Josip JuratovicSPD - Bundeswehreinsatz KFOR in Kosovo
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über das Kosovo und über die Mandatsverlängerung für den Einsatz deutscher Soldatinnen und Soldaten im Rahmen der KFOR-Mission. Das Positive an unserer Debatte ist, dass wir die Truppenstärke verringern werden: von bisher 1 350 auf jetzt maximal 800 Soldatinnen und Soldaten. Der negative Beigeschmack bleibt: Eine Truppenstationierung ist auch 18 Jahre nach dem Kosovokrieg noch nötig.
Bevor wir in die Diskussion einsteigen, ist mir eines besonders wichtig: Mein großer Dank und Respekt gilt den Soldatinnen und Soldaten im Einsatz!
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Kosovo schafft es leider regelmäßig in unsere Nachrichtenticker. Mal höre ich die nationalistischen Töne, wenn die kosovarische Opposition den Grenzverlauf mit Montenegro anzweifelt. Ein anderes Mal lese ich Drohungen von bewaffnetem Widerstand, weil Serbien mit einem Propagandazug an die kosovarische Grenze rollt. Anschließend fordert Kosovo eine Armee, wohl wissend, welche Provokation dies für Serbien ist. Gleichzeitig liebäugeln nicht wenige im Land mit Großalbanien.
Doch auch die guten Nachrichten sollen nicht verschwiegen werden. Die lange Zeit verbarrikadierte Brücke von Mitrovica ist wieder offen, und Kosovo hat endlich eine eigene internationale Telefonvorwahl und eigene Kfz-Kennzeichen.
So oder so: Die aktuelle Lage im Kosovo und auf dem Westbalkan im Allgemeinen ist desolat. Am eindrucksvollsten wird dies durch jene fast 50 000 Menschen aus dem Kosovo bestätigt, die in den vergangenen Jahren in Deutschland Asyl beantragten, oder, noch schlimmer, mit über 300 IS-Kämpfern aus dem Kosovo. Warum tun sie das?
Erstens. Die Arbeitslosigkeit, insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit, liegt bei 50 Prozent.
Zweitens. Pristina befindet sich seit langem in einer Regierungskrise. Erst vor wenigen Tagen ist die Regierung endgültig zerbrochen. Neuwahlen stehen bevor. Dabei ist das parlamentarische Selbstverständnis schwach oder aber so radikal, dass der parlamentarische Weg gar nicht beschritten wird. Die politischen Eliten kranken an drei Symptomen: Korruption, Vetternwirtschaft und Nationalismus. Was ich hier vermisse, ist das politische Verantwortungsgefühl für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, all das, obwohl wir seit Jahren mit Unterstützungen im Milliardenbereich im Kosovo aktiv sind!
Die Rolle der internationalen Gemeinschaft ist trotz dieser beeindruckenden Zahl alles andere als glücklich. Selbst im Kosovo wird die EU inzwischen zunehmend mit Skepsis betrachtet. Insbesondere die europäische Rechtsstaatsmission EULEX hat in der Bevölkerung den Ruf, eine korrupte Brüderschaft mit den Eliten zu pflegen. Zur Ehrlichkeit gehört dabei aber auch: Wer gezwungen ist, Kompromisse mit Korrupten zu schließen, wird den Verdacht nicht los, selbst korrupt zu sein.
Nun könnte man argumentieren, dass wir unser Engagement lieber einstellen und die Kosovaren sich selbst überlassen sollten. Dieser Gedanke mag verführerisch sein, weil das so einfach klingt, dies aber wäre verheerend für die Sicherheit und Stabilität Europas.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Meine Überzeugung ist: Der Westbalkan ist ein wunder Punkt mitten in der Europäischen Union, der globalen politischen Interessen ausgesetzt ist. Deshalb müssen wir Deutschen und Europäer uns stärker für eine europäische Zukunft des Westbalkans einbringen, schon unserer eigenen Sicherheit wegen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Nachbarstaaten des Kosovo sind auch nicht gerade Musterbeispiele der Sicherheit und Stabilität. Das gilt zum Beispiel für Kosovos Nachbarn Mazedonien, wo 25 Prozent der Bevölkerung ebenfalls zur albanischen Volksgruppe gehören. Kürzlich haben die Mazedonier ein neues Parlament gewählt. Nach dem Machtverlust tauchten die mazedonischen Nationalisten auf den Straßen auf und stürmten äußerst gewalttätig das Parlament mit dem Ziel, slawische und albanische Mazedonier gegeneinander auszuspielen.
Kolleginnen und Kollegen, die Demokratinnen und Demokraten Mazedoniens verdienen unseren Respekt und unsere Unterstützung; denn diese mutigen Menschen verteidigen unter schwierigsten Bedingungen die demokratischen Werte des immer mehr nach rechts außen kippenden Europas.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Doch blicken wir auf Kosovo zurück. Die Verlängerung des KFOR-Einsatzes ist die traurige Bestätigung dafür, dass unsere Soldatinnen und Soldaten die schleppende EU-Erweiterungspolitik ausgleichen müssen.
Kolleginnen und Kollegen, natürlich handeln die Bundesregierung und die EU: Es gibt den Berliner Prozess für bessere Zusammenarbeit auf dem Westbalkan und die deutsch-britische Initiative für Bosnien-Herzegowina. – Trotz aller diplomatischer Bemühungen tragen wir Europäer eine Mitverantwortung für die desolate Lage auf dem Westbalkan, zum Beispiel, wenn Mazedonien seit 2008 auf die Eröffnung seiner Verhandlungskapitel wartet, weil Griechenland jeglichen Fortschritt blockiert, oder wenn im Kosovo mehr als 1 000 juristische Expertinnen und Experten bei EULEX seit Jahren nicht in der Lage sind, eine effektive Korruptionsverfolgung aufzubauen. Deshalb sollten wir Europäer jetzt dringend politische Handlungsfähigkeit beweisen.
Erstens. Das Kosovo braucht endlich gerechte Gleichbehandlung in der Region des Westbalkans. Dazu gehört auch die dringende Umsetzung der Visaliberalisierung.
Zweitens. Die EU-Verhandlungskapitel 23 und 24 stehen für die fundamentalen Werte der EU. Wenn man EULEX als Rechtsstaatsmission ernst meint, muss man gerade diese Kapitel schleunigst eröffnen, und zwar für alle Westbalkanstaaten. Den Skeptikern unter uns will ich sagen: Kapiteleröffnung bedeutet noch lange keinen Automatismus hin zum EU-Beitritt. Die Kapiteleröffnung setzt gesellschaftliche und politische Kräfte in Gang, die glaubwürdig die notwendigen Reformen umsetzen und unsere demokratischen Werte vor Ort mit Leben erfüllen können.
Kolleginnen und Kollegen, am allerwichtigsten ist aber: Wir müssen in der EU endlich entschlossen politisch handeln, damit unsere KFOR-Soldatinnen und -Soldaten ihre Arbeit beenden und nach Hause zurückkehren können. Bis dahin bitte ich um Ihre Zustimmung zum Antrag der Bundesregierung.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Für die Linke spricht jetzt Dr. Alexander Neu.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7111124 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 234 |
Tagesordnungspunkt | Bundeswehreinsatz KFOR in Kosovo |