Christoph SträsserSPD - 15. Entwicklungspolitischer Bericht
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich mache meine persönliche Erklärung zu Beginn, damit sie in die Redezeit passt: Es ist voraussichtlich meine letzte Rede hier, und ich freue mich darüber und bin dankbar dafür, dass meine Fraktion mir die Gelegenheit gibt, hier ein bisschen ausführlicher Stellung zu nehmen.
Frau Pfeiffer, ich wollte hier eigentlich eine altersmilde, versöhnliche Rede halten; aber bei zwei Punkten muss ich den Ton wechseln:
Erstens. Sie haben völlig recht: Der Entwicklungspolitische Bericht ist dick;
(Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Das habe ich gar nicht gesagt!)
er enthält viele Festlegungen. Aber es ist schon sehr häufig kritisiert worden, dass die Umsetzung an vielen Punkten zu wünschen übrig lässt. Was ich nur sagen wollte: Einen Quantensprung in der Entwicklungspolitik sehe ich in der Tat im Vergleich zu dem, was in der letzten Legislaturperiode hier abgeliefert worden ist. Denn eines haben Sie, Herr Müller, ganz deutlich hingekriegt: Das, was damals viele – auch von außerhalb, aus der Zivilgesellschaft – empfunden haben, nämlich dass Entwicklungspolitik zu einer anderen Form von Wirtschaftsförderung geworden ist, ist in Ihrer Politik, auch in dem Bericht, nicht mehr vorhanden. Ich glaube, das ist ein Schritt nach vorne.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Aber ich sage mal: Nach der damaligen Darbietung war das auch nicht so ganz schwer. Nichtsdestotrotz ist es ein Schritt nach vorne.
Zweitens, Frau Pfeiffer, möchte auch ich die ODA-Quote ansprechen. Ja, Sie haben recht: Sie ist in der Tat ein Symbol für den Zustand der Entwicklungspolitik, und ich bin ganz froh darüber, dass wir eine solche Benchmark haben. Ich habe es bei meiner letzten Rede hier schon gesagt: Ich persönlich mache unabhängig von Parteien schon seit mehr als 40 Jahren in diesem Bereich Politik, und schon damals wurde das 0,7-Prozent-Ziel politisch gefordert. Ich will gar nicht thematisieren – es ist hier alles angesprochen worden –, wieso wir jetzt auf eine Quote von 0,7 Prozent kommen. Ich habe mal ein Zitat zu dem Haushalt gelesen, den Sie vorgelegt haben, insbesondere zur ODA-Quote von 0,7 Prozent, die wir jetzt erreicht haben. Frau Weber hat es gesagt: Es ist völlig korrekt, die Quote so zu berechnen, wie es hier getan wurde. Ich zitiere mal jemanden aus der Zivilgesellschaft, die heute in dieser Debatte – aus meiner Sicht zu Unrecht – noch gar keine große Rolle gespielt hat,
(Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
nämlich den Vorstandsvorsitzenden von VENRO, einem der größten Partner der Bundesregierung auch bei der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit. Er hat am 11. April zu diesem Thema Folgendes gesagt – ich zitiere –:
Damit rechnet sich Deutschland die Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit schön und bleibt größter Empfänger seiner eigenen Mittel für Entwicklungszusammenarbeit.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das ist richtig. Er hat es auf den Punkt gebracht. Man muss sich das nicht zu eigen machen, aber wir alle haben die Botschaft verstanden und vereinbart, dass wir auch in Zukunft bei dem 0,7‑Prozent-Ziel bleiben wollen.
Lassen Sie mich auf einen weiteren Punkt hinweisen. Wir und die internationale Gemeinschaft insgesamt haben in den letzten zwei Jahren gute Rahmenbedingungen für die internationale Entwicklungszusammenarbeit geschaffen. Auf dem Nachhaltigkeitsgipfel im September 2015 wurde mit der Verabschiedung der Nachhaltigkeitsagenda 2030 und der SDGs ein aus meiner Sicht ganz wichtiger Paradigmenwechsel in der internationalen Außenpolitik und in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit herbeigeführt. In diesem Zusammenhang wurde ein Begriff geprägt, den ich sehr treffend finde. Es wurde gesagt: Ziel ist nicht weniger und nicht mehr als die „Transformation“ unserer Welt. Ich glaube, das ist der eigentliche Kern der Agenda 2030; denn mit ihr werden die Ziele und die Möglichkeiten von Entwicklungszusammenarbeit vom Kopf auf die Füße gestellt. Dieser Paradigmenwechsel ist an der einen oder anderen Stelle angesprochen worden. Man hat sich darauf verständigt: Wir müssen weg von der Mentalität, dass die Menschen in Afrika und Südostasien von uns Almosen erhalten, und deshalb sind wir die Guten. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Nachhaltigkeitsagenda 2030 ist eine Verpflichtung für alle Staaten und für alle Gesellschaften auf dieser Erde. Sie ist auch die Verpflichtung uns selbst gegenüber, unsere Hausaufgaben zu machen. Auf dieser Grundlage werden dann die Angebote an Partner, an Partnerländer und Partnergesellschaften gemacht. Darauf müssen wir uns vorbereiten. Aber trotz der Nachhaltigkeitsstrategie, die die Bundesregierung auf den Weg gebracht hat, sind wir noch weit von diesem Ziel entfernt.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Eine kurze Anmerkung zur Mittelverwendung; das Thema ist hier schon angesprochen worden. Ich will meine Ausführungen anhand eines konkreten Beispiels deutlich machen. Frau Pfeiffer, Sie haben die Sonderinitiativen gelobt. Ja, es ist wichtig und richtig, dass man eine Reserve hat, um in Notsituationen eingreifen zu können; ich kenne das speziell aus dem Bereich der humanitären Hilfe. Nur: Bei der Entwicklungszusammenarbeit geht es eben nicht um das kurzfristige Stopfen von Löchern, sondern es geht um eine nachhaltige, zukunftsträchtige Perspektive, die Standards braucht und auf deren Grundlage man eine langfristige Strategie entwickeln muss. Das ist durch die Sonderinitiativen aus meiner Sicht nicht geschehen. Im Gegenteil: Nachhaltigkeit ist im Grunde genommen verhindert worden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich will das an einem Beispiel deutlich machen. Wir haben im Rahmen der Haushaltsberatungen für 2017 Kontakte mit Mitarbeitern des Zivilen Friedensdienstes gehabt. Der Zivile Friedensdienst betreut Projekte im Nahen Osten, in der Westbank, in Palästina, die unter anderem aus Mitteln einer Sonderinitiative des BMZ gefördert worden sind. Auf dem Höhepunkt der Arbeit und der Mediation ist diese Sonderinitiative ausgelaufen. Die jungen Mitarbeiter haben uns gesagt: Wir müssen unser Projekt stoppen; denn eine nachhaltige Finanzierung ist nicht mehr gewährleistet. – Wenn man Kohärenz und Prävention will, wenn man militärische Auseinandersetzungen wirklich verhindern will: Wie kann es dann sein, dass solche wunderbaren Initiativen wie die des Zivilen Friedensdienstes so wenig gefördert werden, dass man die Projekte auf dem Höhepunkt ihrer Arbeit einstellen muss? Das ist der falsche Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, der auch schon Thema gewesen ist. In meiner Arbeit auf zahlreichen Tätigkeitsfeldern habe ich mich mit der Entwicklung auf dem afrikanischen Kontinent auseinandergesetzt. Neben den vielen wahrnehmbaren positiven Ansätzen möchte ich eine ganz fundamentale Kritik üben, die in dieser Debatte schon ein Stück weit eine Rolle gespielt hat. Es geht um den Marshallplan. Ich möchte jetzt nicht über den Begriff philosophieren, aber eines wird in der Diskussion deutlich: Ich erlebe es immer wieder, dass viele, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen, sagen: Marshallplan für Afrika. Das sind nur drei Buchstaben, aber sie zeigen, welche Mentalität dahintersteht. Ich glaube, da muss man sehr aufpassen.
An Ihrer Strategie finde ich einiges falsch; da bin ich übrigens nicht der Einzige. Ich habe vor wenigen Wochen an einer Veranstaltung in Ihrem Haus teilgenommen. Hauptreferent war der frühere Bundespräsident Horst Köhler. Er hat an der Initiative das gelobt, was lobenswert ist, nämlich die Bereitstellung von Fördermitteln für den Privatsektor.
(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es passiert nichts!)
Er hat aber auch gesagt: Wir können und dürfen uns nicht auf eine Strategie verlassen, die die Entwicklung in fragilen Staaten aus den Augen lässt. – Das Konzept, Fördergelder in Staaten zu stecken, in denen es nach unserer Auffassung eine gute Regierungsführung gibt, ist ja nicht völlig falsch; aber wir müssen auch die fragilen Staaten – das sagen auch Welthungerhilfe und andere –, in denen die Armut stark zunimmt, mit unseren Initiativen bedenken. Wir dürfen da keine Arbeitsteilung vornehmen und sagen: Wir fördern die guten Staaten, und die armen Menschen in Staaten mit einer schlechten Regierung und fragilen Strukturen lassen wir außen vor. Das würde zu einer noch größeren Ausdehnung von Katastrophen, von Hunger und Armut führen. Damit werden wir zu tun haben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Horst Köhler hat einen weiteren Punkt, der aus meiner Sicht sehr wichtig ist, deutlich angesprochen. Er hat gesagt – jedenfalls habe ich ihn so verstanden –: Wenn man sich schon auf eine solche Strategie fokussiert, dann ist es falsch, durch andere Formen der finanziellen Zuwendung, beispielsweise durch den EU Emergency Trust Fund, durch Programme im Rahmen des Valletta-Aktionsplans und des Khartoum-Prozesses, Regime zu fördern, mit denen wir keine Entwicklungszusammenarbeit betreiben, dann ist es falsch, denen Geld zu geben, damit sie Grenzen ausbauen und Grenzsicherung betreiben. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist keine Form einer nachhaltigen Vermeidung von Fluchtursachen, sondern das Gegenteil davon. Damit werden wir unserem Anspruch an Entwicklungszusammenarbeit nicht gerecht.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Eine letzte Bemerkung: Wir als Bundestag und auch die Bundesregierung haben versprochen: Leave no one behind. Wir wollen niemanden zurücklassen. Das haben wir versprochen. Daran müssen wir uns messen lassen, hier in diesem Hause und außerhalb, in der Zivilgesellschaft. Dieses Ziel ist noch nicht erreicht. Es lohnt sich, wo auch immer in den nächsten Jahren und Jahrzehnten dafür zu kämpfen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Jürgen Klimke für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7110884 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 234 |
Tagesordnungspunkt | 15. Entwicklungspolitischer Bericht |