, ob man dann mehr oder weniger Geld hat. Eine Wiedergutmachung für ein gescheitertes Leben lässt sich gar nicht in Euro ausdrücken. Ich glaube, eines dürfen wir, wenn wir das jetzt in den Ausschüssen beraten, nie vergessen – das ist mir wichtig –: Man kann zwar jedes Komma neu diskutieren, und wir haben ja schon seit Jahren diskutiert, aber trotzdem müssen wir es am Ende gemeinschaftlich hinbekommen.
Ich möchte an dieser Stelle unserem Berichterstatter Karl-Heinz Brunner danken, der im Klein-Klein wirklich lange und hart daran gearbeitet hat.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ehrlicherweise muss man sagen: Du hast da dicke Bretter gebohrt. Politik ist ja das Bohren dicker Bretter, und mit diesem Koalitionspartner war es nun wirklich nicht einfach. Deswegen: Ganz herzlichen Dank, dass du dir das angetan hast. In der Sache ist das Ergebnis gut, und ich glaube, dass das für uns alle wichtig ist.
Man muss aber auch zur Kenntnis nehmen, dass wir einen Koalitionsvertrag haben, in dem steht – ich zitiere es immer wieder gern –:
Rechtliche Regelungen, die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften schlechter stellen, werden wir beseitigen.
Das gilt natürlich auch für die Öffnung der Ehe.
(Beifall bei der SPD)
Das darf man nicht vergessen.
Jetzt wird in der Union immer gesagt: Na ja, von der Öffnung der Ehe steht da gar nichts drin. Wie könnt ihr das so sehen? – Ehrlicherweise: Die Rehabilitierung der nach § 175 Verurteilten steht da auch nicht drin, und trotzdem beschließen wir sie. Und warum? Weil es richtig ist, weil es von dieser Formulierung im Koalitionsvertrag abgedeckt ist. Insofern muss man schauen, wie man das eine macht, ohne das andere zu lassen.
Wir haben nur noch den Rest von heute – ich gebe zu, das ist nicht mehr viel –, und wir haben auch nur noch vier Sitzungswochen. Aber mein Appell an die Union ist: Es gibt fertige Gesetzentwürfe, es gibt die Unterstützung des Bundesrates, es liegt eigentlich alles vor – wir können das alles ganz schnell und vernünftig regeln.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE] und Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wir können allerdings auch schauen, ob wir es anders regeln. Ich persönlich würde es vorziehen, wenn man es so machte, wie es bei Gewissensentscheidungen in diesem Haus üblich ist: Man gibt eine Abstimmung frei. Leider sagt der Koalitionsvertrag, dass beide Koalitionspartner dieser Regelung zustimmen müssen. Die Union hat dem bisher nicht zugestimmt. Deswegen wird die Abstimmung im Deutschen Bundestag nicht freigegeben.
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gebt den Kahrs frei!)
Ich bin mir sicher: Wenn diese Abstimmung freigegeben würde, dann würde es hier eine Zweidrittel- oder Dreiviertelmehrheit dafür geben. Im Moment hängt es davon ab, ob wir es schaffen, dafür zu sorgen, dass die Union über ihren Schatten springt und nicht mehr Menschen diskriminiert, damit nicht mehr das Bauchgefühl der Bundeskanzlerin gilt, sondern das, was recht und anständig ist.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Danke schön. – Als Nächste hat Gudrun Zollner, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7103258 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 232 |
Tagesordnungspunkt | Strafrechtliche Rehabilitierung - Homosexualität |