18.05.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 234 / Tagesordnungspunkt 8 + ZP 2

Oliver GrundmannCDU/CSU - Entwicklung und Bestand des sozialen Wohnungsbaus

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte hat uns wieder eines gezeigt: Der soziale Wohnungsbau ist ein komplexes Thema. Mit Übereifer und Polemik kommen wir hier nicht weiter, lieber Herr Kollege Kühn.

Grundsätzlich, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, stimmen wir hoffentlich in einem Punkt überein, nämlich in der Bestandsaufnahme. Es fehlt an günstigem Wohnraum in den Großstädten, und es ist insofern gut, dass wir heute über dieses wichtige Thema sprechen.

Fakt ist: Wir brauchen jährlich rund 400 000 neue Wohnungen. Wir brauchen Wohnraum in allen Bereichen, in allen Segmenten. Ja, wir brauchen auch günstigen Wohnraum. Ich hoffe, auch hier sind wir uns noch einig: Der soziale Wohnungsbau wird diesen Bedarf alleine nicht decken können. Meine Kollegen haben es in ihren Reden schon deutlich gemacht: Private Investoren und der Eigenheimbau – auch das sind zentrale Säulen, die wir dringend stärken müssen. Dazu brauchen wir die steuerliche Förderung im Mietwohnungsneubau. Das sind ganz wichtige Anreize für den Wohnungsmarkt. Auch mit einem attraktiven Baukindergeld muss jungen Familien geholfen werden, den Traum vom Eigenheim zu realisieren. Das Thema Baukindergeld wird in der nächsten Legislaturperiode ganz oben auf unserer Agenda stehen. Da hoffen wir, deutlich mehr zu bewirken.

(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum hat der Finanzminister das nicht schon lange umgesetzt?)

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir dürfen einen Fehler nicht machen: Wir dürfen die Wohnungsbaudebatte nicht allein auf die Brennpunkte des Wohnungsmarkts verengen. Jetzt auf Teufel komm raus billigen Wohnraum, graue Wohntürme in vielen neuen Satellitenstädten zu schaffen, das führt in eine völlig verkehrte Richtung. Damit schaffen wir den Sanierungsfall für die Zukunft und auch Leerstände von morgen. Hier gibt es genügend Beispiele in der Vergangenheit, beispielsweise in der DDR. Schauen wir auf das europäische Ausland. Die Bilder der Vorortstädte in Frankreich kennen wir alle. Das brauche ich nicht zu wiederholen. Deswegen plädiere ich dafür, nicht an den Symptomen herumzudoktern, sondern das Problem an der Wurzel zu packen.

Vor diesem Hintergrund erst einmal eine kleine Bestandsaufnahme: Ja, Städte sind Magnete mit einer großen Anziehungskraft. Viele Menschen zieht es dorthin, aber nicht jede Stadt ist ein pulsierender Jobmotor wie München, Frankfurt oder Hamburg. Nicht jede Stadt bietet einen sicheren Hafen für Vollbeschäftigung. Beispielsweise sind Bremen oder Bremerhaven oder zahlreiche Städte in Nordrhein-Westfalen von Vollbeschäftigung weit entfernt, sie sind teilweise die traurigen Anführer in den Arbeitslosenstatistiken.

(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau so ist es!)

Meine Botschaft lautet daher: Schaut aufs Land. Es ist fahrlässig, den ländlichen Raum in der Diskussion über bezahlbaren Wohnraum zu ignorieren. Ja, viele Menschen zieht es vom Land in die Städte, aber wir müssen auch eine Ecke weiterdenken. Der ländliche Raum darf nicht länger Ursache des Problems sein, sondern er muss Teil der Lösung werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will das gerne mit einem Beispiel verdeutlichen. Mein Wahlkreis liegt im Elbe-Weser-Dreieck zwischen der Metropolregion Hamburg und der Großstadt Bremen. Wir sind eine kraftvolle Region im ländlichen Raum, mit einem starken Branchenmix aus Industrie, Handel, Handwerk, Landwirtschaft und vor allem einem starken und gesunden Mittelstand. Ja, wir sind ein Jobmotor. Rund um Zeven beispielsweise haben wir fast Vollbeschäftigung, eine Arbeitslosenquote von 4 Prozent.

(Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär: Der Rest arbeitet in Bremen!)

Aber wir haben noch mehr. Wir haben ein starkes Miteinander, eine lebendige Vereinsstruktur und ganz viel Grün. Warum Hamburg und Bremen immer weiter verdichten, wenn die schönste Region zum Wohnen genau zwischen diesen beiden Metropolregionen liegt, dort, wo Menschen Urlaub machen?

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Genau!)

Bei uns – bei mir in Zeven, Selsingen, Harsefeld, Fredenbeck; ich könnte zahlreiche Gemeinden nennen – sucht der Mittelstand händeringend Arbeitskräfte. Im Handwerk werden dringend Auszubildende gesucht.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Hanstedt, Jesteburg, Buchholz, Seevetal!)

– Genau, lieber Michael. – Dort pulsiert es. Das sind Chancen, die wir nutzen können und die wir nutzen müssen. Die Menschen sehnen sich nach einer Heimat, einem Zuhause, wo sie sich wohlfühlen, wo sie eingebettet sind in ein gutes Umfeld von Familie, von Freunden, von Vereinen, wo sie gute Arbeit finden können, wo sie mit ihren Familien Wurzeln schlagen können. Was sich niemand wünscht, sind anonyme, kalte, graue Vorstädte ohne sozialen Rückhalt, ohne gute Lebens- und Arbeitsbedingungen.

Daher müssen wir aufpassen, dass wir keine Ballungszentren schaffen, die am Ende zum Ballungsraum für Probleme werden. Ich glaube, der ländliche Raum kann zu einem ganz wichtigen Entlastungsventil für überhitzte Wohnungsmärkte werden. Aber es stellt sich die Frage: Was müssen wir tun, damit unsere liebenswerte Heimat, der ländliche Raum, eine wirkliche Entlastungsfunktion einnehmen kann? An erster Stelle steht das Thema Verkehrsinfrastruktur. Autobahnen, Straßen, Schienenwege – das sind die Lebensadern einer modernen Volkswirtschaft.

Stade, meine Heimatstadt, ist mittlerweile an das S‑Bahn-Netz der Metropolregion Hamburg angeschlossen. Das gibt uns die Möglichkeit, dass Tausende von Pendlern auf die S‑Bahn umsteigen können. Mit meinem VW-Bus, mit dem ich unterwegs bin, brauche ich für die 35 Kilometer Luftlinie von der Tür meines Hauses in Stade bis nach Hamburg teilweise über eine Stunde Fahrzeit, sogar bis zu zwei Stunden. Autobahnen, die wir brauchen, wie die A 26, wurden Jahrzehnte vom politischen Gegner bekämpft. Man hat allein 40 Jahre gebraucht, um sie gerade einmal bis zur Hälfte zu realisieren. Wir sind unglaublich dankbar und stolz auf diese Große Koalition, dass wir den Bundesverkehrswegeplan im letzten Jahr auf die Straße gebracht haben – im Übrigen gegen Grüne und Linke beschlossen, sie haben das ja bekämpft –, damit es endlich weitergehen kann mit unseren dringend notwendigen Verkehrsachsen A 26, A 20 und den zahlreichen Autobahnen und Bundesstraßen in den Wahlkreisen meiner Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Natürlich müssen wir die Digitalisierung und den Breitbandausbau schnellstens voranbringen. Die digitale Spaltung muss beendet werden. Wir brauchen flächendeckend Funkmasten. Der Schweizer Käse, den wir haben, muss ein Ende haben. Wenn ich durch meinen Wahlkreis fahre, habe ich dort permanent Abrisse.

Herr Grundmann, erlauben Sie eine Frage oder Bemerkung von Frau Lay?

Ja.

Vielen Dank, Herr Kollege. Ich freue mich, dass die Debatte zu unserer Großen Anfrage „Sozialer Wohnungsbau in Deutschland“ zu einer gesamtgesellschaftspolitischen Debatte geworden ist.

Ich möchte es gerne konkret machen. Beispielsweise finden die Menschen bei uns in der Lausitz keine Arbeit, es fährt kein Bus vom Dorf in die nächste Stadt. Dank der Schulschließungspolitik Ihrer Kollegen von der CDU finden sie auf dem Land auch keine Schulen mehr. Deswegen ziehen sie beispielsweise nach Dresden oder nach Leipzig, weil sie dort Arbeit, Schule und öffentliche Infrastruktur finden. Dort finden sie aber dann keine bezahlbare Wohnung mehr.

Meine Frage an Sie ist: Was raten Sie eigentlich Ihren Kolleginnen und Kollegen von der sächsischen CDU? Sollen sie die fatale Politik der Schulschließungen in ländlichen Regionen beenden oder endlich auch in Sachsen Sozialwohnungen bauen? Sachsen ist eines der wenigen Bundesländer, in denen in den letzten Jahren keine einzige Sozialwohnung gebaut wurde. Ich finde das wirklich beschämend.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sehr geehrte Frau Kollegin Lay, ich danke Ihnen für Ihre Frage. Das eine zu tun, bedeutet natürlich nicht, das andere zu lassen. Wir müssen die privaten Kräfte im Wohnungsbau stärken, wir müssen durch entsprechende Anreizsysteme Möglichkeiten schaffen, dass private Bauwillige dort etwas tun, und wir müssen den ländlichen Raum stärken. Ich glaube, da sind die Kolleginnen und Kollegen insbesondere in den östlichen Bundesländern auf einem sehr guten Wege. Den ländlichen Raum müssen wir kraftvoll ausbauen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme zu einem weiteren Thema, das mir persönlich sehr am Herzen liegt: die Geruchsimmissions-Richtlinie. Junge Familien in Niedersachsen, insbesondere bei uns im Elbe-Weser-Raum, dürfen nicht mehr in ihren Heimatdörfern bauen, dürfen nicht dort bauen, wo sie geboren sind, wo sie aufgewachsen sind, wo sie als Kinder gespielt haben, weil es dort eine Vorschrift gibt: die Geruchsimmissions-Richtlinie, die es ihnen verbietet, selbst in Baulücken auf elterlichen Grundstücken günstige Eigenheime zu errichten – nur weil es nach Landluft riecht, die sie seit ihrer Geburt eingeatmet haben, die gesundheitlich nachweislich absolut unbedenklich ist. Aber der niedersächsische Umweltminister stellt sich quer und denkt überhaupt nicht daran, die Geruchsimmissions-Richtlinie zu überarbeiten und das Bauen auf dem Lande zu ermöglichen. Hier hoffe ich auf Unterstützung dabei, das zukünftig aus dem Wege zu räumen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es kann doch nicht sein, dass der ländliche Raum wegen solchen Bürokratieirrsinns weiter ausblutet und unsere Dörfer keine Zukunft haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir es richtig anfassen, dann kann der ländliche Raum einen wesentlichen Beitrag zur Entspannung der Wohnungsmärkte leisten. Der ländliche Raum und das Umland von Städten können ein leistungsstarkes Entlastungsventil für unsere Städte werden. Aber dann müssen wir ihnen eben auch Chancen geben. Den Blick auf Großstädte zu verengen, ist der falsche Weg.

Deutschland, meine sehr geehrten Damen und Herren, besteht aus Städten und Dörfern. Deutschland besteht zu 90 Prozent aus ländlichem Raum, und die Hälfte der Menschen lebt auf dem Lande. Daher wiederhole ich meine klare Botschaft: Schaut aufs Land! Wenn die Entwicklungschancen gerecht und gleich verteilt sind und sich damit auch der Wohnungsmarkt in den Städten entspannt, dann eröffnet uns das sehr gute Chancen, dann profitieren wir alle davon – die Städte und das Land. In diesem Sinne: Lassen Sie uns diesen Weg weitergehen.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vielen Dank, Oliver Grundmann. – Nächster Redner: Carsten Träger für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7110902
Wahlperiode 18
Sitzung 234
Tagesordnungspunkt Entwicklung und Bestand des sozialen Wohnungsbaus
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