Frank HeinrichCDU/CSU - Menschenrechtspolitikbericht der Bundesregierung
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 2015 sind laut der Organisation IOM 3 771 Kinder, Frauen und Männer auf der Flucht nach Europa im Mittelmeer gestorben. Ich erinnere mich, wie schwer mir ums Herz war – das teile ich wahrscheinlich mit dem einen oder anderen –, als wir am Anfang gewissermaßen nur ohnmächtig vor dieser Situation standen. Wie erklärt man irgendwann einmal seinen Kindern oder Enkeln, dass sie jetzt in den Urlaub an einen Ort fahren, der zu einem Massengrab geworden ist – und wir vielleicht nicht genug unternommen haben?
In meiner Fraktion haben wir damals angefangen, zu diskutieren. Fluchtursachen, Flüchtlinge, Flüchtlingspolitik: Was wollen wir tun? Dies haben wir zum ersten Mal über die Disziplinen hinweg getan. Die Aufnahme von Hunderttausenden Asylsuchenden hat unser Land finanziell, personell und organisatorisch ziemlich herausgefordert. Aber unser Staat hat bewiesen – der Bericht belegt das auf einigen Seiten im Mittelteil, und das Deutsche Institut für Menschenrechte hat uns das letzte Woche in der Anhörung noch einmal deutlich bestätigt –, dass Deutschland seiner Verantwortung entsprechend gut reagiert hat, wenn auch nicht an allen Stellen richtig, und wir diesem Anspruch gerecht werden. Das waren mutige Entscheidungen, die unser Land, die unsere Kanzlerin getroffen hat; darauf bin ich ziemlich stolz.
Inzwischen geht es aber nicht mehr nur um Deutschland, sondern auch um ein gemeinsames europäisches Asylsystem. Die Herausforderungen können nur gemeinsam angegangen werden, zumindest für uns als Europäer. Das einzig mögliche erfolgreiche Handeln kann nur das gemeinsame sein.
Wir erleben eine Polarisierung der Gesellschaften – einer meiner Kollegen hat das eben gesagt –, die die Migrationsströme noch verschärft. Die Wahlen in den USA und in Frankreich scheinen eine Spaltung unserer Völker im Inneren aufzuzeigen: Es gibt die Weltliberalen auf der einen Seite und die sogenannten Patrioten auf der anderen Seite. Die Anführer der Letztgenannten stellen uns vor Gefahren, die uns gut in Erinnerung sind: Fremdenfeindlichkeit, Populismus, Isolationismus. Das ist das Klima – Stichwort „Shrinking Space“ –, in dem die Menschenrechte unter Druck geraten und in dem sie sich behaupten müssen, wie das Kollegen bereits dargestellt haben.
Wenn der US-Präsident in diesem Klima bereit ist – ich habe die Wahl in den USA gerade schon angesprochen –, illegale Einwanderer von ihren Kindern zu trennen, wenn er, wie wir seit Beginn der Debatte wissen, den Klimaschutzkonsens kündigen wird – ich musste deshalb mein Skript ändern –, was unabsehbare Folgen wie ausgetrocknete Böden, mangelnde Ernährung und fehlende Wasserversorgung nach sich zieht, wenn er während des Wahlkampfes Frauen beleidigt – und wir könnten noch mehr Punkte aufzählen –, dann sind das Signale, auf die sich andere Länder gerne berufen. Wir dürfen mit Blick auf die schon existierenden und auch auf die bereits angekündigten Menschenrechtsverletzungen nicht schweigen.
Dieses Jahr ist jeder 50. Flüchtling auf seinem Weg über das Mittelmeer ertrunken. Fast all diese Menschen flüchteten aus Nigeria, Eritrea und anderen afrikanischen Ländern, weil sie dort keine Zukunft sahen.
Ich möchte meine Schwerpunkte auf vier Themen legen. Das erste Thema ist die humanitäre Hilfe. Wir haben unseren Ausschuss bewusst Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe genannt. Das Ziel Nummer eins in der Agenda 2030 ist keine Armut.
Das zweite Thema ist Shrinking Space.
Das dritte Thema möchte ich am Beispiel von Afrika behandeln, einem Kontinent, der unser Nachbarkontinent ist. Wir müssen – das haben Sie, Herr Koenigs, angesprochen – Kohärenz fordern. Da sehe ich tatsächlich noch Nachholbedarf.
Als letztes Thema nenne ich die Verantwortung. Das betrifft Kapitel D in dem Bericht der Bundesregierung, die ich dazu beglückwünsche. Dieses Kapitel behandelt die Zukunft.
Wir sollten, wenn wir Afrika betrachten, nicht immer nur Elend und Krieg wahrnehmen. Wir sollten auch das Positive in Afrika sehen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Die Afrikanische Union hat 54 Mitgliedsländer. Dort gibt es inzwischen sehr viele kreative und gebildete Jugendliche. Wir haben in vielen Staaten einen Boom. Die digitale Revolution findet dort schneller statt als hier; wir hinken mittlerweile hinterher. Netzunabhängige Solarenergiesysteme in kleinstem Maßstab werden dort entwickelt. Es sind afrikanische Lösungen für afrikanische Probleme. Ich nehme Afrika immer weniger als kleine Schwester wahr, die wir zu betreuen haben, sondern als großen Bruder, der uns etwas zu bieten hat. Wir müssen uns auf Augenhöhe begegnen.
Afrika ist unser Nachbarkontinent. Wir brauchen nachhaltige Beziehungen, die unsere Kontinente stärken. Aber natürlich gibt es eine Diskrepanz. Letzten Monat hat Herr Adesina, der Präsident der Afrikanischen Entwicklungsbank, einigen von uns Folgendes erzählt: Da ist ein junger Mann in Mali, der einen Job sucht und auch eine gute Ausbildung hat. Er will seinen Lebensunterhalt bestreiten, ist motiviert, optimistisch und bereit, viel zu arbeiten. Aber er wird nicht angestellt, weil ein Hindernis im Weg steht: Er hat noch keine Erfahrung. Zum wiederholten Male bekommt er eine Ablehnung. Dann erfährt jemand, dass er Arbeit sucht, und sagt ihm: Ich hätte da etwas. – Der junge Mann freut sich sehr und ist dankbar – bis er hört, welche Arbeit der Mann ihm anbietet. Der Mann sagt: Sie können Terrorist werden. – Auch das ist ein Grund für Menschen, aus ihren Heimatländern zu flüchten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Regierung macht – das haben schon einige Kollegen gesagt – sehr viel richtig. Ich nenne als Beispiel den Marshallplan nicht für, sondern mit Afrika. Es geht in den afrikanischen Ländern darum, eine höhere Wertschöpfung zu erreichen, durch Ausbildung mehr Beschäftigung zu generieren und Wachstum zu erzielen. Es geht nicht nur darum, Entwicklungshilfe im engeren Sinne zu leisten. Wenn aber Entwicklungshilfe geleistet wird, sollte diese an die Einhaltung der Menschenrechte gekoppelt werden.
Dieses Jahr wird ein Afrika-Jahr werden. Der G-20-Gipfel in Hamburg wird Afrika eine Priorität einräumen. Im November findet der EU-Afrika-Gipfel in Abidjan statt. Das BMWi und das Finanzministerium haben Aktivitäten im Afrika-Jahr entfaltet. Diese Aktivitäten müssen unbedingt fortgeführt werden; denn wir müssen den Shrinking Space verringern.
Weiterhin wichtig ist der Gedanke der Kohärenz, die unbedingt erforderlich ist und in den Leitlinien schon formuliert ist. Die Kohärenz müssen wir noch umsetzen. Es geht beispielsweise um die Kohärenz in der Entwicklungs-, Sicherheits- und Handelspolitik. Ich weiß, dass Sie von den Linken darüber nicht so froh sind. Aber diese Politikfelder müssen stärker miteinander vernetzt werden. Zu diesen Bemühungen kann ich ermutigen.
Aber zur Kohärenz gehört auch, dass es kohärent handelnde Konsumenten in unserem Land gibt. Wir dürfen nicht immer nur den billigsten Kaffee, die billigste Cola und die billigste Schokolade kaufen, sodass der Bauer in der Elfenbeinküste für die Rohstoffe, die er verkauft, kaum einen Erlös erzielt und er seine Kinder in die Sklaverei verkaufen muss. Es geht nicht, dass wir die Fischgründe vor Westafrika leerfischen und gleichzeitig den Menschen vorwerfen, dass sie nach Europa kommen wollen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es geht nicht, dass wir Coltan, das für die Produktion von Handys gebraucht wird, aus dem Ost-Kongo nutzen und damit die Kriegsökonomie nähren und das Blutbad verschlimmern. Wir sollten den Handel mit solchen Rohstoffen in Verhandlungen zum Thema machen. Wir sind mit dem Nationalen Aktionsplan vielleicht noch nicht so weit, wie Sie, Herr Kollege, es gerne hätten, aber die ersten Schritte sind gemacht.
Ich komme zu meinem letzten Punkt. In dem Ausblick zu dem Bericht steht sehr deutlich, dass wir nicht einfach sagen können, was in Afrika passieren muss. Das ist auch die Haltung des Entwicklungsausschusses. Wir müssen mit den Menschen vor Ort zusammenarbeiten. Die politischen Eliten müssen Verantwortung übernehmen. Da braucht es schmerzhafte Prozesse. Die afrikanischen Probleme müssen auf afrikanische Weise gelöst werden.
Da braucht es noch eine ganze Menge an Arbeit. Das können wir auch nur unterstützen. Deshalb möchte ich mit zwei Zitaten von Nelson Mandela, einem meiner Heroes aus Afrika, zum Ende kommen:
Wenn man einen hohen Berg bestiegen hat, stellt man fest, dass es noch viele andere Berge gibt.
In dem Wissen um die viele Arbeit, die vor uns liegt – der nächste Bericht wird kommen –, müssen wir das Schicksal jedes Einzelnen vor Augen haben. Dazu sagte Mandela:
Einem Menschen seine Menschenrechte verweigern bedeutet, ihn in seiner Menschlichkeit zu missachten.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7114492 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 236 |
Tagesordnungspunkt | Menschenrechtspolitikbericht der Bundesregierung |