01.06.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 237 / Tagesordnungspunkt 9 + ZP 4

Norbert Lammert - Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Kahrs, das war mutig, das war munter, aber darum geht es eigentlich nicht.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch wieder wahr!)

Meine Damen und Herren, aus der Sicht der Länder ist diese Debatte ausgesprochen interessant.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

Da bescheinigt der eine Koalitionspartner dem anderen, dass er kraftvoll etwas verhindert hat,

(Christine Lambrecht [SPD]: Ganz anders als in den Ländern!)

oder der andere bescheinigt wiederum, dass er kraftvoll etwas durchgesetzt hat. Das ist aus Sicht der Länder ziemlich unerheblich.

(Lachen der Abg. Christine Lambrecht [SPD])

Ich möchte gerne auf den Punkt zurückkommen, der aus meiner Sicht entscheidend ist. Meine Damen und Herren, ich bin der festen Überzeugung, dass heute ein ganz wichtiges, aus meiner Sicht auch richtiges Gesamtpaket zu verabschieden ist. Worum geht es eigentlich? Die Frage, wie eine Infrastrukturgesellschaft organisiert werden kann – linksherum oder rechtsherum –, mag für Sie wichtig sein, aber es ist nicht die entscheidende Frage.

(Bettina Hagedorn [SPD]: Ach!)

Die entscheidenden Fragen sind andere. Wir wissen alle gemeinsam, dass Ende 2019 sämtliche Solidarsysteme auslaufen: der Solidarpakt II, die Entflechtungsmittel; bei all dem geht es um Milliardenbeträge. Es ging nun darum, eine Antwort zu geben auf die Fragen: Wie soll es weitergehen? Wie soll es weitergehen in den neuen Ländern? Wie soll es weitergehen mit Ländern wie Bremen und dem Saarland, die die Probleme aus eigener Kraft nicht lösen können? Das sind die entscheidenden Fragen. Es ging um die Bund-Länder-Beziehungen und um die Beziehungen der Länder untereinander. Alle anderen Fragen haben sich später ergeben. Ich will ausdrücklich sagen: In der Großen Koalition haben wir seinerzeit vereinbart, dass wir darauf eine Antwort geben wollen,

(Johannes Kahrs [SPD]: Das ist eine Sicht der Länder!)

und die Antwort, die wir geben, ist aus meiner Sicht eine richtige. Herr Kollege Kahrs und alle anderen haben es zum Teil bestätigt.

Wir beweisen hier zweierlei Dinge.

Erstens. Der Föderalismus ist entgegen mancher Behauptungen handlungsfähig. Es ist das erste Mal in dieser Republik, dass die 16 Länder, die so unterschiedliche Interessen haben, eine gemeinsame Position formulieren, und zwar ohne Hilfe des Bundesverfassungsgerichts.

(Johannes Kahrs [SPD]: Weil der Bund sie finanziert!)

Das zeigt, dass sich alle bewegt haben.

(Johannes Kahrs [SPD]: Der Bund!)

– Sie sagen immer „der Bund“. Glauben Sie das im Ernst? Wollen Sie die neuen Länder alleinlassen? Sollen das die Zahlerländer alleine lösen? Wollen Sie Bremen und das Saarland alleinlassen? Dann haben Sie es falsch verstanden.

(Johannes Kahrs [SPD]: Etwas mehr Solidarität von den reichen Ländern hätte geholfen!)

Auch das muss klar sein: Die Stärke dieses Landes hat aus meiner Sicht zentral mit dem föderativen Aufbau zu tun.

(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Sie kriegen doch mehr als bisher! – Johannes Kahrs [SPD]: Sie haben doch mehr Geld für sich gebraucht! Etwas mehr Demut!)

Die politische Stabilität dieses Landes ist untrennbar verbunden mit diesem föderalen System. Mir ist wichtig: Wenn Sie auf viele Länder in Europa oder anderswo schauen, dann sehen Sie, dass diese heute kaum mehr in der Lage sind, über Parteigrenzen hinaus wichtige zukunftsweisende Strukturentscheidungen zu treffen. Dass dies in Deutschland gelingt, ist ein Anlass zur Freude und nicht zur Kritik.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zurück zum eigentlichen Thema. Wir haben einen neuen Modus gefunden – Kollege Scholz hat darauf hingewiesen –, indem wir ein nicht ganz einfaches System auf eine Ebene gebracht haben. Der Regelungsmechanismus über die Umsatzsteuer, auf den wir uns verständigt haben, beruht übrigens auf einem Vorschlag des Bundesfinanzministers.

Zweitens. Ich konnte gelegentlich lesen, die Länder hätten die Solidarität untereinander aufgegeben. Dies ist grob falsch. Ich möchte Ihnen das anhand eines Beispiels aus meinem Land Hessen zeigen. Nach dem neuen System werden wir präterpropter 1,6 Milliarden Euro mehr aus der Umsatzsteuer einnehmen. Davon geht mindestens 1 Milliarde in den Topf des Länderfinanzausgleichs. Hessen wird ab dem Jahr 2020 rund 4 Milliarden Euro von seinem Kuchen zur Verteilung an die anderen Länder bereitstellen. Das ist bewusst so gemacht. Das ist auch richtig. Wir stehen zu unserer Solidarität. Deshalb ist es grob falsch, zu behaupten, hier würde der Gedanke der Solidarität aufgegeben werden. Es ist mir wichtig, das deutlich zu machen.

Zum anderen konnte man lesen, es sei staatsrechtlich und finanzwissenschaftlich nicht das Maß aller Dinge. Wie wahr, aber darum geht es nicht. Wir als Ländervertreter konnten eben wunderbar sehen, wie ein und derselbe Text von den Fraktionen höchst unterschiedlich ausgelegt wird. Das kann nicht das Thema der Länder sein. Am Ende geht es nicht um finanzwissenschaftliche und staatswissenschaftliche Höchstleistungen, sondern es geht um das politisch Machbare. Gemessen am politisch Machbaren ist dies ein großer Erfolg.

Ich möchte hinzufügen: Die Arbeit ist noch nicht getan. Ich werbe dafür, die Gewerbesteuerumlage, Herr Bundesfinanzminister, auch noch zu regeln. Dort besteht noch Handlungsbedarf. Denn das, was jetzt auf der einen Seite an Mehrerlösen zu erwarten ist, würde an der anderen Stelle wieder wegfallen, wenn wir das nicht entsprechend regeln.

Ich habe – wie alle meine Kolleginnen und Kollegen – mit Interesse heute die Debatte über die spannende Frage verfolgt, wie einzelne Themen zwischen Bund und Ländern – ich füge bewusst hinzu: und den Kommunen – richtig austariert werden sollen. Das ist eine spannende Frage. Sie haben darüber im Bereich der Schulen und der Bildung diskutiert. Sie haben darüber auch im Bereich der Autobahnen bzw. der Infrastrukturgesellschaft diskutiert. Ich füge noch andere Bereiche hinzu, zum Beispiel die Steuerverwaltung. Ich kann nur allgemein zu einer Debatte mit Augenmaß raten.

Beim letzten Mal haben wir die Debatte zur Reform unter der Prämisse geführt: Es ist klug, dass man Mischverantwortlichkeiten auseinandernimmt, damit man weiß, wer für was zuständig ist, dass man Bürokratie eindämmt und möglichst jeden auf seiner Ebene finanziell so ausstattet, dass er die Aufgaben wahrnehmen kann. Mit den jetzigen Regelungen drehen wir das Rad wieder ein Stück zurück. Ich bin nicht sicher, ob sich der angestrebte Erfolg auf allen Seiten wirklich so einstellen wird.

Wir haben uns in dieser Vereinbarung ja verabredet, spätestens nach zehn Jahren eine Evaluation durchzuführen. Wer länger zurückschaut, kann zumindest Erfahrungen zur Kenntnis nehmen. Die Erfahrungen aus früheren Zeiten der Mischfinanzierungen und Mischverantwortungen für Wohnungsbau, Hochschulbau, Bildung und vieles andere mehr haben dazu geführt, dass die Begeisterung für gemeinsame Zuständigkeiten so zurückgegangen ist, dass wir zur Föderalismusreform gekommen sind, um genau das auseinanderzunehmen.

Wir stehen zu dem, was wir miteinander vereinbart haben. Aber ich möchte ein wenig dazu anregen und auch ein wenig mahnen, es hier nicht zu übertreiben. Am Ende werden wir gemeinsam dafür Sorge tragen müssen, dass das neue finanzielle Fundament, das wir geschaffen haben – das ist der eigentliche Grund, um den es heute geht, weniger die Themen, die heute hier im Hause im Mittelpunkt standen –, die Länder und mit ihnen die Kommunen in den Stand versetzt, ihre Aufgaben so zu erfüllen, dass die Menschen in Deutschland, egal wo sie leben, eine Infrastruktur bekommen, einen Rahmen bekommen, ein Angebot bekommen, dass sie überall gut gefördert werden, dass sie überall gut leben können und dass sie – ganz nebenbei – wie bisher gerne in diesem Land leben.

(Johannes Kahrs [SPD]: Ich habe selten so eine predigende Rede gehört!)

Meine Damen und Herren, trotz mancher Bedenken, die die Länder haben, werden wir zustimmen. Das kann ich für mein Land und, ich denke, auch für fast alle meine Kollegen sagen.

Es ist ein Tag der Freude, wenngleich sie unterschiedlich ausgedrückt wird. Das, was wir nach zweieinhalb Jahren intensivster Diskussion gemeinsam geschaffen haben, hat die Arbeit gelohnt. Ich bitte Sie herzlich: Stimmen Sie diesem Werk zu.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Letzter Debattenredner ist der Kollege Marcus Weinberg für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7114776
Wahlperiode 18
Sitzung 237
Tagesordnungspunkt Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs
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