01.06.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 237 / Tagesordnungspunkt 10

Stephan MayerCDU/CSU - Einwanderungsgesetz

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Mir geht es genauso wie dem Kollegen Sebastian Hartmann: Ich bin dankbar, dass wir am Ende dieser Legislaturperiode diese Debatte zum Thema Zuwanderungsrecht führen. Aber, Herr Kollege Hartmann, die Gemeinsamkeit endet dann sehr schnell.

(Lachen des Abg. Dr. Karamba Diaby [SPD] – Dr. Karamba Diaby [SPD]: So schnell?)

Auch mir geht es darum, mit Irrtümern aufzuräumen, vor allen Dingen mit Irrtümern, die bei der SPD-Fraktion angesiedelt sind.

Der Irrtum Nummer eins ist: Deutschland braucht endlich ein Einwanderungsgesetz. – Das stimmt nicht. Wir haben ein Zuwanderungsrecht. Frau Kollegin Göring-Eckardt, Sie haben selbst darauf hingewiesen: Es gibt im deutschen Aufenthaltsgesetz 48 verschiedene Tatbestände,

(Dr. Karamba Diaby [SPD]: Intransparent und kompliziert!)

nach denen man vollkommen legal aus dem nichteuropäischen Ausland nach Deutschland einreisen kann.

Der Irrtum Nummer zwei: Deutschland braucht endlich ein völlig neues Einwanderungsgesetz. – Das stimmt nicht, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen. Die OECD hat es uns 2014 ins Stammbuch geschrieben: Wir haben ein außerordentlich modernes und fortschrittliches Zuwanderungsrecht, eines der modernsten der Welt. Dieses moderne und fortschrittliche Zuwanderungsrecht führt jedes Jahr zu dem Ergebnis, dass Deutschland nach den USA die zweitgrößte Nettozuwanderung in der Welt hat. Wenn unser Zuwanderungsrecht so reaktionär, so überaltert und so rückschrittlich wäre, wie Sie das immer behaupten, dann möchte ich Sie fragen, wie es kommt, dass wir nach den USA Hauptzuwanderungsland auf unserem Globus sind. So schlecht kann es also nicht sein.

(Beifall bei der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hätten die Frage bei meiner Rede stellen sollen, dann hätte ich sie beantwortet!)

Ganz im Gegenteil: Wir haben zwar nicht das am einfachsten zu lesende, aber mit Sicherheit ein präzises und sehr modernes Zuwanderungsrecht.

Was die Genehmigungen der Bluecard anbelangt: Wir erteilen 80 Prozent aller Bluecard-Genehmigungen in Europa; also vier von fünf Bluecards, die in Europa ausgereicht werden, werden von Deutschland ausgereicht. Es gab auch einen Anstieg zu verzeichnen: Im März 2015 gab es 22 000 Bluecard-Inhaber in Deutschland, im September 2016 gab es 31 000 Bluecard-Inhaber.

Laut DAAD gibt es in Deutschland derzeit 320 000 ausländische Studenten, davon immerhin 180 000 aus dem nichteuropäischen Ausland.

(Dr. Karamba Diaby [SPD]: Die bleiben aber nicht!)

So schlecht kann unser Zuwanderungsrecht also auch für Studierende nicht sein, wenn immerhin 180 000 Studenten aus dem nichteuropäischen Ausland an deutschen Hochschulen studieren.

Ende letzten Jahres gab es bei uns 1,8 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte aus den anderen EU-Ländern. Wir dürfen bei dem Thema Zuwanderungsrecht nicht außer Acht lassen, dass es daneben noch die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union gibt. Sie hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass wir netto eine erhebliche Zunahme der Zuwanderung aus den anderen EU-Ländern zu verzeichnen hatten. So waren es im Jahr 2006 noch 770 000, im Jahr 2011 schon 915 000 und im Jahr 2016, im letzten Jahr, immerhin 1,8 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte aus der Europäischen Union. Auch das ist, glaube ich, ein wichtiger Aspekt, den man erwähnen muss.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deutschland ist kein klassisches Einwanderungsland, wie es die USA, Kanada oder Australien sind.

(Dr. Karamba Diaby [SPD]: Schon wieder! Wir waren so weit!)

Aber wir sind ein Land, das Zuwanderung benötigt; das möchte ich hier klar konstatieren. Wir erwarten aufgrund der demografischen Entwicklung einen deutlichen Rückgang der Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter: bis 2030 einen Rückgang um ungefähr 6 Millionen auf dann nur noch knapp 44 Millionen und bis 2040 sogar einen Rückgang auf dann nur noch 40 Millionen. Deshalb brauchen wir Zuwanderung.

Wir wollen – das ist der große Unterschied zu allen hier im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen – eine zielgerichtete, eine gesteuerte Zuwanderung.

(Dr. Karamba Diaby [SPD]: Das ist doch das Punktesystem! Genau das wollen wir!)

Wir wollen, dass die nach Deutschland kommen, die der deutschen Wirtschaft einen Mehrwert bringen. Lieber Herr Kollege Beck, Sie sagen, dass wir auf die Wirtschaft schauen sollen und dass auch die Wirtschaft ein Punktesystem fordert. Das mag ja durchaus sein. Die Wirtschaft hat aber ein anderes Interesse als der Staat. Bei aller Sympathie und bei aller Offenheit gegenüber den Forderungen der Wirtschaft,

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird aber die Arbeitgeberverbände freuen zu hören!)

den Unternehmen geht es darum, dass sie aus einem möglichst großen Pool an nichteuropäischen Ausländern wählen können, wer für das Unternehmen gerade geeignet ist. Den Rest kippen sie uns dann vor die Sozialkassen. So kann es natürlich nicht gehen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir wollen eine gesteuerte, eine zielgerichtete Zuwanderung. Ich sage ganz offen: Es gibt aus meiner Sicht zwei entscheidende Paradigmen, an denen wir nicht rütteln dürfen. Paradigma Nummer eins ist, dass die Zuwanderung aus dem nichteuropäischen Ausland an den konkreten Nachweis eines Arbeitsplatzes gebunden ist. Das hat sich in Deutschland bewährt. Wer aus dem nichteuropäischen Ausland zum Zwecke der Arbeitsaufnahme nach Deutschland einreisen will, muss nachweisen, dass er einen Arbeitsplatz hat.

Herr Mayer, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Sehr gerne. Selbstverständlich.

Gut.

Ich habe manchmal das Gefühl, wir debattieren hier Freestyle, also ohne Kenntnisnahme des zugrundeliegenden Gesetzentwurfes. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass in unserem Punktesystem zur Zuwanderung geregelt ist, dass jemand, der zur Arbeitssuche hierherkommt, ein Jahr Zeit hat, sich eine Arbeit zu suchen,

(Marian Wendt [CDU/CSU]: Auf welche Kosten lebt er denn da?)

in der Zeit allerdings von Anfang an arbeiten darf, dass aber, wenn er seinen Lebensunterhalt durch Arbeit nicht verdient, die Aufenthaltserlaubnis nicht verlängert wird? Damit kübelt Ihnen niemand irgendjemanden vor die Sozialkassen. Dieses Bild finde ich übrigens ein bisschen schräg, wenn man über Menschen redet. Der Effekt ist ganz klar: Bleiben darf derjenige, der Arbeit gefunden hat, und nicht der, der keine findet. Deshalb gehen Ihre Ausführungen an dem Gesetzentwurf, den wir hier vorgelegt haben, völlig vorbei.

Herr Mayer, bitte.

Sehr geehrter Herr Kollege Beck, ich habe mir Ihren Gesetzentwurf sehr genau angesehen.

(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gesehen, aber nicht gelesen!)

Ich möchte noch einmal deutlich sagen: Ich halte überhaupt nichts von einem Punktesystem, auch nichts von dem Punktesystem, das Sie konkret vorschlagen. Sie sehen ja vor, dass jemand zum Zwecke der Arbeitsplatzsuche für ein Jahr nach Deutschland kommen darf.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Und muss sich selber unterhalten in der Zeit!)

Das halte ich, um es klar zu sagen, für einen fatalen Fehler.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Denn was machen Sie, wenn er innerhalb eines Jahres keinen Arbeitsplatz findet? Wer bringt denn den wieder außer Landes? Das Unternehmen, bei dem er sich beworben hat, interessiert sich dafür überhaupt nicht.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nach dieser Logik dürften Sie auch keine Touristen ins Land lassen!)

Das kanadische Modell wird ja immer so gelobt. Auch ich war in Kanada und habe es mir angesehen. In Kanada ist übrigens die Arbeitslosigkeit höher als in Deutschland. Der entscheidende Unterschied ist, dass Sie, wenn Sie eine gewisse Punktehürde überschritten haben, nach Kanada einreisen und sich dort einen Arbeitsplatz suchen dürfen.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war nicht die Frage! Sie haben offensichtlich keine Antwort auf meine Frage!)

Wenn Sie keinen finden, dann ist das kanadische Sozialsystem für Sie zuständig. Das ist der entscheidende Unterschied.

Wie gesagt, es gibt zwei entscheidende Paradigmen. An denen sollten wir partout nicht rütteln.

Paradigma Nummer eins: Einreise nach Deutschland nur, wenn schon im Ausland ein konkreter Arbeitsplatz in Deutschland nachgewiesen werden kann. Wir wollen Zuwanderung in den Arbeitsmarkt und nicht in die Arbeitslosigkeit.

Paradigma Nummer zwei: Wir müssen partout daran festhalten, dass die humanitäre Zuwanderung von der legalen Zuwanderung strikt getrennt wird. Diesen Spurwechsel, den Sie immer wieder propagieren, halte ich für grundlegend falsch,

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leute aus dem Land schmeißen, damit sie wieder einreisen! Da freut sich nur die Lufthansa!)

weil damit fatale Signale in die falsche Richtung gesendet werden. Es darf nicht sein, dass wir hier Dinge miteinander vermengen, die nichts miteinander zu tun haben. Die legale Zuwanderung ist ganz anders zu betrachten als die humanitäre Zuwanderung. Bei der humanitären Zuwanderung darf es, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, nie um Nützlichkeitserwägungen gehen. Da darf es, mit Verlaub, nie darum gehen, ob jemand dem deutschen Arbeitsmarkt dient oder nicht. Bei der humanitären Zuwanderung darf es nur darum gehen, ob jemand schutzbedürftig ist, ob jemand an Leib und Leben bedroht ist, ob jemand politisch verfolgt ist. Bei der legalen Zuwanderung darf es hingegen sehr wohl um Nützlichkeitserwägungen gehen. Da darf es sehr wohl darum gehen, ob jemand so qualifiziert ist, dass er in Deutschland dringend gebraucht wird, weil es in Deutschland dafür keine Fachkräfte gibt. Diese beiden Stränge darf man aus meiner Sicht nicht miteinander vermengen. Aber sie würden vermengt werden, wenn man dem von den Grünen vorgeschlagenen Gesetzentwurf folgen würde.

Herr Beck, ich möchte Ihnen den Gefallen tun, intensiver auf Ihren Gesetzentwurf einzugehen, weil er neben dem fehlerhaften Punktesystem weitere Irrtümer aufweist und vor allem falsche Signale in sich birgt. Sie propagieren eine deutliche Ausweitung des Familiennachzugs. Wir hatten gestern eine Debatte im Innenausschuss über das Thema Familiennachzug. Der Vertreter des Auswärtigen Amtes hat uns darüber informiert, dass wir alleine in den letzten Jahren eine deutliche Zunahme des Familiennachzugs nach Deutschland erlebt haben: im Jahr 2015  25 000 erteilte Visa zum Zwecke des Familiennachzugs, im letzten Jahr eine Verdoppelung, 50 000 erteilte Einreisevisa zum Zwecke des Familiennachzugs,

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Angesichts der vielen Flüchtlinge, die wir aufgenommen haben, liegt das in der Natur der Sache!)

und allein im ersten Quartal dieses Jahres 17 000. Wir können also davon ausgehen, dass wir in diesem Jahr noch einmal eine deutliche Zunahme des Familiennachzugs zu in Deutschland lebenden Flüchtlingen erleben werden.

Auch hier ein klares Wort: Der Familiennachzug bedeutet, dass ungesteuert und unkontrolliert Zuwanderung nach Deutschland erfolgt. Der Vertreter des Auswärtigen Amtes hat uns auch darüber informiert, dass er davon ausgeht, dass weitere 200 000 bis 300 000 Personen in den nächsten Monaten einen Antrag auf Erteilung eines Visums in Deutschland stellen werden. Und dieses Visum muss ihnen, wenn sie GFK-Flüchtlinge sind, also wenn sie Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention sind, erteilt werden.

(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Schämen Sie sich!)

– Ich schäme mich nicht, sondern ich bin der festen Überzeugung, dass es im deutschen Interesse,

(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Sie wollen sozial sein? Sie sollten sich schämen!)

im Interesse unserer Bürgerinnen und Bürger ist, wenn wir darauf achten, dass der Familiennachzug nicht überhandnimmt.

(Dr. Karamba Diaby [SPD]: Christlich ist das nicht! Ich bin entsetzt! – Weitere Zurufe von der SPD und vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Gesetzentwurf der Grünen lese ich, dass Sie den Familiennachzug noch ausweiten wollen, von der Kernfamilie auf Großtanten und Großonkel. Das ist ein absolut falsches Signal.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ein weiterer Punkt, den ich hier auch ansprechen muss, ist, dass die Grünen zwei Dinge miteinander vermengen, nämlich das Zuwanderungsrecht, das Aufenthaltsrecht auf der einen Seite und das Staatsangehörigkeitsrecht auf der anderen Seite. Das hat nichts miteinander zu tun. Ich bin der festen Überzeugung: Wir brauchen klare Regeln, wer zu uns kommen darf und wer nicht zu uns kommen darf. Und ich bin auch der festen Überzeugung: Wir benötigen kein Einwanderungsgesetz, sondern wenn überhaupt, dann benötigen wir vielleicht ein leichter lesbares Einwanderungsbegrenzungs- und Einwanderungssteuerungsgesetz.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Karamba Diaby [SPD]: Das ist Wahlkampfgetöse!)

Vielen Dank, Stephan Mayer. – Nächste Rednerin: Ulla Jelpke für die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7114793
Wahlperiode 18
Sitzung 237
Tagesordnungspunkt Einwanderungsgesetz
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta