19.05.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 235 / Tagesordnungspunkt 38

Hansjörg DurzCDU/CSU - Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Soziale Medien bieten großartige Möglichkeiten und Chancen der Kommunikation und sind heute wesentlicher Bestandteil unseres öffentlichen Diskurses. Sie haben sich in den vergangenen Jahren extrem dynamisch weiterentwickelt und haben eine enorme Reichweite. Beispielsweise wird Facebook von 1,9 Milliarden Menschen weltweit genutzt. In Deutschland nutzen das Netzwerk etwa 25 Millionen Menschen jeden Monat.

Mit dieser Entwicklung geht eine spürbare Veränderung des öffentlichen Diskurses im Netz sowie in der Gesellschaft insgesamt einher. Neben all den positiven Aspekten sehen wir leider zunehmend auch Beleidigungen, Hass, Diskriminierungen, Aufrufe zur Hetze, ja, sogar Mord. In den letzten Wochen und Monaten sind immer wieder Videos von Gewalttaten auf Internetplattformen veröffentlicht worden, so schlimm, dass man sie gar nicht beschreiben will. Nach der Veröffentlichung eines Mordvideos auf Facebook hat Mark Zuckerberg kürzlich Konsequenzen zugesagt und die Einstellung von Tausenden zusätzlichen Mitarbeitern angekündigt, die löschen sollen.

Bereits heute müssen – wir haben das mehrfach gehört – soziale Netzwerke rechtswidrige Inhalte löschen, wenn sie Kenntnis davon erlangen. Die Diensteanbieter kommen dieser Löschpflicht zwar grundsätzlich nach, allerdings nicht in dem erforderlichen Umfang und vor allem oft viel zu spät. Dabei spielt der Faktor Zeit eine ganz entscheidende Rolle. Auch wenn rechtswidrige Inhalte relativ zeitnah gelöscht werden, haben bis dahin möglicherweise Hunderttausende Menschen die Inhalte gesehen, kopiert und weiterverbreitet. Empirische Daten belegen, dass trotz der rechtlichen Verpflichtung oft zu wenig passiert und rechtswidrige Inhalte zu lange im Netz verbleiben.

Aus diesem Grund hat Justizminister Maas zunächst das Gespräch mit den Diensteanbietern gesucht. Es wurden runde Tische organisiert und sogar eine Taskforce eingerichtet. Die Bemühungen, über die Selbstverpflichtung der Anbieter eine Verbesserung zu erreichen, haben aber nicht den dringend notwendigen Erfolg gebracht. Es kam zwar Bewegung in die Diskussion. Der Druck, zu handeln, wurde erhöht; aber bislang ist viel zu wenig passiert.

Als Unionsfraktion haben wir uns intensiv mit der Entwicklung von und auf sozialen Medien auseinandergesetzt. Wir haben einen Fraktionskongress zum Thema „Hassrede und Fake News“ veranstaltet,

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)

mit Wissenschaftlern und Experten diskutiert und anschließend ein Positionspapier entwickelt. Wir sehen, dass wir der Entwicklung nicht nur, aber auch mithilfe gesetzlicher Regelungen begegnen müssen. Das Positionspapier ist für uns Grundlage dafür. Es steht seit dem Fraktionskongress im Januar dieses Jahres. Von Volker Kauder bis Thomas Jarzombek und Nadine Schön waren alle anwesend. Alle tragen dieses Positionspapier mit. Das ist unsere Grundlage. Da besteht Einigkeit in der Union.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Mit der gesetzlichen Regelung verfolgen wir das klare Ziel, wirksame Verfahren zu implementieren, um strafrechtlich relevante Inhalte zu identifizieren und die Rechtsdurchsetzung zu stärken. Es gilt aber auch, die oftmals schwierige Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrechten sicherzustellen und sehr genau darauf zu achten, dass die Regelung keine Eigendynamik zulasten der Meinungsfreiheit auslöst. Ein Löschen auf Vorrat darf und wird es mit uns nicht geben.

Ich möchte drei Punkte aus dem vorliegenden Gesetzentwurf herausgreifen und die Frage stellen, ob die grundsätzlich gute Absicht des Gesetzentwurfs tatsächlich zu einem guten Ergebnis führt. Der Kollege Klingbeil wird einige Punkte erkennen, bei denen auch er Änderungsbedarf angemeldet hat.

Erstens. Sehen wir uns den Anwendungsbereich an. Wen betrifft das Gesetz? In § 1 steht:

Dieses Gesetz gilt für Telemediendienstanbieter, die mit Gewinnerzielungsabsicht Plattformen im Internet betreiben, die es Nutzern ermöglichen, beliebige Inhalte mit anderen Nutzern auszutauschen, zu teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen …

Ausgenommen sind soziale Netzwerke im Inland mit weniger als 2 Millionen Nutzern.

Nach dieser Definition wären zunächst sehr viele Plattformen eingeschlossen. Zwar wurde der Anwendungsbereich in der Begründung näher definiert, es stellt sich aber die Frage, ob dies ausreichend ist und nicht einer Klarstellung in § 1 bedarf. Ich meine schon. In der Begründung wird ausgeführt, dass mit dem Gesetz maximal zehn soziale Netzwerke erfasst werden sollen. Es muss aber eindeutig klargestellt sein, dass wir nicht beispielsweise E-Mail-Dienste oder Bewertungsportale oder auch innovative Geschäftsmodelle von Start-ups durch unverhältnismäßige Auflagen verhindern bzw. unmöglich machen. In diesem Zusammenhang müssen wir auch über den Schwellenwert von 2 Millionen Nutzern sprechen. Es gibt Plattformen, die, je nach Definition, möglicherweise keine 2 Millionen Nutzer in Deutschland haben, aber durchaus gesellschaftlich relevant sind. Also, ich denke, eine Konkretisierung des Anwendungsbereichs ist zwingend erforderlich.

Der zweite Themenbereich, den ich herausgreifen möchte, sind die Qualitätsstandards. Im Gesetz werden vollkommen zu Recht Standards zum Umgang mit Beschwerden eingeführt, Standards aus dem Land und in dem Land, in dem die Dienste angeboten werden. Es ist absolut richtig, den Plattformen Qualitätsstandards abzuverlangen. Das ist auch ein zentraler Ansatz des Entwurfs. Er umfasst die verpflichtende Einführung eines Beschwerdemanagements, regelmäßige Berichtspflichten, die Verhängung von Bußgeldern bei Verstößen gegen die Berichtspflichten und bei Fehlen eines Beschwerdemanagements. Insbesondere halten wir die in § 5 geforderte Benennung eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten für zwingend notwendig. Dies sind absolut sinnvolle Maßnahmen, übrigens alles Punkte unseres Positionspapiers. Diese Maßnahmen schaffen Transparenz und führen einen Mechanismus ein, wie mit Beschwerden umgegangen werden muss.

Drittens. Die meistdiskutierte und zentrale Frage ist: Wer entscheidet, was gelöscht wird und nach welchen Kriterien? Wie bereits erwähnt, sind Plattformen auch heute schon verpflichtet, rechtswidrige Inhalte zu löschen, wenn sie Kenntnis davon haben. Dies geschieht bisher nach unternehmensinternen Kriterien auf eine intransparente Art und Weise. Bereits diese bisherige Praxis ist zu hinterfragen. Wollen wir tatsächlich den Unternehmen die alleinige Entscheidung darüber überlassen, welche Inhalte gelöscht werden und welche nicht? Ich meine, nein. Wir brauchen einen rechtsstaatlichen Mechanismus, der einer Entscheidung über die Löschung oder den Verbleib eines Inhalts vorgeschaltet werden muss, einen Mechanismus, der sicherstellt, dass die nicht eindeutig rechtswidrigen Inhalte einer sorgfältigen rechtlichen Prüfung unterzogen werden. Er würde darüber hinaus für Rechtssicherheit aufseiten der Betreiber und Nutzer sorgen und einer unverhältnismäßigen Löschpraxis vorbeugen.

(Beifall der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE] – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)

Aus dem Bereich des Jugendmedienschutzes kennen wir das Modell der Beschwerdestellen, die sehr erfolgreich mit der Justiz zusammenarbeiten. Dieses Modell der regulierten Selbstregulierung, das von allen Rednern der Union bisher genannt wurde, kann ein Vorbild sein; denn dies würde bedeuten, dass nicht die Plattformbetreiber entscheiden, sondern eine vom Staat kontrollierte und von den Unternehmen finanzierte Instanz. Diese prüft alle kritischen Sachverhalte mit geschultem Personal nach klaren Kriterien. Über solch ein Modell müssen wir im parlamentarischen Verfahren reden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ob ein Inhalt rechtswidrig ist oder nicht, das liegt in vielen Fällen klar auf der Hand. In mindestens so vielen Fällen können sich aber hervorragende Juristen stundenlang streiten und am Ende zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Die Grenze zwischen der Meinungsfreiheit und der Verletzung von Persönlichkeitsrechten ist oft fließend und bedarf einer eingehenden fachlichen Prüfung.

Die Intention des Gesetzes ist absolut richtig: Wir wollen und müssen eine Verbesserung bei der Rechtsdurchsetzung erreichen. Was rechtswidrig ist, muss aus dem Netz verschwinden, so schnell wie möglich. Opfern von Hasskriminalität und anderen strafbaren Inhalten muss zu ihrem Recht verholfen werden. Ein Löschen auf Vorrat darf und wird es mit uns aber nicht geben.

Vielen Dank.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7111300
Wahlperiode 18
Sitzung 235
Tagesordnungspunkt Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta