Bettina HagedornSPD - Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Am 16. Februar 2017 wurde dieses große Gesetzespaket hier in erster Lesung beraten. Zu dem Vorwurf, wir würden das hier alles im Sauseschritt beschließen, sage ich daher nur: Das ist schon drei Monate her, Frau Wagenknecht.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben das hier ordentlich beraten. Ich finde, einiges von dem, was Sie hier vom Stapel gelassen haben, ist wirklich eine Diffamierung unserer parlamentarischen Arbeit, und dagegen sollten wir uns alle zur Wehr setzen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Schon in der Debatte zur ersten Beratung habe ich Ihnen, Herr Schäuble und Herr Dobrindt, gesagt, dass der Präsident des Bundesrechnungshofes, Kay Scheller, bereits im Januar Ihnen ins Stammbuch geschrieben und uns zur Kenntnis gegeben hat, dass es in diesem Gesetzentwurf zur Autobahnprivatisierung sehr wohl vier Hintertüren zur Privatisierung gibt. Die sind nicht aus Versehen in Ihren Gesetzentwurf hineingekommen, sondern es war Ihr Ziel, zu privatisieren. Das hier zu kaschieren, muss ich sagen, steht Ihnen als Regierung nicht gut zu Gesicht.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es ist der Ehrlichkeit geschuldet, wenn ich sage, dass ich damals schon angekündigt hatte – ich konnte das tun, weil wir uns mit den Kollegen der CDU/CSU im Haushaltsausschuss schon damals im Grundsatz einig waren –, dass wir genau diese Türen der Privatisierung schließen wollen. Geglaubt hat uns das damals kaum jemand, weder die Sachverständigen noch die Journalisten oder die Öffentlichkeit – teilweise auch nicht die eigenen Kollegen. Aber heute können wir sagen – gemeinsam als CDU/CSU und SPD im Haushaltsausschuss –: Versprochen – gehalten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es ist schon bemerkenswert, dass Sie, Herr Schäuble und Herr Dobrindt, es offenbar für nötig halten, Ihre eigene Verantwortung an diesem Regierungsentwurf mit den Ergebnissen der Fratzscher-Kommission zu begründen, die ihre Arbeit schon vor zwei Jahren beendet hat. Eines sei hier festgestellt: Die Ergebnisse der Fratzscher-Kommission habe nicht nur ich mir nie zu eigen gemacht, sondern auch unser Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel nicht.
(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber der war schon dafür!)
Sie waren auch nie Gegenstand von parlamentarischen Debatten hier in diesem Raum. Die Verantwortung für das, was Sie uns vorgelegt haben, liegt ausschließlich bei Ihnen.
(Beifall bei der SPD – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!)
Wir haben am 27. März 2017 dann eine mehrstündige Anhörung gehabt. Die Sachverständigen, die uns damals beraten haben, haben mich und Norbert Brackmann – lieber Norbert, herzlichen Dank für unsere gemeinsame Arbeit in den letzten sieben Wochen – unterstützt. Diese Sachverständigen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die uns sieben Wochen lang dabei unterstützt haben, der Privatisierung die Giftzähne zu ziehen, sitzen zum Teil heute oben auf der Tribüne. Ganz herzlichen Dank an Sie alle, die uns unterstützt haben! Ich glaube, diesen Dank kann ich im Namen von allen Haushältern aussprechen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE])
Es sind die Mitarbeiter der Professoren Hermes, Beckers und Gröpl, und es sind vor allen Dingen viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Prüfer des Bundesrechnungshofes, die heute hier sind. Ich danke Ihnen von Herzen für Ihre Arbeit. Ohne Sie hätten wir diese parlamentarische Arbeit, die wir gemacht haben, nicht mit Erfolg abschließen können. Vielen Dank!
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE])
Das ist auch deshalb wichtig, weil wir nämlich bei der Veränderung des Gesetzestextes weder die Unterstützung des Finanz- noch des Verkehrsministeriums gehabt haben, allerdings auch nicht gewollt haben. Denn wir wollten das Gesetz ja um 180 Grad wenden. Das haben wir getan.
Ich bin jetzt seit 15 Jahren Mitglied des Bundestages und des Haushaltsausschusses. Da habe ich schon manches erlebt. Aber das, was wir in den letzten sieben Wochen, lieber Norbert Brackmann, gemeinsam mit der Unterstützung unserer Haushälter von SPD und CDU/CSU erreicht haben, ist außergewöhnlich. Für diese Unterstützung möchte ich mich bei unseren Kollegen bedanken. Die Arbeit war jedenfalls anspruchsvoll und aller Ehren wert. Ich finde, dass wir das heute so beschließen, ist eine Sternstunde für das Parlament insgesamt.
(Beifall bei der SPD)
Kollegin Hagedorn, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Behrens?
Natürlich.
Liebe Kollegin Hagedorn, liebe Bettina, das Engagement in Ehren. Wir erkennen zwar an, dass es massive Veränderungen und Verbesserungen gegenüber dem ursprünglichen Entwurf gegeben hat. Aber auch du hast richtigerweise darauf hingewiesen, dass das eigentliche Problem am Anfang liegt. Man konnte also nur noch versuchen, den Gesetzentwurf zu verbessern.
Du hast von einer „Sternstunde des Parlamentarismus“ gesprochen. Ich habe nicht den Eindruck, dass wir, zumindest wir als Oppositionspolitiker und Fachpolitiker, an dieser Diskussion teilhaben konnten, weil uns bis gestern, bis zu den Ausschusssitzungen, immer noch nicht das komplette Paket mit all seinen Details, mit allen Anträgen vorgelegen hat.
Von daher meine Frage an dich und an die SPD-Kolleginnen und -Kollegen: Woraus ergibt sich der Zwang, diese Bundesfernstraßengesellschaft heute mit zu beschließen? Wäre es nicht sinnvoller gewesen, das, was im Rahmen des Länderfinanzausgleiches nötig ist, heute zu regeln, um dann später noch einmal richtig und gründlich an das Thema Bundesfernstraßengesellschaft heranzugehen?
(Beifall bei der LINKEN)
Lieber Kollege Behrens, die Öffentlichkeit weiß es vielleicht nicht, aber wir Abgeordnete wissen, dass das, was wir heute beschließen, ein Paket ist – ein Paket, ein Paket. Das haben nicht wir Abgeordnete so beschlossen, sondern 16 Ministerpräsidenten
(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Nein!)
zusammen mit unserer Regierungsspitze. Dabei waren übrigens auch Ministerpräsident Ramelow und Ministerpräsident Kretschmann.
(Ulli Nissen [SPD]: Hört! Hört! – Herbert Behrens [DIE LINKE]: Er wollte aber nicht das Paket!)
– Genau. Es ist ein Paket. Weil das so ist, werden wir dieses Paket insgesamt beschließen oder nicht beschließen.
Viele Vorredner haben schon darauf hingewiesen, was alles an diesem Paket hängt, zum Beispiel die auskömmliche Finanzierung der Länder. Für die mittelfristige Finanzplanung einiger Länder, die nicht so gut gepolstert sind, sind die Beschlüsse schon sehr wichtig.
(Dr. Sahra Wagenknecht [DIE LINKE]: Dafür brauchen sie keine Autobahngesellschaft!)
Davon hängt zum Beispiel ab, ob sie in den nächsten Jahren Landespolizisten oder Lehrer einstellen können. An dem Paket hängen der Unterhaltsvorschuss und auch die 3,5 Milliarden Euro für die armen Kommunen, für die Schulen, sowie die Autobahngesellschaft.
(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das ist absurd!)
Das hat Herr Schäuble hineinverhandelt. Deswegen kann man das Paket nur insgesamt beschließen.
Ich will Ihnen ganz offen sagen – das habe ich hier sinngemäß schon am 16. Februar angekündigt –, dass nicht nur ich persönlich, sondern auch die SPD insgesamt ein Problem mit dem Regierungsentwurf zu einer Autobahngesellschaft hatte. Ich sage Ihnen auch: Wenn es nicht geglückt wäre, den Giftzahn einer Privatisierung der Autobahngesellschaft zu ziehen, dann würde ich heute nicht mit Ja stimmen. Und darum bin ich froh – wir wollten dem Gesamtpaket wegen der vielen Aspekte, die darin enthalten sind, zustimmen –, dass wir es geschafft haben, der Privatisierung das Stoppschild vehement entgegenzuhalten. Das haben wir geschafft, und darum können wir mit Ja stimmen. Es besteht keine Notwendigkeit, das Paket aufzuschnüren.
(Beifall bei der SPD)
Es ist heute immer wieder von der Grundgesetzänderung die Rede. Ja, wir haben es geschafft, dass heute über zwei zusätzliche Grundgesetzänderungen zum Stopp der Privatisierung abgestimmt wird. Damit bringen wir nach dem Urteil unserer Sachverständigen tatsächlich funktionierende Stoppschilder ins Grundgesetz ein. Die unmittelbare und mittelbare Beteiligung Dritter ist ausgeschlossen. Teilnetz-ÖPPs sind auch wirksam ausgeschlossen.
Aber ich will auch sagen, was wir insgesamt noch einfachgesetzlich geändert haben. Ich finde schon, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass, wenn man nur von Grundgesetzänderungen spricht, darin die Gefahr liegt, einfache Gesetze zu diffamieren.
(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir aber nicht gemacht!)
Der Bundestag beschließt zu 99,99 Prozent einfache Gesetze. Das kann man nicht schlechtreden.
(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir nicht gemacht!)
Ich will Ihnen einmal vorlesen, was wir einfachgesetzlich alles beschlossen haben, was so nicht im Regierungsentwurf stand: Eine unmittelbare und mittelbare Beteiligung Dritter ist jetzt ausgeschlossen. Die Beteiligung Privater im Rahmen von öffentlich-privaten Partnerschaften auf Teilnetzen ist ausgeschlossen. Eine Übertragung von Altschulden wird jetzt ausgeschlossen. Die Gesellschaft wird nicht kreditfähig. Das wirtschaftliche Eigentum an den Fernstraßen bleibt beim Bund. Der Mautgläubiger bleibt der Bund. Spartengesellschaften sind ausgeschlossen. Es wird keine AG nach dem Vorbild der Deutschen Bahn geben. Die Satzung dieser Gesellschaft bedarf der Zustimmung des Parlaments. Die Prüfrechte des Bundesrechnungshofes werden erstmals gesetzlich verankert. Kontroll- und Einflussmöglichkeiten des Parlamentes auf Verkehrsinvestitionen bleiben erhalten und werden sogar gegenüber dem Status quo vergrößert, weil zum Beispiel der fünfjährige Finanzierungs- und Realisierungsplan in Zukunft der Zustimmung des Haushalts- und Verkehrsausschusses bedarf, was jetzt nicht so ist.
Weil hier noch nicht die Rede davon gewesen ist, will ich darauf hinweisen, dass wir mit diesem Gesetz auch über die berufliche Zukunft von vermutlich bis zu 11 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entscheiden. Auch diesbezüglich war der Regierungsentwurf, zurückhaltend gesagt, schlecht.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Was?)
Er enthielt eine vier- bis fünfjährige mitbestimmungsfreie Zeit. Er enthielt dahin gehend einen Eingriff in die Tarifautonomie, dass Tarifverträge ausdrücklich nicht vorgesehen waren. Ich möchte mich bei unseren Sachverständigen von Verdi bedanken – auch sie sitzen auf der Tribüne –, die uns dabei unterstützt haben, dass Tarifverträge gesetzlich festgeschrieben werden und die Mitbestimmung gestärkt wird, was im Interesse von vermutlich 11 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist. Wir haben zusammen mit Verdi alles getan, um aus einem schlechten Regierungsentwurf einen guten Gesetzentwurf zu machen, der den Stempel des Parlaments trägt. Allen, die daran mitgewirkt haben, vielen Dank für die Unterstützung.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das Wort hat die Kollegin Antje Tillmann für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Johannes Kahrs [SPD])
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7114773 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 237 |
Tagesordnungspunkt | Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs |