Simone RaatzSPD - Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie viele von Ihnen spreche ich häufig mit Vertretern von Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Häufig geht es dabei um die Situation unseres wissenschaftlichen Nachwuchses. Vor einigen Tagen erzählte mir ein Professor von seiner Hochschulleitung, die alles daransetzt, die jungen Forscher verantwortungsvoll auf ihrem weiteren Weg zu begleiten. So sollen sich Postdocs weiterqualifizieren. Sie bekommen Unterstützung beim Beantragen von Fördermitteln, und der Kontakt mit Partnerhochschulen im Ausland hat höchste Priorität. So können sich die jungen Wissenschaftler von Beginn an international vernetzen.
Man unternimmt an dieser Hochschule alles, um die klügsten Köpfe zu fördern und in der Forschung und im Land zu halten. Aber auch der Kontakt außerhalb der Wissenschaft wird gesucht, um Berufsperspektiven in Wirtschaft und Gesellschaft aufzuzeigen. Man muss sagen: An dieser Hochschule läuft vieles gut. Man kümmert sich um den wissenschaftlichen Nachwuchs. Aber wir wissen auch alle, dass das kein Normalfall ist. Das ist leider bis heute eine Ausnahme. Der Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs stellt diesmal einmal mehr fest: Junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland sind – und ich zitiere – „hochgradig unzufrieden mit den Aufstiegsmöglichkeiten, der Arbeitsplatzsicherheit und der Planbarkeit ihrer Karriere“.
Wir haben in dieser Legislatur wichtige Gesetzesvorhaben verabschiedet; Frau Wanka ist gerade darauf eingegangen. Mit diesen Maßnahmen wollen wir gegensteuern und haben wir gegengesteuert. Wir haben das Wissenschaftszeitvertragsgesetz novelliert und damit reformiert. Frau Gohlke, ich gebe Ihnen recht: Qualifizierung zu definieren, war eigentlich unser Wunsch. Das hat unser Koalitionspartner so nicht mitgetragen. Auf der anderen Seite muss ich aber auch sagen: Wir haben an unseren Universitäten und allgemein an unseren Hochschulen intelligente Menschen; sie wissen doch eigentlich, was eine Qualifizierung bedeutet. Wir sind ja nicht die Erziehungsberechtigten unserer Professorinnen und Professoren.
(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das stimmt wohl!)
Eigentlich müssen sie von alleine darauf kommen, was im Wissenschaftsbetrieb unter Qualifizierung zu verstehen ist.
Wir haben auch den Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs verabschiedet und 1 000 zusätzliche Stellen geschaffen. Ich hoffe, dass es bei dem Wort „zusätzlich“ bleibt; denn man merkt, dass daran schon wieder gedoktert wird.
Eigentlich muss man sagen – das kann man als Quintessenz dieser Legislatur gemeinsam feststellen –: Wir haben wichtige Projekte auf den Weg gebracht, und darauf können wir stolz sein.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Insofern ist es für mich enttäuschend, dass die meisten Zahlen im vorliegenden Bericht hoffnungslos veraltet sind. Wie kann es zum Beispiel sein, dass es seit 2011 keine Erhebung zur Laufzeit von Arbeitsverträgen mehr gibt? Dafür fehlt mir das Verständnis. Es sind auch viele Zahlen von 2014 enthalten. Also, es tut mir leid! Gerade auch vor dem Hintergrund der Projekte, die wir in dieser Legislatur beigesteuert haben – darüber haben wir geredet –, sollte man das Bundesministerium für Bildung und Forschung beauftragen, hier nachzuarbeiten. Ich habe Sie, Frau Professor Wanka, so verstanden, dass hier etwas passiert. Aber ich muss sagen: Uns hier so einen Bericht mit Zahlen von 2011 vorzulegen, finde ich schon ein bisschen dürftig.
Dennoch – das macht der Bericht deutlich –: Es ist schwer, die Arbeit in der Wissenschaft mit dem Familienleben zu vereinbaren. Ich muss sagen: Wir sprechen hier eben nicht über junge Doktoranden mit Ende 20 – das wird uns ja immer vorgehalten; es wird gesagt: die jungen Leute qualifizieren sich, sie promovieren noch usw. –, sondern über bereits promovierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter 45, von denen immer noch vier von fünf nur über Zeitverträge beschäftigt sind. Daher verstehe ich nicht – vielleicht muss man da noch einmal gemeinsam in den Bericht schauen –, warum unsere Ministerin gerade sagte, dass hier Vollbeschäftigung herrscht. Vielleicht – aber dann auf der Grundlage befristeter Verträge.
(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Außerhalb der Wissenschaft, hat sie gesagt!)
Der angebliche Nachwuchs steht doch längst mitten im Leben – ich finde den Begriff „wissenschaftlicher Nachwuchs“ sowieso ein bisschen schwierig –, und gerade, wenn man mitten im Leben steht, braucht man Planungssicherheit.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Frau Gohlke ist gerade schon darauf eingegangen: Ganze 88 Prozent der Wissenschaftler, also so gut wie alle jungen Wissenschaftler, wünschen sich Kinder. Die überwiegende Mehrheit schiebt aber dann die Familiengründung auf die lange Bank, und am Ende bleibt fast die Hälfte aller Wissenschaftlerinnen kinderlos. Es ist doch traurig, dass man in der heutigen Zeit noch abwägen muss, ob Arbeit oder Familie im Fokus steht. Ich denke, da müssen wir dringend etwas ändern.
(Beifall bei der SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es hat mich sehr irritiert, vor einigen Tagen zu erfahren, dass viele Hochschulleitungen nach wie vor wenig Bedarf für Veränderungen sehen. Laut einer aktuellen Umfrage hält die Mehrheit unserer Rektorinnen und Rektoren eine Befristungsquote von weit über 50 Prozent für absolut angemessen, und es stört sie auch nicht, dass inzwischen jede vierte Lehrveranstaltung an deutschen Hochschulen von befristetem Personal gehalten wird. Da fragt man sich doch – ich frage es mich –: Wozu haben wir eigentlich die Professoren? Was ist denn eigentlich ihre Aufgabe? Ich dachte, ihre Aufgabe ist auch, Lehre zu halten.
Ich weiß natürlich – ich habe selbst Vorlesungen gehalten –: Eine gute Lehrveranstaltung zu konzipieren und durchzuführen, ist keine Routineaufgabe. Es ist fachlich anspruchsvoll und insbesondere auch zeitlich aufwendig. Aber was sollte zu guter Lehre motivieren, wenn damit kein Blumentopf zu gewinnen ist? Es zählt ja eigentlich nur, wie viele Drittmittel man eingeworben hat, wie viele Veröffentlichungen man getätigt hat und wie sie geratet sind usw.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gute Beschäftigungsbedingungen und gute Lehre gehen meines Erachtens Hand in Hand. Daher wollen und brauchen wir dringend einen grundlegenden Kulturwandel in unserem Wissenschaftssystem. Unsere Hochschulen müssen sich auf den Weg machen, die Studienqualität muss steigen und die Zahl der Studienabbrüche sinken. Ein Schlüssel dazu ist die Verbesserung der Betreuungsrelation durch gute, qualifizierte und langfristig beschäftigte Mitarbeiter. Ich habe mich gefreut, eben von Ministerin Wanka zu hören, dass hier mehr geplant ist. Wir erwarten eigentlich auch mehr; denn natürlich sind mehr feste Stellen wichtig, ebenso verbindliche Konzepte zur Personalentwicklung.
(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])
Nur so kommen wir zu planbaren Karrierewegen und transparenten Personalentscheidungen.
Wichtig dafür ist die nachhaltige Verbesserung der Grundfinanzierung unserer Hochschulen. Ich denke, das ist uns allen klar. Das ist eine Aufgabe für die nächste Legislatur. Wir, die SPD, wollen dazu beitragen, die befristeten Mittel des Hochschulpaktes endlich zu einer verlässlichen und dauerhaften Kofinanzierung zu machen.
(Beifall bei der SPD – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Niemals!)
Zukünftig müssen aber auch Bund und Länder besser zusammenarbeiten und dürfen nicht nur eifersüchtig Kompetenzen hin und her schieben. Dann erreichen wir nämlich, was wir wollen: dass sich die Beschäftigungssituation unserer jungen Wissenschaftler in Forschung und Lehre deutlich verbessert.
(Beifall bei der SPD)
Vielen Dank, Simone Raatz.
(Dr. Simone Raatz [SPD]: Bitte schön!)
Nächster Redner: Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen.
(Beifall des Abg. Dr. Thomas Feist [CDU/CSU])
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 236 |
Tagesordnungspunkt | Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs |