17.05.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 233 / Tagesordnungspunkt 6

Michaela Noll - Berufsbildungsbericht 2017

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich setze darauf, dass die nachfolgenden Redner in dieser Debatte sicherlich etwas dazu sagen werden, wie wichtig das duale Ausbildungssystem ist und wie wir international dastehen. In dieser Hoffnung will ich an dieser Stelle darauf verzichten. Ich möchte mich zu dem äußern, was der Berufsbildungsbericht liefert. Er zeigt, wo wir im Moment in Deutschland stehen und wie die Situation ist.

Zu Beginn möchte ich auf drei positive Botschaften hinweisen, die in diesem Bericht enthalten sind.

Die erste positive Botschaft ist, dass es für 100 junge Menschen, die im Moment einen Ausbildungsplatz suchen, 104 Ausbildungsplatzangebote gibt.

(René Röspel [SPD]: Im Durchschnitt!)

– Im Durchschnitt, klar. – Wir haben in der Allianz für Aus- und Weiterbildung das realisiert, was Bündnis 90/Die Grünen in ihrem Antrag fordern, nämlich eine Garantie, einen Pfad für jeden einzelnen Auszubildenden. Ich kann Ihnen sagen: Das ist ein großer Erfolg. Das gab es in Ihrer Regierungszeit nie.

Die zweite positive Botschaft ist, dass die Zahl der Ausbildungsverträge stabil geblieben ist. Das ist angesichts der demografischen Entwicklung – sie müsste eigentlich dazu führen, dass weniger geschlossen werden – eine gute Leistung.

Der dritte positive Befund ist, dass von denjenigen Jugendlichen, die einen höheren Schulabschluss haben, die also, wenn sie wollten, sofort studieren könnten, ein größerer Anteil als noch vor einigen Jahren in die berufliche Ausbildung geht. Das ist das, was wir wollen und wofür wir werben.

Aber man kann in diesem Bericht nicht nur positive Botschaften lesen. Es gibt auch problematische Befunde.

Zum einen steht dort, dass die Zahl der Ausbildungsverträge, die von kleinen und mittleren Unternehmen geschlossen werden, Jahr für Jahr rückläufig ist. Die Großbetriebe kompensieren dies zum Teil. Deswegen haben wir eine entsprechende Initiative gestartet. Wie kann man die kleinen und mittleren Unternehmen im großen Maßstab unterstützen? Hier gibt es zum Beispiel unser Jobstarter-Programm. Wie kann man Konstrukte der Verbundausbildung bilden? Hier müssen wir noch vieles andere mehr machen; denn das ist ein Problem.

Der zweite negative Befund ist, dass die Relation, dass auf 100 junge Menschen 104 Ausbildungsplätze kommen, nur den Durchschnitt in der Bundesrepublik Deutschland darstellt. Es gibt regional große Unterschiede. In den neuen Bundesländern und in Bayern gibt es zu wenig Jugendliche für die vorhandenen Ausbildungsplätze. Zum Beispiel in den großen Städten in Nordrhein-Westfalen gibt es viele suchende Jugendliche. Deswegen brauchen wir hier staatliches Handeln. Marktmechanismen werden dieses Problem nicht regeln.

Wir hatten im Jahr 2000 eine ähnliche Situation im Bereich der Studierenden. Dort haben wir durch den Hochschulpakt eine Mobilität, die es vorher nie gab, erzeugt. Wir müssen jetzt versuchen, Mobilität bei den potenziell Auszubildenden zu erreichen. Das haben wir wettbewerblich ausgeschrieben, um verschiedene Möglichkeiten auszuprobieren: Baut man Internate? Macht man Fahrkostenzuschüsse? Wie regelt man das? Denn es wird sich nicht automatisch ergeben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Der dritte negative Befund ist das, was wir hier schon mehrfach diskutiert haben: das Matchingproblem. Wir brauchen präventiv eine individuelle Beratung von jungen Leuten in der siebten, achten Klasse. In dieser Legislaturperiode haben wir über 500 000 junge Leute mit Beratungsangeboten erreicht. Wir haben in diesen Bereich 1,2 Milliarden Euro hineingesteckt. Das müssen wir in den nächsten Jahren zum Regelangebot machen.

Wir müssen den Ländern auch nicht vorschreiben, wie sie am besten beraten. Die Berufsjugendagenturen aus Hamburg sind ein sehr vernünftiges Modell. Ich hatte alle Kultusminister angeschrieben und ihnen gesagt, dass wir hier unterstützen. Wir können das sehr unterschiedlich machen. Derzeit haben wir, glaube ich, schon zehn Verträge mit einzelnen Bundesländern geschlossen. Wir sagen ihnen nicht, was sie machen müssen und wofür es dann Geld gibt. Es wird in den Ländern sehr unterschiedlich gehandhabt. Dort gibt es gewachsene Strukturen, aber auch Mängel. Von daher fördern wir sehr unterschiedlich: mal im Gymnasium, mal an anderer Stelle. Das läuft; das ist für die nächsten Jahre organisiert.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es gibt zwei große Herausforderungen. Die erste große Herausforderung ist, die vielen jungen Flüchtlinge in das Ausbildungssystem zu bringen, zu integrieren. Was wir rechtlich gemacht haben – „3 plus 2“ –, ist allen hier bekannt. Was wir zusammen mit den Handwerkskammern mit unserem großen Programm für 10 000 Jugendliche angestoßen haben, läuft. Das Problem an der Stelle ist, genügend Jugendliche zu finden, die bereit sind und es auch leisten können. Deswegen ist es ganz wichtig, dass das Übergangssystem, das Jahr für Jahr, angefangen bei über 400 000, reduziert wurde, jetzt wieder einen leichten Aufwuchs erfährt, was vielleicht von einigen als negativ angesehen wird. Das ist aber zwingend notwendig. Denn: Wenn wir das nicht haben, dann verwehren wir den jugendlichen Flüchtlingen, die nach den Integrationskursen sprachlich nicht in der Lage sind, sofort eine Ausbildung zu beginnen und in eine Berufsschule zu gehen, diese Chance. Das ist eine Chance für die jungen Flüchtlinge und kein Punkt, den wir negativ adressieren sollten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die letzte große Herausforderung ist die Digitalisierung. Wir haben sowohl in Hardware, also Förderung der überbetrieblichen Ausbildungsstätten, als auch in die Kompetenzen der beruflichen Ausbilder investiert, auch für die nächsten Jahre die Gelder schon reserviert. Auf diesem Weg werden wir weitergehen.

Die Länder sind für das Thema digitale Bildung originär zuständig. Aber wir alle wissen, dass es oftmals die Berufsschulen sind, die den größten Nachholbedarf haben, was die Ausstattung angeht. Deswegen ist mein Angebot der Digitalpakt. Wir vonseiten des Bundes geben richtig Geld – das können wir an der Stelle –, um alle 40 000 Schulen und insbesondere die Berufsschulen zu erreichen, aber unter der Bedingung, dass die Pädagogik Priorität haben muss. Das Ganze macht nur Sinn, wenn geklärt ist, was die Länder leisten und wie im Rahmen von Lehrerbildung, Lehrerfortbildung die Akzeptanz bei Lehrern für diese Aufgabe erzeugt werden kann.

Zunächst gab es bei den Ländern keine große Begeisterung. Sie hatten zwar in der KMK eine Digitalstrategie entwickelt, die in vielen Punkten auch sehr klug ist, aber es waren keine länderübergreifenden Maßnahmen dabei, die für einheitliche Standards sorgen und die die Finanzierung sichern. Jetzt sind die Länder bereit, und wir diskutieren. Wir haben mehrere Runden gedreht. Wir sind fast fertig mit den Eckpunkten eines solchen Digitalpaktes, mit einer sehr konstruktiven Herangehensweise vonseiten der Länder. Darüber bin ich sehr froh. Denn das ist die einzige Chance, dass wir es vollfinanziert bekommen. Das gelingt aber nicht, wenn einer sich etwas wünscht und die anderen nicht mitmachen.

Ich habe in der letzten Zeit eine Frühjahrsreise zum Thema „Schwerpunkt berufliche Bildung“ gemacht, mit ganz vielen interessanten Stationen, die wir gar nicht so im Blick haben, zum Beispiel Binnenschiffer. Das ist ein interessanter Beruf. Die Binnenschiffer sind in der Regel nicht stationär tätig, sondern viel auf ihren Schiffen unterwegs. Die Weiterbildung und berufliche Bildung mittels Digitalisierung eröffnet ihnen Chancen, die sie noch nie hatten. Das wird das ganze Berufsbild und die Qualifizierung dort verändern.

Ein Punkt, der mich bei der Digitalisierung besonders beeindruckt hat und den ich vorher so nicht erwartet habe, ist folgender: Es war mir natürlich klar, dass man nur noch den Arm heben muss, um einen Roboter zu veranlassen, schwere Dinge zu heben. Das ist körperlich eine Entlastung. Aber es bietet auch für Menschen mit körperlichen Handicaps eine Möglichkeit der Berufsausübung. Ich habe in den Hannoverschen Werkstätten zum ersten Mal die Möglichkeit gesehen – und das hat mich tief beeindruckt –, mit den Mitteln der Digitalisierung und durch die Rehabilitationspädagogik von Dortmund für Menschen mit geistigem Handicap ein Berufsleben zu ermöglichen, das so bisher nicht möglich war. Für diese Menschen wird damit die Chance auf ein erfülltes Leben eröffnet.

Ich denke, es sollte uns alle freuen, dass die Digitalisierung – wir müssen natürlich auch über die Probleme, Geld und anderes reden – gerade im Bereich der beruflichen Ausbildung vielen Menschen eine sichere Chance geben wird. Deswegen: Danke schön, dass wir das heute hier diskutieren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Herzlichen Dank, Frau Ministerin Wanka. – Als nächste Rednerin spricht Dr. Rosemarie Hein für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7110519
Wahlperiode 18
Sitzung 233
Tagesordnungspunkt Berufsbildungsbericht 2017
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