01.06.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 237 / Tagesordnungspunkt 10

Karamba DiabySPD - Einwanderungsgesetz

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ende der 90er-Jahre gab es die unsägliche Kampagne des ehemaligen Ministerpräsidenten von Hessen, Roland Koch, gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. Kurz darauf habe ich mir gedacht: Ich muss jetzt die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen, um vor allem die vollen Rechte zu bekommen.

(Beifall bei der SPD)

Leider musste ich dank der Union meinen senegalesischen Pass abgeben. Die Diskussionen, die damals geführt worden sind, waren ausgrenzend, und sie sind es bis heute.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Hört! Hört!)

Deshalb finde ich es gut, dass die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in ihrem Entwurf eines Einwanderungsgesetzes für eine schnelle Einbürgerung bei Beibehaltung der Mehrstaatigkeit ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit haben Sie der Union zumindest eines voraus: Weitsicht.

(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in den vergangenen Jahren habe ich regelmäßig Unternehmen in meinem Wahlkreis, in Halle an der Saale und Umgebung, besucht. Viele dieser Unternehmen beklagen den Fachkräftemangel. Deshalb wundere ich mich über die Darstellung, wir hätten keinen Fachkräftemangel. Ich weiß nicht, ob wir in zwei unterschiedlichen Ländern leben. Aber die Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit sagen bis 2050 einen Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials um 14 Millionen Menschen voraus. Das sind eindeutige Zahlen, die auch Ihnen bekannt sein müssten. Auch wenn jedes Jahr 200 000 Menschen nach Deutschland kämen, würde sich das Erwerbspersonenpotenzial bis 2030 um 3,6 Millionen Menschen verringern; auch das ist bekannt. Dies ist eine Herausforderung für unsere Gesellschaft, auf die wir Antworten geben müssen. Diese Antworten müssen wir jetzt geben, nicht in 20 Jahren.

(Beifall bei der SPD)

Eine Antwort darauf ist aus unserer Sicht auf jeden Fall ein neues Einwanderungsgesetz. Unseren Gesetzentwurf dazu haben wir als SPD-Bundestagsfraktion – das wurde schon erwähnt – im November 2016 vorgelegt. Mit einem Einwanderungsgesetz schaffen wir Klarheit, wer aufgrund seiner Qualifikation nach Deutschland einwandern darf.

Dabei möchte ich eine unserer geplanten Regelungen ganz besonders hervorheben: den neuen Fachkräftebegriff. Darunter fallen nicht nur Akademikerinnen und Akademiker, sondern zu dieser Gruppe gehören auch Absolventen einer beruflichen Qualifikation.

(Beifall bei der SPD)

Für beide Gruppen gelten die gleichen aufenthaltsrechtlichen Bedingungen. Sie können also entweder für ein Jahr zur Arbeitssuche nach Deutschland kommen oder ein Aufenthaltsrecht zu Erwerbszwecken für die Dauer von drei Jahren erhalten. Das ist eine Neuheit. Dabei soll mit einem Punktesystem – in Anlehnung an das kanadische System – darüber entschieden werden, wer nach Deutschland kommen darf. Wer ein Arbeitsplatzangebot hat, hat grundsätzlich bessere Chancen. Bei diesem Punktesystem gibt es fünf Kriterien: Qualifikation, Jobangebot, Sprachkenntnisse, Alter und Integrationsaspekte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Einbürgerungen zu erleichtern, schneller einen Aufenthaltstitel zu erhalten und den Familiennachzug zu ermöglichen, das sind Ansätze der Grünen, die der aktuellen Situation gerecht werden und die auch wir unterstützen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt aber mindestens drei Punkte, Frau Göring-Eckardt, mit denen wir nicht einverstanden sind:

Erstens geht es um den Spurwechsel. In der SPD-Bundestagsfraktion haben wir bewusst darauf verzichtet, das Einwanderungsgesetz mit einem humanitären Recht zu vermischen.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Herr Castellucci feiert das überall!)

– Das wollen wir nicht vermischen, Herr Beck. Wir sind der Meinung, dass wir das nicht machen dürfen, weil es gefährlich ist. Diese beiden Ebenen dürfen wir nie miteinander vermischen.

(Beifall des Abg. Burkhard Lischka [SPD])

Der zweite Punkt, mit dem wir Probleme haben, meine Damen und Herren, ist die nicht vorhandene Mitwirkungspflicht des Deutschen Bundestages bei der Festlegung der Zahl der Visa. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ich will nicht, dass der Deutsche Bundestag hier im Detail über Zahlen debattiert, aber er sollte als Verfassungsorgan zumindest irgendwie an der Entscheidungsfindung beteiligt werden. Das ist unser Vorschlag.

(Beifall bei der SPD – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das soll er ja bei uns auch!)

Der dritte Punkt ist das Arbeitsangebot. Für die SPD ist das ein wichtiges Kriterium, weil wir aus den Fehlern der Kanadier gelernt haben. In dem Entwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wird dazu aber nichts gesagt.

Kanada hat sein System bereits vor langer Zeit angepasst und verlangt bei seinem zweitstufigen Punktesystem das Vorhandensein eines Arbeitsplatzangebotes. Das hat den Vorteil, dass die Menschen ab dem ersten Tag an der Gesellschaft teilhaben können. Deshalb ist das Arbeitsangebot auch im SPD-Entwurf ein wichtiges Kriterium, und das ist auch gut so.

Aus diesen genannten Gründen lehnen wir Ihren Antrag ab.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Herausforderungen sind groß, und groß ist auch die Verantwortung, vor der wir gemeinsam stehen. Ich denke, es ist wichtig, dass wir das wirklich einsehen.

Heute ist leider nicht der Tag der Entscheidungen und auch nicht der Tag für ein rationalisiertes Heldentum. Den Tag für ein Einwanderungsgesetz – und zwar am besten für eines von der SPD – wird es wirklich nur mit einer anderen Mehrheit geben. Auf die arbeiten wir hin.

(Beifall bei der SPD)

Ich stimme Ihnen natürlich zu, wenn Sie sagen, dass die Notwendigkeit dafür besteht. Das sehen wir auch so. Die genannten Punkte, mit denen wir nicht einverstanden sind, haben Sie aber zur Kenntnis genommen. Ich wünsche mir eine breite gesellschaftliche Diskussion über ein modernes Einwanderungsgesetz für Deutschland.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Vielen herzlichen Dank, Karamba Diaby. – Nächste Rednerin: Brigitte Pothmer für Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7114796
Wahlperiode 18
Sitzung 237
Tagesordnungspunkt Einwanderungsgesetz
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