Elisabeth Winkelmeier-BeckerCDU/CSU - Bekämpfung von Kinderehen
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen! Es ist gut, dass wir bei dem wichtigen Vorhaben, Kinderehen zu bekämpfen, endlich in die parlamentarischen Beratungen eintreten. Ich halte das für wichtig.
In Deutschland sind Kinderehen sicherlich bisher Einzelfälle. Aber so richtig auf die Agenda gesetzt hat sich dieses Thema dadurch, dass mit den vielen Menschen, die als Flüchtlinge und Migranten zu uns gekommen sind, eben auch verheiratete Minderjährige zu uns gekommen sind. Deshalb müssen wir uns darum kümmern, wie wir diesen Menschen – meistens sind es junge Mädchen – helfen können, sich aus einer Lage zu befreien, in die sie sich nicht freiwillig begeben haben.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Denn zum Phänomen der Kinderehe gehört, dass es sich dabei oft um Zwangsehen handelt – das ist nicht das Gleiche, aber die Schnittmenge ist groß –, also Ehen, die nicht freiwillig eingegangen worden sind.
Hinzu kommt häufig, dass das Paar nach unseren Vorstellungen nicht zusammenpasst. Dass deutlich ältere Männer jüngere Frauen heiraten, passt nicht in unsere Vorstellung hinein und scheint auch besonders zu unterstreichen, dass es dabei nicht um eine freiwillig eingegangene Ehe mit einem selbstgewählten Partner geht.
In manchen Fällen mag der Grund dafür gewesen sein, dass man auf der Flucht einen Schutz vor Übergriffen hatte. Aber ich denke, das macht es nicht besser. Gerade was das von Ihnen genannte Beispiel angeht, Herr Kollege Petzold, finde ich, dass ein Onkel seiner Nichte auch dann Schutz gewähren kann, wenn es nicht gleichzeitig zu einer Ehe zwischen Verwandten kommt.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Noch ein Grund kommt typischerweise dazu, nämlich dass eine solche Ehe in diesem Kulturkreis auch ein anderes Bild von Ehe mit sich bringt. Dabei wird von anderen ehelichen Pflichten ausgegangen als nach unseren Vorstellungen.
Wir haben uns letztes Jahr sehr ausführlich mit der Frage befasst, welche ehelichen Pflichten es gibt, als wir unter dem Schlagwort „Nein heißt nein“ eindeutig klargestellt haben – darin waren wir uns einig –, dass auch eine Ehe kein Recht auf sexuelle Übergriffe gibt. Die Ehen, mit denen wir es in diesem Zusammenhang zu tun haben, beruhen häufig auf einem anderen Bild der Ehe, als es bei uns der Fall ist. Deshalb müssen wir hier eingreifen. Wir können das so nicht hinnehmen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Solche Ehen sind für uns aus zwei Gründen nicht tragbar: Sie sind nicht mit unseren Werten, unseren Vorstellungen von Gleichberechtigung, Selbstbestimmung, Schutz des Kindes und freier Entfaltung und dem Bild der Ehe vereinbar, das bei uns darauf beruht, dass zwei Menschen aus Zuneigung zueinander freiwillig die Ehe eingehen. Es geht darum, klarzumachen, was bei uns geht und was nicht.
Noch wichtiger ist aber, dass wir die für die betroffenen Mädchen unerträgliche Situation beenden. Deshalb schaffen wir zum einen eine sichere Rechtsgrundlage dafür, dass das Jugendamt sehr schnell und beherzt eingreifen kann, und zwar unabhängig davon, ob wir je nach rechtlicher Konstellation noch eine Ehe nach dem Heimatrecht des Paares annehmen.
Zum anderen schaffen wir die rechtliche Grundlage dafür, diese Ehen zu beenden. Es gab bereits eine lebhafte Diskussion darüber, welche rechtliche Konstruktion die bessere ist: die Annahme der Nichtigkeit oder die Aufhebung im Einzelfall.
(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist der Streitpunkt! Um nichts anderes geht es! Und das müssen Sie auch sehr klar sagen!)
– Das ist der Streitpunkt.
Einigen erscheint die Nichtigkeit richtig. Ich glaube, dabei spielt häufig eine Rolle, dass man das für das noch stärkere Verdikt hält; es ist ein noch stärkeres Unwerturteil, das für null und nichtig zu erklären. Aber ich denke, das ist zu kurz gesprungen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es führt zu Schutzlosigkeit!)
Ich denke, dass die Aufhebung im Einzelfall mit dem Hoheitsakt durch den Richter, der auch Klarheit darüber schafft, dass jetzt diese Ehe aufgehoben ist, der bessere Weg ist. Es wurden bereits einige Nachteile der angenommenen Nichtigkeit genannt. Dazu gehört unter anderem: Sie schafft Unsicherheit für die Kinder, und es gibt keine Behörde, die verbindlich feststellt, was eigentlich gilt. Im Vergleich dazu lässt die Aufhebbarkeit auch Platz für Einzelfallentscheidungen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich möchte aber auch sagen, welche Begründungen ich im Rahmen dieser Einzelfallentscheidungen akzeptieren könnte und welche nicht. Häufig wird gesagt, dass man dann, wenn schon ein Kind da ist, die Aufhebbarkeit der Ehe anders betrachten muss. Solche Gründe kann ich nicht akzeptieren.
Ich kann auch nicht als Begründung akzeptieren, dass der Mann das Mädchen unter seinen Schutz genommen habe. Dazu sage ich ganz klar: Die Zeit, in der der Deal „eheliche Pflichten gegen männlichen Schutz“ galt, sind in Deutschland lange vorbei.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Deshalb kann es nur einen einzigen Grund für eine Ausnahme geben, und das ist die Beziehung selber. Wenn es eine Beziehung ist, die freiwillig eingegangen wurde und auf Zuneigung beruht, dann braucht sich der Staat wirklich nicht darum zu kümmern. Dann muss er sich zurücknehmen und es akzeptieren. Gerade dann, wenn die Betroffenen möglicherweise schon nahe an der Volljährigkeit sind, kann man sicherlich eine Ausnahme machen.
In dem Gesetzentwurf, den wir jetzt in die Beratungen nehmen, wird noch von einer Kombination ausgegangen: bei Minderjährigen, die vor dem 16. Geburtstag geheiratet haben, gilt die Nichtigkeit, in den anderen Fällen die Aufhebbarkeit. Wie gesagt, wir werden uns da auch noch einmal beraten lassen und dann vielleicht zu noch besseren Erkenntnissen kommen. – Das ist das Kernstück des Gesetzentwurfs.
Dazu kommen dann die Eingriffsbefugnisse des Jugendamts. Wir setzen das Heiratsalter in Deutschland konsequent herauf.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass wir das Voraustrauungsverbot für Religionsgemeinschaften bzw. religiöse Ehen und kulturelle Ehen, die vor dem 18. Geburtstag stattfinden, wieder einführen. Das ist sogar mit einer Ordnungsvorschrift abgesichert. Ich denke, dass wir damit eine gute Basis für die Beratungen haben.
Abschließend möchte ich noch eines sagen: Ich habe im Herbst 2015 ein Interview mit einem jungen Mädchen gesehen, das aus Syrien kam und sagte: Ich bin sehr froh, jetzt in Deutschland zu sein; denn ich habe gehört, dass junge Mädchen hier nicht von ihren Vätern verheiratet werden. – Sie hat dieses Glück. Für diejenigen, die das bisher nicht haben, wollen wir es schaffen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Der Kollege Dr. Fritz Felgentreu spricht jetzt für die SPD.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7103270 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 232 |
Tagesordnungspunkt | Bekämpfung von Kinderehen |