Hendrik HoppenstedtCDU/CSU - Soziale Grundrechte in das GG
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn ich das so höre, Frau Kollegin Tank, denke ich, dass wir in ziemlich unterschiedlichen Welten leben. Aber auch darüber sich hier heute einmal auszutauschen, ist ja interessant.
(Zurufe von der LINKEN)
Mit Ihrem Gesetzentwurf zur Aufnahme sozialer Grundrechte in das Grundgesetz suggerieren Sie ja in allererster Linie, dass unsere Verfassung insoweit vollständig defizitär wäre. Dass das ganz bestimmt nicht der Fall ist, wussten wir schon vor dem erweiterten Berichterstattergespräch; aber auf Wunsch Ihrer Fraktion haben wir es durchgeführt. Alle Sachverständigen – der Kollege Bartke hat es schon eindrücklich geschildert – haben genau das bestätigt.
Selbst Ihr eigener Sachverständiger, der Sympathie für die Aufnahme weiterer sozialer Grundrechte in den Text des Grundgesetzes geäußert hat, schrieb zu Ihrer Forderung nach Gewährleistung des Existenzminimums: Der Gesetzgebungsvorschlag geht nicht über den rechtlichen Status quo hinaus. – Auch im Berichterstattergespräch hat er gesagt, es sei ja nicht so, dass die Verfassung das Soziale nicht schützen würde. Auf Nachfrage hat er weiter gesagt – auch das hat der Kollege Bartke schon gesagt; ich kann ihn hier nur andauernd anführen, weil er es vollumfänglich so dargestellt hat, wie es auch mein Eindruck war –,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
dass Ihr Gesetzentwurf – ich wiederhole: das sagte Ihr eigener Mann wörtlich – über eine Vielzahl von Inkonsistenzen verfügen würde.
Meine Damen und Herren, in Deutschland erhalten bedürftige Menschen seit Jahrzehnten Hilfe und Schutz. Im Hartz‑IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2010 hat das Gericht ausgeführt, dass aus Artikel 1 Grundgesetz in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Artikels 20 ein „Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums“ folgt. Daraus ergibt sich ein verfassungsunmittelbarer Anspruch auf Sozialleistungen. Jedem Hilfebedürftigen stehen diejenigen materiellrechtlichen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind. Es gibt also keine rechtlichen Defizite, jedenfalls nicht auf verfassungsrechtlicher Ebene.
Weitere von Ihnen geforderte Änderungen und Ergänzungen des Grundgesetzes sind entweder überflüssig, widersprüchlich oder mit unserem freiheitlichen Staatsverständnis und der sozialen Marktwirtschaft nicht vereinbar. Hinter Ihrem Gesetzentwurf steht ein völlig anderes Gesellschaftsbild und ein völlig anderes Sozialmodell, als wir es heute haben.
Überflüssig ist zum Beispiel Ihre Forderung, den Staat zu verpflichten, kollektive soziale Sicherungssysteme zu schaffen; denn aus dem Sozialstaatsprinzip ergibt sich bereits, dass die Schaffung sozialer Sicherungssysteme zum Schutz der sozialen Existenz Grundaufgabe des Staates ist.
Sie wollen ein Recht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, das sanktionsfrei gewährt werden soll. Zugleich soll jeder Mensch das Recht auf frei gewählte oder angenommene Arbeit haben. Wie das zusammenpasst, beantworten Sie leider nicht. Wer soll denn die frei gewählten Arbeitsplätze zur Verfügung stellen? Der Staat vielleicht?
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Bundesverfassungsgericht!)
Zwischen 1949 und 1989 gab es einen Staat, der genau das versucht hat. Wenn ich mich recht erinnere, hat das nicht wirklich gut funktioniert.
(Beifall der Abg. Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU])
Sie wollen das Streikrecht ohne Einschränkungen gewährleisten,
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Grundrecht!)
inklusive des Rechts zum politischen Streik. Ich glaube, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland mit unserer Tarifautonomie und mit unserer Koalitionsfreiheit ausgesprochen gut gefahren sind.
Sie fordern ein Recht auf eine menschenwürdige und diskriminierungsfrei zugängliche Wohnung und auf Versorgung mit Wasser und Energie sowie eine einkommensgerechte Miete. Der Staat soll für Mieterschutz sorgen und Miet- und Wohnbelastungen ausgleichen. Die Räumung von Wohnraum soll unzulässig sein, wenn kein zumutbarer Ersatzwohnraum zur Verfügung gestellt wird.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Sie ignorieren dabei völlig, dass das BGB eine Vielzahl von mieterschützenden Vorschriften enthält. Lesen Sie es doch einfach mal.
(Zurufe von der LINKEN)
Es ist ein Trugschluss, zu glauben, dass die Ergänzung des Grundgesetzes generell zu einer verbesserten Durchsetzung von Rechten führen würde. Das gilt für Forderungen nach Aufnahme weiterer Staatszielbestimmungen ebenso wie für die Aufnahme von weiteren Grundrechten.
Das Grundgesetz, meine Damen und Herren, sollte die wichtigsten Rechte im Verhältnis zwischen Bürger und Staat regeln,
(Beifall des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])
einschließlich der Grundrechte. Je mehr wir dort hineinschreiben, desto mehr werden wir tendenziell unsere Verfassung relativieren
(Zuruf von der LINKEN: Autobahnprivatisierung!)
und die Durchsetzbarkeit der Ansprüche reduzieren.
Ich habe noch nie in meinem Leben ein erweitertes Berichterstattergespräch erlebt – auch das hat der Kollege Bartke schon dargestellt –, in dem ein Gesetzentwurf derartig zerrissen wurde. Das Gespräch war für Ihre Fraktion eine einzige Ohrfeige. Zitat aus der Stellungnahme eines Sachverständigen – diesmal zugegebenermaßen nicht Ihr eigener –: Die vorgeschlagenen Grundgesetzänderungen sind verfassungsrechtlich verfehlt, verfassungspolitisch uninformiert, handwerklich dürftig und insgesamt politisch schädlich.
Es bleibt festzuhalten: Wir leben in einem wohlhabenden und vor allen Dingen sozialen Staat, der weltweit zu den besten Staaten gehört. Seien wir uns dessen bewusst. Wenn wir schon nicht dafür dankbar sind, so würdigen wir es zumindest. Soziale Rechte sind sowohl in der Verfassung als auch einfachgesetzlich bestens abgesichert. Deswegen lehnen wir als Fraktion diesen Gesetzentwurf mit vollem Herzen ab.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Volker Beck für Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7111112 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 234 |
Tagesordnungspunkt | Soziale Grundrechte in das GG |