19.05.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 235 / Tagesordnungspunkt 42

Martin RosemannSPD - Stress in der Arbeitswelt

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zur Einordnung dieser Debatte will ich ein paar allgemeine Bemerkungen voranstellen.

Ich finde immer noch: Für die allermeisten Menschen in unserem Land ist es wirklich besser, wenn sie Arbeit haben, als wenn sie keine Arbeit haben.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Das hat damit zu tun, dass Arbeit die Grundlage für unseren Wohlstand ist, dass Arbeit materielle und soziale Sicherheit für jeden Einzelnen ermöglicht und dass Arbeit ein Stück weit auch Selbstverwirklichung bedeutet. Deswegen ist Arbeit für jeden Einzelnen und jede Einzelne, aber auch für die Gesellschaft insgesamt wichtig.

Klar ist: Unsere Arbeitswelt ist im Wandel. Dieser Wandel vollzieht sich im Zuge der Digitalisierung immer schneller, und das stellt uns vor Herausforderungen. Auch in den letzten Jahren und Jahrzehnten gab es Veränderungen in der Arbeitswelt, die mit einer Verdichtung der Arbeitsbelastung und tatsächlich mit mehr Stress verbunden waren.

Die Kolleginnen und Kollegen, die vor mir gesprochen haben, haben schon darauf hingewiesen: Die Zahl der psychischen Erkrankungen hat zugenommen. Besonders alarmierend ist, dass der Grund für den Zugang in die Erwerbsminderungsrente zunehmend psychische Erkrankungen sind. Seit 1993 ist der Anteil sehr stark gestiegen.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fast 50 Prozent!)

1993 waren 15 Prozent derjenigen, die in die Erwerbsminderungsrente gegangen sind, psychisch erkrankt, 2015 betrug der Anteil sage und schreibe 43 Prozent. Damit sind sie mittlerweile die größte Krankheitsgruppe unter den Neuzugängen in die Erwerbsminderungsrente. Natürlich kann das die Politik und uns alle nicht kaltlassen. Deswegen sind wir hier auch alle in der Verantwortung.

Ich glaube, das Wichtigste, was wir in dieser Debatte sagen müssen, wenn wir über ein so zentrales Thema am Freitagnachmittag um 14 Uhr diskutieren, ist – das sage ich mit Blick auf alle, die hier im Saal sind, also auch auf die Besucher auf den Tribünen –: Es ist für uns alle entscheidend, dass wir psychische Erkrankungen in dieser Gesellschaft endlich enttabuisieren, damit sie rechtzeitig angegangen werden können.

(Beifall bei der SPD)

Dazu gehört, dass wir Prävention und Rehabilitation viel stärker in Verbindung mit dem Arbeitsplatz sehen. Genau hier haben wir in dieser Legislaturperiode angesetzt. Es kann doch nicht die Rede davon sein, wir hätten nichts getan.

Mit dem sogenannten Flexirentengesetz

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach Gott! Das reduziert Stress am Arbeitsplatz?)

und dem Bundesteilhabegesetz haben wir Prävention und Rehabilitation an unterschiedlichen Stellen gestärkt, und gerade mit Blick auf psychische Erkrankungen haben wir Modellvorhaben gestartet und für diese Modellvorhaben mehr Mittel im Bereich der Arbeitsverwaltung, der Jobcenter und der Rentenversicherung bereitgestellt. Das, was dabei an guten Praktiken herauskommt, müssen wir in den kommenden Jahren auch dauerhaft umsetzen.

(Beifall bei der SPD)

Was wir auch im Blick haben, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist das betriebliche Eingliederungsmanagement, wenn jemand nach langer Krankheit an den Arbeitsplatz zurückkehrt und die Betriebe ihn wieder in den Arbeitsprozess eingliedern sollen. Das ist eine wichtige Aufgabe, die neben dem Arbeitgeber auch die Kolleginnen und Kollegen bzw. das ganze Team angeht und bei der es wichtig ist, dass die Betroffenen nach der Rückkehr tatsächlich wieder ihren Arbeitsplatz erhalten.

Das Hauptproblem ist, dass das betriebliche Eingliederungsmanagement gerade in Klein- und Kleinstbetrieben wenig bekannt ist und die Unternehmen nicht wissen, wie sie so etwas umsetzen können. Deswegen haben wir die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation dazu gebracht, eine Empfehlung dazu abzugeben und Mindeststandards vorzuschlagen, die dann auch in Klein- und Kleinstbetrieben umgesetzt werden können.

(Beifall bei der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ändert noch nichts an der Ursache!)

Hinter all dem steht die Vorstellung, dass wir – der Staat, die Gesellschaft und die Sozialversicherungen – die Beschäftigten während des Arbeitslebens sehr viel stärker als bisher beraten, begleiten und unterstützen müssen.

Wichtig ist aber mit Sicherheit noch ein zweites Thema, nämlich das Thema Arbeitszeit. Ich stimme vielem zu, was Beate Müller-Gemmeke dazu gesagt hat. Die Arbeitszeitwünsche der Beschäftigten weichen in hohem Maße von den tatsächlich gearbeiteten Arbeitszeiten ab. Das gilt übrigens nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer. Wenn wir da zu mehr Flexibilität kommen wollen, dann muss sie nicht nur für die Frauen, sondern auch für die Männer gelten.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht auch in unserem Antrag so drin!)

Sonst kriegen wir nämlich nicht beides zusammen. Wir bekommen es nämlich nicht hin, dass Frauen ihre Arbeitszeit gegenüber der Zeit im privaten Bereich erhöhen, wenn wir nicht gleichzeitig den Männern mehr Zeit für den privaten Bereich ermöglichen, indem sie weniger arbeiten.

Genau an der Stelle setzen wir mit den Maßnahmen an, die wir in dieser Wahlperiode auf den Weg gebracht haben. Das Elterngeld Plus beispielsweise macht für Eltern von kleinen Kindern Teilzeitbeschäftigung attraktiver und ermöglicht einen längeren Bezug des Elterngelds, wenn man sich das partnerschaftlich teilt. Da wollen wir nicht stehen bleiben.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kommt denn noch das Rückkehrrecht in dieser Legislaturperiode? Kommt das noch?)

– Ja, das Rückkehrrecht ist ein gutes Stichwort. Wir wollen das Rückkehrrecht auf Vollzeit bzw. die befristete Teilzeit. Das wird – das sage ich deutlich – von der rechten Seite dieses Hauses blockiert.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen noch mehr – Andrea Nahles hat es auch im Weißbuch Arbeiten 4.0 deutlich gemacht –: Wir wollen die starre Trennung von Vollzeit und Teilzeit aufgeben und durch Wahlarbeitszeitmodelle zu einer flexibleren Form von Vollzeit kommen. Andrea Nahles will gemeinsam mit den Tarifpartnern flexible Arbeitszeitmodelle umsetzen, indem sie Öffnungsklauseln in den Tarifverträgen vorschlägt,

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das kann nicht sein, dass die Tarifverträge angegriffen werden! Das ist nicht gut!)

die zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern unter bestimmten Qualitätsstandards vereinbart werden.

Herr Kollege, Sie müssen jetzt sehr zügig zum Schluss kommen.

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. – Insgesamt geht es um mehr Zeitsouveränität und vor allem um eine größere Flexibilität, die auch und insbesondere den Beschäftigten und ihren Bedürfnissen nutzt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Dann können Sie unserem Antrag zustimmen!)

Als nächste Rednerin hat Christel Voßbeck-Kayser für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7111365
Wahlperiode 18
Sitzung 235
Tagesordnungspunkt Stress in der Arbeitswelt
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