19.05.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 235 / Tagesordnungspunkt 42

Michael GerdesSPD - Stress in der Arbeitswelt

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit knapp zwei Wochen liegt die Standortbestimmung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zur psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt auf dem Tisch. Wir müssen festhalten, dass sich arbeitsbedingter Stress negativ auf die Gesundheit von Erwerbstätigen auswirkt. Die Zahlen derer, die aufgrund psychischer Erkrankungen am Arbeitsplatz fehlen oder eine Erwerbsminderungsrente beantragen, sprechen leider für sich.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das aber schon lange, oder?)

Wir sollten dringend über Gegenmaßnahmen nachdenken, wenn wir vermeiden wollen, dass sich psychische Leiden aufgrund von Arbeit ausbreiten und gegebenenfalls ein Fall für die Berufskrankheiten-Liste werden.

Anknüpfend an die lange Tradition des Arbeitsschutzes in Deutschland sind wir gut beraten, unsere Vorschriften an die Arbeitswelt 4.0 anzupassen. Technischer und psychosozialer Arbeitsschutz müssen stärker miteinander verknüpft werden. Am Beispiel betrachtet: Das Messen von übermäßigen Geräuschen und zu schwachen Lichtquellen in Büroräumen reicht allein nicht mehr aus. Wohlbefinden in der digitalisierten Arbeitswelt hängt mehr und mehr davon ab, ob wir Zeitdruck haben oder ob wir beispielsweise von permanent eingehenden E-Mails gestört werden. Bisher hat sich der Arbeitsschutz auf den Betrieb bzw. den Arbeitsort konzentriert. Moderner Arbeitsschutz muss auch den Feierabend in den Blick nehmen. Die Studien sagen uns nämlich, dass es darauf ankommt, wie gut wir von der Arbeit abschalten können.

Es liegt nun an uns und an den Sozialpartnern, die 10 Empfehlungen der BAuA politisch zu bewerten und Konsequenzen daraus zu ziehen. Das wird wohl angesichts der zu Ende gehenden Legislaturperiode noch einige Zeit dauern. Trotzdem möchte ich eines vorwegnehmen: Die SPD-Fraktion ist von der Idee einer Anti-Stress-Verordnung überzeugt. Entscheidend dabei ist: Psychische Belastungen im Erwerbsleben müssen raus aus der Tabuzone.

(Beifall bei der SPD)

Vielerorts werden stressbedingte Arbeitsausfälle und Unfälle unterschätzt. Wir dürfen arbeitsbedingten Stress nicht mit einem herausfordernden Arbeitsalltag verwechseln. Umgekehrt finde ich es auch wichtig, Arbeit positiv zu besetzen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Arbeit ist kein grundsätzlicher Stressfaktor. Arbeit schafft materielle und immaterielle Werte, die uns Menschen guttun.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Stress heißt, mit etwas nicht fertig zu werden. Stress am Arbeitsplatz entsteht durch eine psychische Überlastung. Das empfindet jeder Mensch anders. Die gute Nachricht ist, dass wir Stress bewältigen können, wenn wir den Menschen die richtigen Mittel zur Verfügung stellen. Dazu gehört zum Beispiel auch eine Gefährdungsbeurteilung, in der danach gefragt wird, ob jemand genügend Zeit für die Erledigung seiner Arbeit hat und ausreichend Wissen für die jeweilige Aufgabe hat.

Mir ist klar, dass wir als Gesetzgeber gesunde Arbeitsprozesse nicht bis ins kleineste Detail gestalten und regeln können. Wir benötigen praxistaugliche Ansätze direkt im Betrieb.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen machen wir eine Verordnung, oder?)

Einerseits ist das Zusammenspiel zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sowie unter Kolleginnen und Kollegen gefragt. Andererseits müssen sich die gesetzlich vorgesehenen Akteure des Arbeitsschutzes stärker auf die psychischen Belastungen am Arbeitsplatz fokussieren. Hier kommen auch strukturelle Fragen auf uns zu: Haben wir ausreichend Betriebsärzte und Arbeitsmediziner? Wie bilden wir Arbeitsschutzakteure weiter? Wie bringen wir das neue Arbeitsschutzwissen besser in die Betriebe? Gibt es ausreichend Kontrollen?

Mir geht es nicht darum, Sanktionen auszusprechen. Gerade in kleinen und mittleren Unternehmen fehlt es schließlich nicht an der Bereitschaft zur Fürsorge, sondern es mangelt eher an technischen, finanziellen und personellen Ressourcen. Sie brauchen externe Hilfen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ziel muss sein, dass weitaus mehr Betriebe als bisher die notwendige Gefährdungsbeurteilung durchführen, und zwar nicht für den Aktenschrank, sondern um herauszufinden, welche Maßnahmen die körperliche und mentale Gesundheit des Arbeitnehmers schützen. Die Gefahr der Überregulierung durch eine eigenständige Verordnung zur psychischen Gesundheit sehe ich momentan nicht. Wir brauchen Verbindlichkeit und Konkretisierung.

Psychosoziale Risiken am Arbeitsplatz – das ist für viele ein diffuses und abstraktes Thema. Was meinen wir denn eigentlich? Welche Risiken gibt es konkret? Worauf müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer achten? Im Rahmen der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie wurden bereits gute Empfehlungen zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung bei psychischer Belastung zusammengetragen. Hiermit müssen wir in die Fläche.

Gute Praktiken beim Sicherheits- und Gesundheitsschutzmanagement in den Unternehmen bedeuten nicht nur Aufwand, sondern geben auch erkennbare Vorteile: Eine gesunde und motivierte Belegschaft ist produktiv. Sie ermöglicht es den Unternehmen, wettbewerbsfähig und innovativ zu bleiben. Wer gesunde Mitarbeiter hat, hält wertvolle Qualifikationen und Berufserfahrung im Unternehmen.

Geringere Fehlzeiten und Krankenstände bedeuten weniger Kosten infolge von Erwerbsunfähigkeit. Wir müssen also gemeinsam mit den Unternehmen darauf abzielen, Erwerbstätige vor Berufsunfähigkeit zu bewahren. Das Gesundheitsmanagement der Betriebe und die Eingliederung nach langer Krankheit sind daher eine große Herausforderung. Ohne Prävention wird es vor dem Hintergrund der älter werdenden Gesellschaft nicht gehen.

Wir brauchen eine neue Regelung, eine Regelung, die den Namen Anti-Stress-Verordnung trägt.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätte man doch schon auf den Weg bringen können!)

Das würde der Bedeutung der mentalen Gesundheit in der modernen Arbeitswelt Rechnung tragen.

Herzlichen Dank und Glück auf!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie sind vorbildlich in der Zeit geblieben. Wenn alle nachfolgenden Kollegen sich daran halten, wäre das sehr schön. – Jutta Krellmann hat als nächste Rednerin das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7111358
Wahlperiode 18
Sitzung 235
Tagesordnungspunkt Stress in der Arbeitswelt
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