19.05.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 235 / Tagesordnungspunkt 39

Ute Finckh-KrämerSPD - Historische Verantwortung für die Ukraine

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer oben auf den Tribünen! Ich erkenne genau wie alle Vorredner die historische Verantwortung für die Ukraine und die anderen von Deutschland besetzten Territorien der ehemaligen Sowjetunion uneingeschränkt an und möchte daran erinnern, dass deutsche Nichtregierungsorganisationen wie Aktion Sühnezeichen Friedensdienste in diesen Territorien schon vor dem Ende der Sowjetunion aktiv waren.

Ich selber bin mehr zufällig 1983 nicht in Babi Jar, wo ASF schon damals aktiv war, sondern in Chatyn gewesen. Ich bin mit einer anderen kirchlichen Gruppe noch zu Zeiten der Sowjetunion in Leningrad gewesen und habe dort das beeindruckende Hungermuseum besucht. Egal an welchem Gedenkort man gewesen ist, es lässt einen nicht wieder los. Ein solcher Besuch gibt einem eine Vorstellung davon, was diese Länder Fürchterliches durchgemacht haben.

(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])

Die Konsequenz darf nicht nur sein, zu überlegen, wie wir der historischen Verantwortung gerecht werden können. Vielmehr müssen wir – dieser Punkt wurde noch nicht genannt – jeder Schlussstrichdebatte, jeder Debatte, die zum Ziel hat, unsere historische Verantwortung zu relativieren, entschieden entgegentreten, und zwar in unserer gesamten Gesellschaft und nicht nur hier im Bundestag.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU])

Die entscheidende Frage lautet, was daraus für unsere Zusammenarbeit mit den mittel- und osteuropäischen Staaten folgt, sowohl mit denen, die damals zum Warschauer Pakt gehört haben, als auch mit denen, die einst zur Sowjetunion gehört haben. Es gibt historische Erfahrungen, auf die wir aufbauen können, nämlich die Erfahrungen mit der deutschen Teilung. Die Situation im Verhältnis der Ukraine zu Russland ähnelt derjenigen, die wir zwischen 1949 und 1989 in Deutschland hatten. Es gibt viele verwandtschaftliche Beziehungen zwischen den Menschen, die in der Ukraine leben, und den Menschen, die in Russland leben. Nach den Zahlen, die ich kenne, hat ein Drittel der ukrainischen Bevölkerung Verwandte in Russland. Umgekehrt ist es ähnlich. Ob die russischsprachigen sozialen Netzwerke in der Ukraine noch zugänglich sind, betrifft nicht nur die Pressefreiheit, sondern auch die Frage, ob Europa diese Kontakte, wie sie auf ähnliche Weise zwischen der Bundesrepublik und der DDR bestanden, erhalten und so eine Kommunikation zwischen diesen beiden Ländern auf der persönlichen Ebene ermöglichen will.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Genauso wichtig ist die Rolle, die Deutschland im Geiste der Entspannungspolitik von Willy Brandt, der nicht nur einen Ausgleich mit der Sowjetunion, sondern auch mit Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei gesucht hat, spielen kann. Was müssen wir tun, um gutnachbarschaftliche Beziehungen zwischen den ehemaligen Sowjetrepubliken zu schaffen? Wie können wir die anderen Länder einbeziehen, wenn es etwa um die Demokratisierung in der Ukraine und die Weiterentwicklung der ukrainischen Verfassung geht.

Aus meiner Sicht war Folgendes ein sehr guter Ansatz: Damals, als die Gewalt auf dem Maidan eskalierte, ist der deutsche Außenminister zusammen mit dem französischen und dem polnischen Außenminister nach Kiew gefahren, um zu einer Gewaltdeeskalation beizutragen. Damit haben ein Staat, der im Zweiten Weltkrieg aufseiten der Sowjetunion gekämpft hat, ein Staat, der besonders gelitten hat und ein Nachbar der Ukraine ist – ich meine Polen –, und Deutschland gemeinsam Verantwortung für den europäischen Nachbarn Ukraine übernommen. Das Normandieformat, das geschaffen wurde, um zu versuchen, den Bürgerkrieg mit russischer Einmischung in der Ostukraine zu deeskalieren, hat sich als tragfähig erwiesen. Polen ist zwar nicht Mitglied dieser Verhandlungsgruppe, wird aber von Deutschland und Frankreich eng eingebunden.

(Beifall bei der SPD)

Insofern bedeutet Verantwortung zu übernehmen, alles zu tun, um den Bürgerkrieg in der Ostukraine zu beenden. Dabei geht es um die Beteiligung Deutschlands an der Monitoring Mission und an immer neuen Vorschlägen, wie man zu einer Deeskalation bzw. zu einem Waffenstillstand, der Voraussetzung für einen Friedensprozess ist, kommen kann. Es geht aber auch um die ständigen Bemühungen um die Östliche Partnerschaft mit allen Staaten, die sich als ehemalige Sowjetrepu­bliken zu Europa zählen und bis auf Belarus Mitglieder des Europarates sind. Mit diesen Staaten unterhalten wir enge Beziehungen und wollen das auch weiter tun. Dazu gehören Städtepartnerschaften, und dazu gehört die gemeinsame Arbeit im Europarat. Weiter gehören dazu zivilgesellschaftliche – zum Beispiel kulturelle – Kontakte. Damit werden wir, glaube ich, unserer Verantwortung so gut gerecht, wie wir es angesichts der unvergleichlichen Verbrechen des Zweiten Weltkrieges nur tun können.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vielen Dank, Ute Finckh-Krämer. – Nächste Rednerin ist Elisabeth Motschmann für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7111309
Wahlperiode 18
Sitzung 235
Tagesordnungspunkt Historische Verantwortung für die Ukraine
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