Thorsten FreiCDU/CSU - Straftaten gegen ausländische Staaten
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben schon vielfach über die Geschichte dieses Gesetzentwurfs gesprochen und darüber, dass wir vor ziemlich genau einem Jahr hier an dieser Stelle über die Gesetzentwürfe von Grünen und Linken diskutiert haben.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Leider nicht angenommen!)
Natürlich haben wir die Diskussion im Lichte der damaligen Situation, des Schmähgedichts von Böhmermann und der Reaktion von Erdogan, geführt. Es ist richtig – das hat die bisherige Debatte gezeigt –, dass wir damals auf dem Höhepunkt der öffentlichen Debatte keine Lex Erdogan beschlossen haben, sondern dass wir uns hier im Parlament mit diesem Thema ausführlich auseinandergesetzt und das Für und Wider abgewogen haben.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Kanzlerin hat es damals schon gesagt!)
– Herr Ströbele, Sie machen jedes Mal die gleichen Zurufe. Hören Sie einfach einmal zu! Es wäre wichtig, dass Sie zuhören.
Die Kollegen haben bereits darauf hingewiesen, dass es hier keine 100 : 0-Entscheidung geben kann, sondern dass es Argumente sowohl dafür als auch dagegen gibt. Es gibt juristische und gesetzgeberische Argumente, aber durchaus auch außenpolitische Erwägungen. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass das Schutzgut des § 103 StGB nicht in allererster Linie die angegriffene Ehre des Organs oder des Vertreters eines ausländischen Staats ist. Es handelt sich auch nicht um Goodwill gegenüber anderen Staaten. Vielmehr dient dieser Paragraf aus meiner Sicht in allererster Linie dem Schutz unserer auswärtigen und diplomatischen Beziehungen zu anderen Staaten. Insofern liegt diese Regelung in unserem Interesse. Wir müssen uns jedenfalls mit den damit zusammenhängenden Fragen befassen und auseinandersetzen. Schließlich liegt es nicht in unserem Interesse, dass jemand aus unserem Land mit irgendwelchen unsäglichen Bemerkungen oder Pamphleten die diplomatischen Beziehungen Deutschlands zu anderen Staaten beeinträchtigt. Trotzdem ist die Frage zu beantworten, ob wir eine Regelung, die aus dem 19. Jahrhundert stammt, heute tatsächlich noch brauchen oder ob die allgemeinen Normen der §§ 185 ff. ausreichend sind.
Was den ersten Punkt anbelangt, ist die Antwort klar. Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich; das ist richtig. Deswegen brauchen wir keine erhöhte Strafandrohung für Vertreter anderer Staaten oder deren Organe. Ich glaube zudem, dass sich die Verhältnisse seit 1871 bzw. im Vergleich zu noch älteren Landesstrafgesetzbüchern, aus denen die infragestehende Formulierung stammt, grundlegend verändert haben. Damals wurde die Beleidigung des Souveräns, des Staatsoberhauptes, mit einer Beleidigung des Staates gleichgesetzt. Das hat häufig den Ausbruch von Kriegen mit hohem Blutzoll zur Folge gehabt. Staatspolitisch ist daher durchaus nachvollziehbar, dass man der Meinung war, die Verhinderung größerer Schäden rechtfertige, den Einzelnen härter zu bestrafen.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist also ein Kriegsverhinderungsparagraf? Leute!)
Das ist aus meiner Sicht heute nicht mehr der Fall. Das hat sich grundlegend verändert. So gesehen brauchen wir die Vorschrift des § 103 nicht mehr.
Vieles kann uns darin durchaus bestärken. Das zeigt ein Blick in die Geschichte. Wie oft ist denn § 103 einschlägig bzw. angewandt worden?
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und in welchen Fällen!)
Sie haben das Beispiel aus dem Jahr 1964 mit dem Schah genannt. Des Weiteren hat dieser Paragraf 1975 im Zusammenhang mit der chilenischen Militärdiktatur und 2006 im Zusammenhang mit Papst Benedikt eine Rolle gespielt. Aber es handelt sich insgesamt um nur wenige Fälle. Das, was man im 19. Jahrhundert als Hintergrund für diese Vorschrift gesehen hat, ist heute kaum mehr denkbar und vorstellbar. Deswegen sind wir im Ergebnis der Auffassung, dass man § 103 abschaffen kann. Wir wären damit nicht alleine auf der Welt. Wenn wir in die europäische Nachbarschaft schauen, dann stellen wir fest, dass ähnliche Regelungen beispielsweise in Frankreich, Schweden und Finnland abgeschafft wurden. Das ist auch vertretbar.
Der Fall Erdogan hat uns vor einem Jahr gezeigt, dass diese Vorschrift in ihr Gegenteil verkehrt werden kann – Herr Dr. Bartke, Sie haben das angesprochen –, dass sie anderen Staatschefs als Einfallstor dazu dienen kann, ihre innenpolitischen Probleme zu uns zu tragen. Wenn es sich dabei um jemanden wie Herrn Erdogan handelt, der vorgibt, einen größeren Teil unserer Bevölkerung, nämlich die Türken und die Türkischstämmigen, zu repräsentieren, dann kann das Desintegration in unserer Gesellschaft zur Folge haben. Das kann dann auch die Folge von Destabilisierung in unserer Gesellschaft haben. Das ist das Gegenteil unseres Interesses. Deswegen glaube ich, dass es im Endeffekt richtig ist, § 103 abzuschaffen. Das ist das Ergebnis einer ausführlichen Debatte auch bei uns in der Fraktion. Das ist keine 100 : 0-Entscheidung, wie oft im Leben, aber mindestens eine 70 : 30-Entscheidung. Deswegen ist dieser Gesetzentwurf richtig.
Vielen Dank.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7103310 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 232 |
Tagesordnungspunkt | Straftaten gegen ausländische Staaten |