Matthias BartkeSPD - Soziale Grundrechte in das GG
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Linke, Ihr Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes beginnt mit dem Satz:
Soziale Grundrechte sind unabdingbar für ein würdiges Leben in einer sozial gerechten Gesellschaft.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich möchte Ihnen sagen: Dem stimmen wir zu. Ich sage das ganz ausdrücklich, weil das ziemlich die einzige Stelle in Ihrem Gesetzentwurf ist, der wir zustimmen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Sachverständigenanhörung, die wir zu Ihrem Gesetzentwurf durchgeführt haben, wird mir noch lange in Erinnerung bleiben. So etwas habe ich vorher noch nicht erlebt. Kein Sachverständiger hat Ihrem Gesetzentwurf Zustimmung signalisiert, nicht einmal Ihr eigener, Professor Eichenhofer. Er hat zwar erläutert, dass er grundsätzlich für soziale Grundrechte sei. Ich glaube, Herr Kollege Hoppenstedt war es, der nachgefragt hat. Dann hat Herr Professor Eichenhofer deutlich gemacht, dass er die gesamte Programmatik Ihres Gesetzentwurfes für nicht zustimmungsfähig hält. Ich sage Ihnen: Vernichtend!
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Ihr Gesetzentwurf ist verfassungsrechtlich ebenso verfehlt, wie er politisch schädlich ist. Das Grundgesetz, meine Damen und Herren, ist ein fein austariertes, hochfiligranes Konstrukt. Das gilt umso mehr für die Grundrechte. Mit Ihrem Antrag fuhrwerken Sie regelrecht im Grundrechtskatalog herum. Nach Artikel 1 Grundgesetz wollen Sie einen neuen Artikel 1a einfügen, nach Artikel 2 einen neuen Artikel 2a, nach Artikel 3 einen neuen Artikel 3a, einen neuen Artikel 3b, einen neuen Artikel 3c, einen neuen Artikel 3d, nach Artikel 16 einen neuen Artikel 16a.
Was für ein Verhältnis Sie zu unserer Verfassung haben, wird im heute in der taz veröffentlichten Interview mit Frau Zimmermann deutlich. Sie fängt an:
Wir fordern ein „Recht auf soziale Sicherheit“, ein „Recht auf frei gewählte Arbeit“, ein „Recht auf eine menschenwürdige Wohnung“, ein „Recht auf Bildung“, das „Recht auf politischen Streik“ und noch einiges mehr.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Zu diesem „einiges mehr“ gehört übrigens auch die sanktionsfreie Mindestsicherung – so mal ganz nebenbei. Das erwähnen Sie nicht einmal. Da ist man doch fassungslos, mit welcher Beliebigkeit hier neue Grundrechte geschaffen werden sollen, natürlich alles einklagbar vor dem Bundesverfassungsgericht.
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Sozialausschuss können Sie ja jetzt zumachen!)
Herr Kollege Bartke, ich muss mal Ihren Redefluss unterbrechen. Die Kollegin Zimmermann würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie damit einverstanden?
Aber gerne, Frau Zimmermann.
Gut.
Vielen Dank, Kollege Bartke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Nehmen Sie zur Kenntnis, dass der Sozialstaat in Deutschland in den letzten Jahren auch durch Ihre Regierung massiv geschliffen worden ist,
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das ist Politik, nicht Grundgesetz! Machen Sie andere Politik!)
dass die Altersarmut zunimmt, dass die Kinderarmut zunimmt, dass Millionen Menschen im Niedriglohnbereich arbeiten und sie ihre Familien davon nicht ernähren können?
(Zuruf von der CDU/CSU: Wahlkampfrede!)
Nehmen Sie zur Kenntnis, dass von den ganzen entsprechenden Deklarationen, zu denen sich Deutschland bekannt hat – wie zum Beispiel zur sozialen Sicherheit, zur Bildung für alle, aber auch zu einer für alle erschwinglichen Gesundheitsversorgung –, überhaupt nichts greift und dass man solche Sachen dann ins Grundgesetz schreiben muss, damit man es wirklich einklagen kann, dass die soziale Sicherheit ein wesentlicher Punkt ist, wenn es darum geht, unser Land in Zukunft armutsfest zu machen? Sind Sie mit mir einer Meinung, dass die Situation derzeit so ist? Ihr Kanzlerkandidat hat ja auch deutlich gemacht: Wir brauchen wieder soziale Gerechtigkeit. Sie wollen da ja viel tun, zumindest mit leeren Worten. Ich habe noch nicht erkennen können, dass sich die soziale Situation durch Ihr Wahlprogramm verändern wird.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Der Punkt ist: Natürlich wollen auch wir soziale Gerechtigkeit, aber wir wollen nicht in der Art und Weise am Grundgesetz herumfuhrwerken, wie Sie es tun wollen; denn damit würden Grundrechte beliebig. Hören Sie meiner Rede weiter zu! Ich werde es noch ausführen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Frau Zimmermann, Sie haben es mit der letzten Antwort im taz -Interview mit Herrn Rath noch einmal wunderbar dokumentiert. Herr Rath von der taz sagt:
Nach Ihren Angaben haben wir … 3,5 Millionen Arbeitslose. Hinzu kämen alle, die ihre schlecht bezahlten Jobs in der Wirtschaft aufgeben und nun einen gut bezahlten Job vom Staat fordern. Sie alle hätten nach Ihrem Gesetzentwurf ein Recht auf frei gewählte Arbeit …
(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Soziale Sicherheit hätten sie! Soziale Sicherheit!)
Er hat es gut auf den Punkt gebracht. Ihre wunderbare Antwort – ganz simpel –:
So ein gewaltiges Projekt lässt sich nicht von heute auf morgen umsetzen. Es müsste wohl eine Übergangsfrist geben.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Na und? Das ist doch realistisch!)
„Es müsste wohl eine Übergangsfrist geben“ für die Schaffung von mehreren Millionen Arbeitsplätzen! Ich wiederhole mich: Man ist fassungslos. Das ist doch kaum noch satisfaktionsfähig, was Sie da sagen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wenn Sie ein Grundrecht auf frei gewählte Arbeit schaffen wollen, so sage ich Ihnen: In einer sozialen Marktwirtschaft ist das nicht möglich. Das Grundrechtskonzept des Grundgesetzes ist ein anderes. Es sieht vor, dass Grundrechte in erster Linie Abwehrrechte des Individuums gegen einen übergriffigen Staat sind. Das ist eine Lehre aus der Vergangenheit. Sie wollen mit Ihrem Antrag einen Staat erreichen, der für alles sorgt, und das Bundesverfassungsgericht wird bei Ihnen zur Superinstanz, die über alle Konflikte entscheidet.
Meine Damen und Herren, Grundrechte sind einklagbar. Sie müssen daher vom Staat auch gewährleistet werden,
(Zuruf von der LINKEN: Ja, eben!)
auch in schlechten Zeiten. In Ihrem Antrag postulieren Sie etwas, was für den Staat unerfüllbar ist. Wenn wir die von Ihnen geforderten Grundrechte in die Verfassung schreiben würden, könnten wir die Grundrechte nicht mehr gewährleisten. Das Grundgesetz würde zur leeren Hülse verkommen. Das werden wir zu verhindern wissen.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7111108 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 234 |
Tagesordnungspunkt | Soziale Grundrechte in das GG |