Christina SchwarzerCDU/CSU - Kinder- und Jugendstärkungsgesetz
Sehr geehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es gibt kaum ein Thema, das so sehr von der Mitarbeit und der Expertise derer abhängt, die tagtäglich an der Basis arbeiten, wie die Kinder- und Jugendhilfe. Aus eigener Erfahrung aus der kirchlichen Jugendarbeit und aus dem Jugendhilfeausschuss in meiner Heimat Neukölln weiß ich: In der Kinder- und Jugendhilfe steckt der Teufel in aller Regel im Detail. Einfache pauschale Lösungen gibt es nicht. Die Arbeit der Praktiker ist von einer großen Individualität geprägt. Daher brauchen wir bei dieser großen Reform die umfassende Expertise derer, die täglich mit den Auswirkungen der gesetzlichen Beschlüsse zur Kinder- und Jugendhilfe zu arbeiten haben.
Mir ist es aus diesem Grund ein Herzensanliegen, noch einmal deutlich zu machen: Auch wir teilen die Kritik vieler Verbände an dem Verfahren, das in der letzten Zeit angewandt worden ist. Es gab viel Kritik; wir alle haben viele Briefe und E-Mails bekommen. Ich glaube, das bisherige Verfahren wird der Arbeit derer, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten – um sie geht es ja letztendlich –, nicht gerecht. Vor allen Dingen wird es auch den Eltern und Familien mit ihren Bedürfnissen nicht gerecht. Des Weiteren wird es auch den Fachleuten nicht gerecht, die natürlich ein großes Interesse an einer Weiterentwicklung haben und sich hier umfassend und ernsthaft beteiligen wollen. Diese Beteiligung brauchen wir aber.
Wichtig ist zudem vorab noch eines zu erwähnen: Die Fürsorge unserer Kinder und Jugendlichen ist das Recht und die Pflicht der Eltern. So will es im Übrigen unser Grundgesetz, und so wollen wir es auch. Der Staat hat zuallererst die Aufgabe, sich herauszuhalten. Die zweite Aufgabe des Staates ist es jedoch, diejenigen Familien zu unterstützen, die das eben nicht können – aus ganz unterschiedlichen Gründen. Dabei geht es zunächst um Arbeit in der Familie. An erster Stelle muss unseres Erachtens stehen, Eltern zu befähigen. Dieses Prinzip, das sich aus unserem Grundgesetz ableitet, sollten wir im gesamten Prozess vor Augen haben.
Jetzt noch ein paar Worte zu dem eigentlichen Entwurf; einiges ist ja schon gesagt worden. Wir werden den Entwurf in den nächsten Wochen natürlich noch einmal auf Herz und Nieren prüfen. Ich will jetzt aber, wie Kollege Weinberg auch, noch einmal einen Blick auf Artikel 1 § 36a des Gesetzentwurfes werfen. Hier geht es darum, die Eltern zu stärken. Unseres Erachtens ist im Entwurf vorgesehen, das Problem falscher Einzelfallentscheidungen per Gesetz zu lösen. Viele von uns kennen Fälle – lieber Marcus Weinberg, du hast einen erwähnt; bei mir in Neukölln waren es andere Fälle –, in denen Kinder aus Pflegefamilien oder nach einer Heimunterbringung zu früh zurück zu den leiblichen Eltern gegeben worden sind. Wir wissen dabei nicht genau, welche Auswirkungen Fremdunterbringungen auf die Kinder und vor allen Dingen auch auf ihre Entwicklung haben.
Im Koalitionsvertrag – das ist eben schon zitiert worden – haben wir beschlossen, Änderungen in der Kinder- und Jugendhilfe auf einer fundierten empirischen Grundlage zu vereinbaren. Diese Grundlage ist aktuell noch nicht gegeben. Was wir aber sehr wohl wissen, ist: Es gibt keine stärkere Bindung als die zwischen Kindern und ihren Eltern. Das sollten wir immer im Hinterkopf behalten.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Der Gesetzentwurf sieht eine Perspektivklärung, also die Einschätzung, ob eine Leistung auf Dauer oder nur kurz- oder mittelfristig erfolgt, zu Beginn einer stationären Unterbringung vor. Hier muss deutlich betont werden: „Stationäre Unterbringung“ bedeutet Unterbringung in einer Pflegefamilie oder eben auch in einem Heim. Diese frühe Entscheidung nimmt die Möglichkeit einer umfassenden Einzelfallbetrachtung. Gerade diese ist aber im sensiblen Zusammenspiel von Kindern, leiblichen Eltern und pflegerischer Unterbringung sehr wichtig, und hier gibt es einfach keinen Musterfall.
Was wir auch nicht vergessen dürfen, ist: Bei einem Großteil der Fälle, in denen Kinder in Pflegefamilien oder Heimen untergebracht werden, haben die leiblichen Eltern selbst um Hilfe gebeten. Sie sind überfordert und suchen nach Unterstützung, um – meist langfristig natürlich – wieder ein stabiles Familienleben aufzubauen. Sie müssen sich darauf verlassen können, diese Unterstützung zu erhalten.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wenn die Eltern Angst haben müssen, ihre Kinder zu verlieren, weil sie sich kurz- oder mittelfristig nicht in der Lage sehen, sich ausreichend um sie zu kümmern, werden sie vermutlich nicht mehr um Hilfe bitten.
(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Richtig!)
Das ist nur ein Beispiel. Bei vielen Themen werden wir sehr genau hinschauen müssen, was wir im Gesetzentwurf vorsehen und welche Auswirkungen das auf einzelne Punkte in der Praxis haben wird. Deswegen bin ich gespannt auf die Diskussionen, die wir in den nächsten Wochen dazu führen werden. Wir haben gestern bereits eine öffentliche Anhörung zu diesem Thema beschlossen, und ich denke, wir müssen noch viele Experten dazu hören.
Eines ist ja klar: Die Reform des SGB VIII ist auch mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf längst nicht abgeschlossen. Vor dieser großen Aufgabe stehen wir jetzt, und ich wünsche mir natürlich, dass wir das Thema auch noch in die nächste Legislaturperiode mitnehmen, und zwar in einem geordneten Verfahren und unter breiterer Beteiligung. Deswegen freue ich mich auf die Debatte. Ihnen wünsche ich noch einen schönen Abend.
Danke.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7111237 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 234 |
Tagesordnungspunkt | Kinder- und Jugendstärkungsgesetz |