Matthias HeiderCDU/CSU - Kohleausstieg
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Nachdem die Kollegin Baerbock sich drei Minuten Zeit genommen hat, die Industriefeindlichkeit des Wahlprogramms der Grünen zu skizzieren,
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja lächerlich! – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um Klimaschutz, gerade heute Abend!)
ist es jetzt einmal Zeit, zu erklären, warum Energiepolitik auch Industrie- und Wettbewerbspolitik ist.
Meine Damen und Herren, den Antrag der Grünen könnte man in einem Satz zusammenfassen: Hochwertige, tarifgebundene Arbeitsplätze in der Energiewirtschaft sollen aufs Spiel gesetzt werden,
(Widerspruch bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
und mit der Energieversorgung in Deutschland wollen die Grünen und auch die Linken spielen wie mit einem Baukasten. Das wird nicht funktionieren; das sage ich Ihnen gleich.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Jurk [SPD])
Weder das eine noch das andere werden wir zulassen, und deshalb werden wir Ihre Anträge ablehnen.
Denken wir einmal an das Jahr 2010 zurück. Deutschland befand sich in einer guten Lage. Es wurde von einer christlich-liberalen Koalition regiert. 45 Prozent der Stromerzeugung waren CO 2 -frei. Damals kam der Strom nämlich noch aus CO 2 -freier Kernenergie.
(Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!)
Nachdem wir aber gemeinsam aufgrund einer neuen Bewertung des Restrisikos beschlossen hatten, dass wir diese Form der Energieerzeugung nicht mehr nutzen wollen, haben wir doch alle eine hohe Verantwortung, die Versorgungssicherheit in Deutschland weiter zu gewährleisten. Sie ist aber gefährdet, wenn man neben der Kernenergie im Hauruckverfahren auch aus der Kohle aussteigen will.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Hauruckverfahren“?)
Wir werden nach dem aktuellen Stand die Energie aus Kernkraft und Kohle nicht eins zu eins mit volatiler Energie aus Wind und Sonne ersetzen können.
(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wodurch denn? Beantworten Sie doch mal die Frage!)
Das wissen Sie auch ganz genau. Sie ignorieren das aber lieber, weil Sie ideologiegetrieben sind und das Augenmaß für das Machbare einfach nicht haben.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also finden Sie gut, was Trump macht, ja?)
Ich will Sie an ein Datum erinnern, den 24. Januar 2017. Das war der Tag der sogenannten Dunkelflaute. Der Strombedarf in Deutschland betrug an diesem Tag 83 Gigawatt. Die erneuerbaren Energien konnten an diesem Tag gerade einmal 3 Gigawatt liefern. Was mussten wir also tun? Wir haben Strom aus Kernenergie aus Frankreich importiert.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sonst exportieren wir immer nur nach Frankreich!)
Da s kostete uns einerseits richtig viel Geld, und andererseits belastete es die Netze erheblich.
Warum ist die Versorgungssicherheit so wichtig? Ich will Ihnen dazu eine anschauliche Geschichte aus meinem Wahlkreis im Sauerland erzählen. Dort befindet sich eine Papierfabrik, ein echtes mittelständisches Familienunternehmen, über 100 Jahre alt, mit knapp 100 Mitarbeitern. Für eine Papierfabrik ist eine verlässliche Stromversorgung so wichtig wie die Luft zum Atmen. Kleinste Schwankungen im Netz können bei einem kontinuierlichen Prozess wie der Papierherstellung zu einem Stillstand der Produktion führen. Und wenn die Maschinen einmal stehen, kann es bis zu einer Stunde dauern, bis die Produktion wieder richtig läuft. Dieser Stillstand kostet das Unternehmen einen gut fünfstelligen Betrag; das ist für ein mittelständisches Unternehmen eine Menge Geld. Das gilt umso mehr, wenn sie an andere Konti-Prozesse denken, etwa in einem Elektrostahlwerk oder in einer Aluminiumhütte im Ruhrgebiet.
Wenn wir also nicht genau darauf achten, dass die Versorgungssicherheit gewahrt bleibt, verlieren wir im Wettbewerb und gefährden die Existenz von Arbeitsplätzen. Mehr noch: Wenn der Unternehmer nicht nur mehr Geld für den Strom wegen der Energiewende bezahlen muss, sondern sich auch nicht mehr auf die Energieversorgung verlassen kann, dann sind das zwei ganz gefährliche Wettbewerbsnachteile. Dann machen wir Deutschland als Wirtschaftsstandort unattraktiv.
Wir als Unionsfraktion wollen das Gegenteil. Wir wollen
(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In der Kohle bleiben!)
unseren attraktiven Wirtschaftsstandort schützen. Wir wollen, dass hier Arbeitsplätze entstehen. Richtig ist auch: Wenn wir die sehr ambitionierten Ziele von Paris einhalten wollen, brauchen wir Veränderungen im Bereich der konventionellen Kraftwerke. Uns muss aber klar sein, dass der Anteil der Kohle an der Stromerzeugung dadurch langsam sinken wird. Die Liste der Bundesnetzagentur über die Stilllegungsanzeigen dokumentiert, dass dieser Transformationsprozess im Markt langsam in Gang kommt.
(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja keine Klimapolitik! Da geht es um Wirtschaftspolitik!)
Wir sollten eines aber nicht vergessen: Wir haben in Paris keinen Ausstieg aus der Kohle beschlossen. Die Reduzierung der Kohleverstromung, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ist kein Selbstzweck. Unser Beitrag ist im internationalen Vergleich durchaus größer als der, den andere Industrienationen angekündigt haben, und es wäre schön, wenn es nicht nur bei Ankündigungen bliebe.
Die in Ihrem Antrag aufgezählten Länder haben alle nur Absichtserklärungen zur Reduzierung der Kohleverstromung vorgelegt.
(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch! 100 Standorte!)
Großbritannien hat für 2025 angekündigt, keine Kohle mehr verstromen zu wollen, beschlossen ist nichts; die haben mit dem Brexit jetzt auch ganz andere Probleme. Der Trilog in Brüssel stoppt gerade. Die Niederlande haben keine CO 2 -Reduzierung beschlossen; von Kohle war da direkt gar keine Rede. Sie hatten auch China genannt. China will die Kohleförderung um ein Drittel reduzieren; die pusteten im Jahr 2014 insgesamt 8,5 Milliarden Tonnen CO 2 in die Luft.
(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die haben auch ein paar mehr Leute als wir!)
In den hochindustrialisierten Ländern der EU sind es insgesamt 3,4 Milliarden Tonnen CO 2 , davon entfielen auf Deutschland gerade einmal 794 Millionen Tonnen CO 2 .
(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gucken Sie sich einmal die Bevölkerungszahlen an! Was ist das denn?)
Dann führen Sie uns Frankreich als Musterbeispiel für saubere Energie an,
(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie was Falsches gelesen im Antrag! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie mal unsere Anträge!)
weil dort 2023 angeblich das letzte Kohlekraftwerk abgeschaltet werden soll. Dabei wird dort mit 75 Prozent der höchste Anteil der Energie in Kernkraftwerken produziert. Wen wollen Sie eigentlich verschaukeln?
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich sage Ihnen: In der Wirtschaftspolitik müssen Sie einmal das Fernlicht einschalten. Da reicht ein Öllämpchen nicht aus, nicht einmal, wenn man daran reibt.
Es besteht also überhaupt kein Anlass, eine kurzfristige, einseitige Verschärfung der bestehenden Klimaziele durchzuführen, und es besteht auch kein Anlass, neue Daumenschrauben zu erfinden, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zusätzlich zu benachteiligen.
(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wurde die Rede eigentlich in Washington geschrieben, oder wo?)
Im Übrigen gilt – ich will noch auf das ETS zu sprechen kommen –: Die aktuell in Brüssel diskutierten Reformschritte führen durch die entsprechenden Maßnahmen sicherlich zu einer weiteren Belebung des Marktes. Aber ich rate auch hier zu Augenmaß. Zentrales Problem sind die Benchmarks für den künftig erlaubten CO 2 -Ausstoß. Im Moment bedeutet das, jedenfalls für Deutschland, 3 bis 4 Milliarden Euro mehr an Belastungen. Ich habe deshalb eine große Sympathie
(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit Trump? Das haben wir gehört!)
für die Bitte der Bürgermeister deutscher Stahlstandorte an d ie Bundeskanzlerin, die Erzeugung von Stahl im eigenen Land nicht zu gefährden.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Ein paar Milliarden Euro mehr sind schwer zu erwirtschaften.
(Beifall bei der CDU/CSU – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann sollte Thyssen nicht in Brasilien investieren!)
Das macht man nicht einfach so. Das geht zulasten des Ergebnisses. Das geht zulasten von Wertschöpfungsketten; diese brechen dadurch weg. Das geht zulasten von Arbeitsplätzen in Deutschland. Die Folge ist: Billiger chinesischer Stahl gewinnt, der zu wesentlich höheren Umweltbelastungen hergestellt wird. Das alles wollen Sie. Wir als Union wollen das nicht. Deshalb sind Sie in Nordrhein-Westfalen abgewählt worden.
(Beifall bei der CDU/CSU – Thomas Jurk [SPD]: Das trifft uns hart!)
Wir wollen keine kurzfristigen und kurzsichtigen Kraftwerksschließungen in Deutschland.
(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach!)
Das träfe Nordrhein-Westfalen hart. Durch die Abhängigkeiten im Braunkohlesystem würden im Rheinischen Revier unmittelbar 17 Kraftwerke und 2 Tagebaue unwirtschaftlich. Das ginge zulasten von qualifizierten Arbeitsplätzen. Das bedeutet, dass bei einem solchen Ausstieg in Nordrhein-Westfalen 40 000 Arbeitsplätze und bundesweit 70 000 Arbeitsplätze betroffen wären. Das können wir zusätzlich zu dem Ausstieg aus der Kernenergie nicht tragen.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Nordrhein-Westfalen sind das nicht 40 000 Arbeitsplätze! Das sind Märchen, die Sie erzählen! Das sind nicht einmal mehr 10 000!)
Deshalb ist Augenmaß gefordert.
Eines haben Sie vergessen: das Preisschild an Ihrem Vorschlag. Dieses werden wir hier heute an Ihrem Vorschlag anbringen müssen. Hier ist wirtschaftliche Vernunft gefragt. Sie müssen an die Menschen denken, die davon betroffen sind. Dafür werden wir uns einsetzen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Ihnen eine Änderung der Tagesordnung bekannt geben: Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, dass nach TOP 17, also gegen 22.30 Uhr, die Debatte und drei namentliche Abstimmungen zum Thema „Abschiebungen nach Afghanistan“ stattfinden. Stellen Sie sich bitte darauf ein.
Jetzt hat als Nächste Eva Bulling-Schröter, Fraktion Die Linke, das Wort.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7115256 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 237 |
Tagesordnungspunkt | Kohleausstieg |