Hans-Peter Bartels - Jahresbericht 2016 des Wehrbeauftragten
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit der Vorlage meines Berichts für das Jahr 2016 Ende Januar dieses Jahres ist viel passiert. Aufgrund einiger sehr unterschiedlicher Vorfälle wurde die innere Lage der Bundeswehr einmal mehr zu einem besonderen öffentlichen Thema. Darüber sollten aber die Hauptbelastungen der Soldatinnen und Soldaten nicht vergessen oder verdrängt werden.
Von der kleinsten Bundeswehr aller Zeiten ist gegenwärtig das breiteste Aufgabenspektrum zu bewältigen. Es gibt 13 mandatierte Auslandsmissionen. Sie kennen die Einsatzorte: Prizren, Pristina, Catania, Limassol, Naqoura, Gao, Koulikoro, Bamako, Niamey, Dschibuti, Mogadischu, Juba, al-Faschir, Incirlik, Konya, Erbil, Masar-i-Scharif, Kunduz, Kabul. Hinzu kommen unsere NATO-Verpflichtungen im Rahmen der kollektiven Verteidigung in Litauen, Estland, Lettland und Polen. Es wird nicht weniger, sondern mehr. Nicht zu vergessen ist die Flüchtlingshilfe, die mehr als 20 000 Bundeswehrangehörige leisteten.
Viele Soldaten tun ihren Dienst gern, weil sie als Staatsbürger wissen, dass der Frieden nicht umsonst zu haben ist. Aber viele Soldaten, die mir schreiben und die ich gesprochen habe, sind am Limit: zu oft unterwegs, zu wenig Zeit für die Familie, zu unplanbar die Zukunft. Trotzdem hängen sie sich rein. Viele tun weit mehr als ihre Pflicht. Ihnen allen, unserer ganzen Parlamentsarmee, gebühren dafür Anerkennung, Vertrauen und Dank. Es ist gut zu wissen, dass es sie gibt.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
In meinem Jahresbericht 2016 warne ich vor einer Überlastung der Truppe. Es fehlt an Personal, es fehlt an Ausrüstung, es fehlt allzu oft gute Infrastruktur.
Ich bin dankbar, dass es für all diese Mängelanzeigen jetzt politische Trendwendebeschlüsse gibt. Parlament und Regierung wollen die vielen Lücken nicht länger hinnehmen. Das wird Geld kosten, aber ich bin zuversichtlich, dass das Geld kommen wird.
Das alles – neues Personal, neues Material und eine bessere Infrastruktur – geht aber viel zu langsam. Die Trendwendebeschlüsse sind gut, aber sie müssen mit einer Beschleunigungsinitiative verbunden werden. Beschleunigung tut not.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Vielleicht muss man dafür einige selbstgemachte Regeln und auch bestimmte Mentalitäten aus 25 Jahren des permanenten Schrumpfens ändern. Nur zu!
Unsere Soldatinnen und Soldaten wollen am Originalgerät ausgebildet werden, und sie wollen vollständig ausgerüstet sein; denn die Aufträge für die vollausgerüstete Bundeswehr gibt es ja heute schon, nur eben die Ausrüstung nicht: die Hubschrauber, die Schiffe, die geschützten Fahrzeuge, die Tieflader, die Funkgeräte, die Schutzwesten, die Nachtsichtbrillen, das Kasernen-WLAN, die Taucherübungshalle.
In Bezug auf das Personal will ich den Fortschritt in der Planung loben. Ich habe im Jahresbericht 2016 kritisiert, dass es zu unterambitioniert ist, bis 2023 nur 7 000 zusätzliche militärische Dienstposten zu schaffen, wenn die eigene Lückenanalyse gleichzeitig ein Fehlen von 14 000 Posten ergeben hatte. Inzwischen gibt es neue Zielzahlen aus dem Ministerium. Jetzt soll es ein Plus von 12 000 Soldaten bis 2024 geben. Das ist ein besserer Plan.
Allerdings muss man die zusätzlichen Soldaten nun auch wirklich auf dem freien Markt gewinnen. Die Polizei stockt ihr Personal im Moment ja auch auf. Hier ist viel Konkurrenz. Das wird nicht leicht. Um für junge Leute wie für qualifizierte Seiteneinsteiger attraktiv zu sein, kann und muss man gewiss noch viel verbessern. Aber auch das Bestandspersonal muss sich vom Attraktivitätsprogramm gemeint fühlen.
Manche der kritischen Punkte in diesem Zusammenhang finden Sie in meinem Jahresbericht: Besoldungsstruktur, Beurteilung, Beförderung, Zulagen, Dienstaltersstufen, finanzieller Ausgleich für Mehrarbeit nach der neuen Arbeitszeitverordnung, Einplanungsfehler, Kinderbetreuung am Standort usw.
Es geht um Materielles und um Ideelles. Vertrauen ist eine der ideellen Kategorien, vielleicht die wichtigste – Vertrauen der Gesellschaft in ihre Streitkräfte, Vertrauen der Soldatinnen und Soldaten in ihre Führung, Vertrauen der Führung in das Personal, das sie führt. Ich will nicht drumherum reden: In den letzten Wochen ist viel Vertrauen beschädigt worden.
Im Ansehen der Bevölkerung hat die Bundeswehr quasi von jetzt auf gleich 10 Prozentpunkte verloren. Viele Soldatinnen und Soldaten – auch Soldatenfamilien – berichten mir von einer veränderten Wahrnehmung durch ihr persönliches soziales Umfeld. Das belastet viele Soldaten, die jeden Tag ganz tadellos für unsere Sicherheit einstehen.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Jeder Jahresbericht enthält immer wieder Beispiele für inakzeptables Vorgesetztenverhalten, für unangemessene Ausbildungsmethoden, für fremdenfeindliche und rechtsextremistische Ausfälle wie auch für sexuelle Übergriffe und Mobbing. Das sind Dauerthemen in den Jahresberichten. Damit ist aber auch klar: Wir erfahren das! Es wird gemeldet, es gibt Eingaben, es wird gehandelt – nicht immer und nicht immer angemessen, aber doch sehr oft mit großem Verantwortungsbewusstsein der Verantwortlichen.
Sicherlich gibt es auch hier manche Mentalitäten, die sich ganz bestimmt noch ändern müssen. Ein Aufenthaltsraum mit einer Tanzstange, einer Leine mit Slips und einem obszönen Wort an der Wand: Das ist unwürdig. Hier hätte es keine Frau und keine Vorgesetzten gebraucht, um zu sagen: Weg damit! – Das kann jeder sehen. So ist Innere Führung gemeint.
Die deutsche Öffentlichkeit diskutiert heute über Traditionsverständnis und Rechtsextremismus in der Bundeswehr. Es sind wiederkehrende Diskussionen. Auch Soldaten beteiligen sich daran. Das ist gut.
Wir alle leben mit der Geschichte unseres Landes. Mein Großvater hatte nur einen Arm. Den anderen ließ er im Ersten Weltkrieg. Mein ältester Onkel, Heinrich, liegt im Kaukasus. Ob er ein Grab hat, weiß ich nicht. Er war dort mit der Wehrmacht. Geschichte lässt sich nicht entsorgen. Wir müssen sie kennen, um aus ihr zu lernen. Auch das ist ein Aspekt und eine Aufgabe der politischen Bildung in der Bundeswehr. Da kann man noch mehr tun.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich bin aber überzeugt: Wir haben heute die demokratischsten Streitkräfte, die Deutschland je hatte. Wann soll es besser gewesen sein? Das bizarre Doppelleben eines in Frankreich gerade fertigstudierten Offiziers für bundeswehrtypisch zu halten, wäre absurd. Unser Rechtsstaat muss alles, auch das Umfeld, komplett aufklären. Dies ist ein schwerwiegender Kriminalfall. Für mich ist glasklar: Wer die freiheitliche Ordnung verächtlich macht und bekämpft, kann kein Kamerad der Verteidiger der Freiheit sein.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Was wir jetzt allerdings vermeiden müssen, ist, in eine Kultur des Misstrauens abzurutschen. Die Durchsuchungsaktion in 1 600 Bundeswehrliegenschaften mit 33 000 Gebäuden geht vielen Soldatinnen und Soldaten sehr an die Nieren. Ich weiß nicht, ob das nötig war. Falls ja, war jedenfalls die Kommunikation dazu nicht wirklich ideal.
Abschließend danke ich all unseren Ansprechpartnern in der Bundeswehr, dem Verteidigungsausschuss und dem Verteidigungsministerium für die gute Zusammenarbeit. Ein Dank geht natürlich auch an die engagierten Kolleginnen und Kollegen in meinem Amt, ohne die 4 500 Vorgänge im Jahr nicht zu bewältigen wären und ohne die es diesen Jahresbericht nicht geben könnte.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Christine Buchholz [DIE LINKE])
Vielen Dank. – Bevor ich dem Parlamentarischen Staatssekretär Markus Grübel für die Bundesregierung das Wort erteile, möchte ich Ihnen, Herr Wehrbeauftragter, und Ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen für die Vorlage dieses Jahresberichtes ganz herzlich danken. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Ihre Berichte sind für uns immer wichtig, damit wir unsere Funktion als Parlament wahrnehmen können. Wir freuen uns auf die weiteren Debatten. Danke schön.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Herr Staatssekretär.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 237 |
Tagesordnungspunkt | Jahresbericht 2016 des Wehrbeauftragten |