Florian HahnCDU/CSU - Abzug der Bundeswehr aus Incirlik
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Woche zeigt schon ein bisschen, dass das Wahlkampfgetöse
(Widerspruch bei der LINKEN – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat doch nichts mit Wahlkampf zu tun! Das hier wirklich nicht!)
insgesamt mit voller Wucht auch den Bundestag erreicht hat. Ich finde schon, dass der Antrag von Grünen und Linken so einzuordnen ist. Sie haben nämlich etwas entdeckt, was zugegebenermaßen
(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Parlamentsrecht ist! Richtig! – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir machen jetzt zusammen Wahlkampf!)
vielen von uns einleuchtet – gar keine Frage –: der Abzug der Bundeswehr aus Incirlik.
(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Dann stimmen Sie doch zu!)
Nun wollen Sie – vermeintlich trickreich, nur leider sehr offensichtlich – uns ein Stück weit in die Falle locken,
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Da sitzen Sie schon drin!)
nach dem Motto: Sie haben Konsequenzen gefordert, nun müssen Sie aber bitte auch sofort folgen, sonst würden Sie Ihr Wort nicht halten. – Konkret: Die Bundeswehr soll mit sofortiger Wirkung vom Standort Incirlik abgezogen werden. Doch so einfach ist Weltpolitik nicht, ganz zu schweigen von der Praktikabilität Ihrer Forderung. Selbst in der Opposition sollte man so etwas wissen, und auch Wahlkampfzeiten entschuldigen eine solche Kurzsicht nicht.
Wenn man bei den Linken genau hinhört, dann merkt man, dass es gar nicht um die Frage eines Abzugs aus Incirlik geht, sondern darum, einen Einsatz, der sowieso nicht gewollt ist, egal von wo aus er startet, zu beenden.
(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das habe ich alles weggelassen!)
Zunächst lohnt es sich, in Erinnerung zu rufen, warum wir in Incirlik stationiert sind; ein Rückblick ist wichtig. Am 29. Juni 2014 ruft die Terrormiliz „Islamischer Staat“ in Mosul das Kalifat aus. Schätzungen reichen von 10 000 bis 100 000 Kämpfern, die in Syrien und im Irak ganze Gegenden zerstören, Frauen verschleppen und vergewaltigen, aufs Brutalste ermorden. Am 7. Januar 2015 sterben in Paris 130 Menschen, 352 weitere werden verletzt. Mit den Terrorattacken in der französischen Hauptstadt fing die blutige Anschlagsserie des IS in Europa an, die leider noch immer anhält. Am 2. Dezember 2015 stimmten wir hier im Deutschen Bundestag darüber ab, unsere Soldatinnen und Soldaten nach Incirlik zu schicken, um gemeinsam mit unseren Verbündeten den „Islamischen Staat“ zu bekämpfen.
Seitdem ist viel passiert. Die Türkei hat sich massiv verändert, die Menschenrechtssituation hat sich gravierend verschlechtert, die Atmosphäre ist aufgeheizt. Die CSU mahnt seit langem, dass eine Türkei, wie wir sie heute erleben, nicht Teil der Europäischen Union sein kann.
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war echte Außenpolitik!)
Daneben – und darum geht es heute – wird uns zum wiederholten Male der Zugang zu unseren Truppen verweigert. Präsident Erdogan testet immer wieder unsere Schmerzgrenze.
(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Hat die Union eine?)
Das ist natürlich indiskutabel. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee, und der Zugang zu ihr muss durchgehend möglich sein; da sind wir uns alle einig. Daher habe ich schon früh gefordert, dass alternative Stützpunkte für die Tornados geprüft werden müssen.
(Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben Abzug gefordert! Mehrfach! Sie!)
Und selbstverständlich wurden bereits Alternativstandorte geprüft. Jordanien, Zypern und Kuwait wurden inspiziert. Diese Prüfungen müssen jetzt zügig abgeschlossen werden.
Fest steht: Es kann dauerhaft nicht sein, dass Erdogan unsere Soldatinnen und Soldaten als Faustpfand einsetzt. Und trotzdem: Die Türkei ist aufgrund ihrer geostrategischen Lage ein entscheidender Mitspieler im Kampf gegen den „Islamischen Staat“. Seit der Einnahme von Mosul 2015 hat die Terrormiliz schwere Verluste erlitten. Ihr Gebiet ist von der Größe Großbritanniens auf weniger als die Größe Irlands zusammengeschrumpft. Wir müssen daher auch weiter mit Ankara sprechen, wie wir das gemeinsame Ziel, den Kampf gegen den IS, fortführen können. Aus diesem Grund kann Ihr Antrag heute nur abgelehnt werden.
Wir müssen zweigleisig fahren, Alternativen vorbereiten, den Druck erhöhen und trotzdem versuchen, in vertraulichen diplomatischen Gesprächen gesichtswahrende und praktikable Lösungen zu finden. Nur so funktioniert eine verantwortungsvolle Politik gegenüber unseren Truppen wie auch mit Blick auf unseren Auftrag.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Daneben wäre auch aus praktischen Gründen ein sofortiger Abzug nicht möglich. Incirlik ist aus militärischer Sicht weiterhin der günstigste Standort für den schwierigen Kampf gegen die Terrormiliz. Richtig ist, dass Jordanien beispielsweise eine Alternative darstellt. Und trotzdem: Es gäbe deutliche operationelle Einschränkungen, gerade in der Zusammenarbeit mit unseren Partnern. Wir könnten nicht an eine gleich gute Infrastruktur andocken. Der Umzug würde dauern. Das geht nicht, wie von Ihnen gefordert, von heute auf morgen. Es geht allein um ungefähr 180 bis 200 Container Material. Man kann nicht einfach ein Umzugsunternehmen anrufen, dann läuft der Umzug, und morgen ist alles erledigt. Um es klar zu sagen: Es ist möglich, von Jordanien aus Tankflugzeuge zu schicken und Aufklärungsflüge durchzuführen. Aber eine Verlegung benötigt Zeit. Ein Abzug mit sofortiger Wirkung funktioniert nicht.
Ich glaube, wir sind uns alle im Bundestag einig: Präsident Erdogan ist ein unberechenbarer Partner geworden. Zum wiederholten Male hat er unser Vertrauen missbraucht und die Karte des Besuchsverbots gespielt. Wir können und werden so nicht weitermachen. Die Bundesregierung bemüht sich daher um eine schnellstmögliche Lösung. Daneben ist es aber auch an der Zeit, dass wir innerhalb der NATO grundsätzlich klären, wie zukünftig eine Zusammenarbeit mit den Türken funktionieren kann; denn die Sperenzchen Erdogans schaden nicht nur dem deutsch-türkischen Verhältnis, sondern dem gemeinsamen Wirken innerhalb der NATO.
In der Ruhe liegt die Kraft. Deshalb kann über den vorliegenden Antrag heute nicht entschieden werden. Wir sollten – Herr Kollege Mützenich hat die Gründe angeführt – das Thema in aller Ruhe in den Ausschüssen diskutieren. Klar ist aber auch: Sollte es bei der Haltung der Türkei bleiben, kann die Bundeswehr langfristig nicht in Incirlik stationiert bleiben.
Herzlichen Dank.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7111145 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 234 |
Tagesordnungspunkt | Abzug der Bundeswehr aus Incirlik |