01.06.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 237 / Tagesordnungspunkt 15

Thomas JurkSPD - Kohleausstieg

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In dieser Legislatur wurde durch die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen der gesetzliche Rahmen für den Umbau unserer Energieversorgung neu geordnet und erheblich konkretisiert. Mit dem Klimaschutzplan der Bundesregierung wurden die Einsparziele für verschiedene Sektoren festgelegt. Damit ist auch Planungssicherheit verbunden. Planungssicherheit erfolgt auch durch das Strommarktgesetz und die damit verbundene Sicherheitsbereitschaft zur geplanten Stilllegung von Kraftwerken. Mit den EEG 2014 und 2017 sind die Entwicklungsperspektiven für die erneuerbaren Energien fixiert worden. Damit verbunden ist die dringende Erhöhung der Wirtschaftlichkeit durch Ausschreibungsmodelle bei Photovoltaik und Windkraft. Ein weiterer wesentlicher Beitrag zur Energiewende ist die finanzielle Förderung von Energieeffizienz, die in dieser Legislatur auf circa 3 Milliarden Euro im Jahr 2017 erhöht wurde.

Herr Kollege Jurk, darf ich Sie unterbrechen? – Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Baerbock?

Na klar.

Bitte schön.

Herr Kollege Jurk, Sie zählen ja jetzt alles auf, was erreicht wurde. Wir reden an diesem Abend aber auch über das Klimaabkommen. Seit 2009 wurde in Deutschland keine Tonne CO 2 eingespart; wir haben über sieben Jahre keine weitere Reduktion erreicht. Wie gedenken Sie trotz all Ihrer Maßnahmen und ohne Kohleausstieg dem Klimaabkommen gerecht zu werden, wenn Sie keine einzige Tonne CO 2 in den letzten Jahren eingespart haben?

Wir wollen nach vorne schauen, sehr verehrte Frau Kollegin. Wenn Sie meiner Rede weiter folgen, werde ich Ihnen eine Antwort darauf geben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Man kann es nicht oft genug sagen: Im energiepolitischen Dreieck von Umwelt- und Klimaschutz, Bezahlbarkeit sowie Versorgungssicherheit wird das hohe Gut der Versorgungssicherheit momentan durch viele Akteure gewährleistet. Versorgungssicherheit ist übrigens keine Selbstverständlichkeit. Deshalb sollte niemand der Illusion verfallen, man müsste nur intelligent hin- und herschalten und das System bliebe einfach stabil. Das Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende leistet dazu einen kleinen, aber nicht unwichtigen Beitrag. Aber das Funktionieren unseres Energiesystems macht nach wie vor einen erheblichen Anteil an grundlastfähigen Erzeugungskapazitäten erforderlich. Bei aller erfreulichen Entwicklung beim Ausbau der erneuerbaren Energien, die mittlerweile ein Drittel des Strombedarfes abdecken, werden konventionelle Kraftwerke weiterhin gebraucht. Deshalb ist die Forderung in Ihrem Antrag, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, wir sollten uns an Großbritannien und Frankreich orientieren, ein völliger Trugschluss.

Wir verabschieden uns aus guten Gründen Ende 2022 von der Kernenergie; da bin ich anderer Meinung als mein Vorredner von der CDU/CSU-Fraktion. Großbritannien setzt auf Windenergie und Kernkraft; neue Kernkraftwerke sollen gebaut werden. Hinkley Point C soll 2025 ans Netz gehen. Vor diesem Hintergrund ist es einfach, die Kohlekraftwerke abzuschalten. Der frisch gewählte französische Präsident Macron sieht sich den Wünschen der Energieversorger auf finanzielle Unterstützung für Kernkraft ausgesetzt. Übrigens ist der französische Energiekonzern EDF Bauherr beim britischen Kernkraftwerk Hinkley Point C.

Wenn wir aus der Atomkraft aussteigen, müssen wir für die Versorgungssicherheit auch Kapazitäten an Kohlekraft haben. Dabei rede ich nicht einmal über die Beschäftigung und Wertschöpfung in strukturschwachen Räumen wie meiner Heimatregion, der Lausitz. Ein erfolgreiches Industrieland wie Deutschland braucht eine verlässliche, eine stabile Energieversorgung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Das im Antrag der Linken genannte Ziel, bis 2035 alle kohlebasierten Kraftwerke in Deutschland stillzulegen – das ist auch, sehr verehrte Frau Kollegin, im Ausschuss diskutiert worden –, würde bedeuten, 67 Standorte, von denen übrigens 35 Standorte Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen mit 51 000 Megawatt elektrischer und 14 000 Megawatt thermischer Leistung sind, aus dem Energieversorgungssystem herauszunehmen. Dass das nicht funktionieren kann, liegt auf der Hand.

Aber wie bereits eingangs dargestellt, werden wir in den nächsten Jahren durch die Außerbetriebnahme – Frau Baerbock, jetzt dürfen Sie zuhören –

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich höre!)

von Braunkohlekraftwerksblöcken nicht nur einen Beitrag für den Klimaschutz leisten, sondern auch strukturschwache Räume vor erhebliche Probleme stellen.

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)

Allein Sicherheitsbereitschaft und Stilllegung von zwei Blöcken, nämlich F und E in 2018 und 2019, in Jänsch­walde in Brandenburg bedeuten den Verlust von 600 Arbeitsplätzen.

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, der Arbeitsrückbau war doch eh schon eingeplant!)

Deshalb ist es richtig, dass wir eine Vielzahl von engagierten regionalen Akteuren haben, die sich der Aufgabe des neuerlichen Strukturwandels stellen. Die überwiegende Zahl dieser Initiativen sieht den Strukturwandel mit Kohle und nicht, wie Sie behaupten, ohne Kohle.

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, und Sie als Politiker schauen zu! Genau!)

Ich finde es hervorragend, dass sich Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie die Landräte der Region in einem Bündnis zusammengefunden haben. Sie sind auch nicht bekloppt; sie verzichten nicht auf das, was die Region reich gemacht hat, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und warum werden 4 Millionen für Strukturwandel nicht abgerufen? – Zuruf von der CDU/CSU: Auf die Grünen können wir verzichten!)

Frau Baerbock, das müssen Sie doch zugeben: Alle Erfahrungen vom Strukturwandel in Kohleregionen machen deutlich, vor welcher Herkulesaufgabe man steht, diese wirklich gut bezahlten Arbeitsplätze irgendwie zu kompensieren. Deshalb war es richtig, unter anderem im Energie- und Klimafonds Mittel für Begleitmaßnahmen – ich betone: für Begleitmaßnahmen – des Strukturwandels einzustellen.

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, die können nicht abgerufen werden!)

Unsere Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker dürfen nicht alleingelassen werden.

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, sie können sie nicht abrufen!)

In 14 Tagen wird Frau Bundeswirtschaftsministerin Zypries die Gemeinde Boxberg in der Oberlausitz besuchen – einen Kraftwerksstandort, aber einen Standort mit Ansätzen des Strukturwandels –, um mit den Akteuren vor Ort einem erfolgreichen Strukturwandel einen weiteren Schub zu verleihen.

Für den Strukturwandel in betroffenen Regionen ist aber noch weitere Unterstützung notwendig. Einerseits gilt dies in organisatorischer Hinsicht: Das Bundeswirtschaftsministerium hat eine Stabsstelle für den Strukturwandel in Braunkohleregionen geschaffen, die im Klimaschutzplan genannte Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Regionalentwicklung“ wird vorbereitet,

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, 2018!)

und es finden Gespräche zwischen dem Bund und den betroffenen Ländern statt. Andererseits geht es auch darum, den Strukturwandel finanziell zu begleiten. Hier nenne ich vor allem die Förderung durch die bewährte Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, kurz GRW, mit ihrer Experimentierklausel. Das ist etwas Neues und Erfolgversprechendes.

Darüber hinaus muss es um einen weiteren Ausbau der Infrastruktur gehen. Deshalb ist es äußerst kontraproduktiv, dass die Deutsche Bahn – offensichtlich auf Geheiß des Bundesverkehrsministeriums – keine Planungsvereinbarung mit den beteiligten Ländern mehr schließen darf, um eine Eisenbahnverbindung wie die von Berlin nach Görlitz aus dem Potenziellen Bedarf in den Vordringlichen Bedarf zu befördern.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben die in den Bundesverkehrswegeplan reingenommen!)

– Hören Sie doch zu, und unterstützen Sie uns!

Frau Kollegin Baerbock, jetzt ist es gut. Der Herr Kollege Jurk kommt jetzt zum Ende.

Vielen Dank, Frau Präsidentin; ich folge Ihrem Wunsch und komme zum Schluss. – Es bleibt viel zu tun. Ausstiegsszenarien, immer neuer Ballast oder ideologische Debatten sind dabei nicht hilfreich. Ich bin mir sicher, dass wir gemeinsam mit der Kraft der Menschen vor Ort Stück für Stück vorankommen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Als Nächstes hat jetzt Dr. Klaus-Peter Schulze für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7115259
Wahlperiode 18
Sitzung 237
Tagesordnungspunkt Kohleausstieg
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