Klaus-Peter SchulzeCDU/CSU - Kohleausstieg
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Jurk hat viele Punkte, die auch ich auf meinem Zettel habe, angesprochen; das gilt auch für Dr. Heider. Ich möchte ein ganz anderes Thema beleuchten, das aus meiner Sicht in der gesamten Debatte, solange ich im Deutschen Bundestag und in den Ausschüssen dabei bin, noch nicht angesprochen wurde.
Die deutsche Gipsindustrie benötigt jährlich etwa 9,5 Millionen Tonnen Gips. Davon kommen 5 Millionen Tonnen aus den REA-Anlagen der Braunkohle- und Steinkohlekraftwerke. Dort wird das SO 2 , das ja im Wesentlichen an der Bildung des sauren Regens in den 70er- und 80er-Jahren beteiligt war, eliminiert, und über Kalkstein entsteht Gips. Dieser Gips ist im Vergleich zu Naturgips chemisch reiner, und er wird von der Gipsindustrie sehr gerne weiterverarbeitet. Bei uns im Kraftwerk Schwarze Pumpe, aber auch am Kraftwerksstandort Jänschwalde und an vielen Kraftwerksstandorten in NRW hat sich die Gipsindustrie angesiedelt, und sie nutzt diesen Rohstoff. Damit werden die natürlichen Vorkommen geschont.
Gleichzeitig möchten wir gerne, dass die Bautätigkeit in Deutschland weiter vorangeht. Ich sage nur: Wir brauchen dringend mehr Wohnungen. Dazu wollen wir neue Wohngebiete erschließen, wir wollen aber auch verdichten. Wenn wir verdichten, heißt das, dass wir auf bestehende Gebäude noch die eine oder andere Etage draufsetzen müssen. Das wird dazu führen, dass wir zusätzliche Mengen benötigen.
(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: An Kohle oder an Gips?)
– Ich rede immer noch von Gips.
Die Gipsvorkommen, die wir in vier Bundesländern und in Süddeutschland haben, kann man auch bergmännisch gewinnen. Dazu muss man dann neue Steinbrüche bzw. Bergwerke erschließen. Ich erwarte natürlich, dass sich diejenigen, die den Kohleausstieg jetzt schnell vorantreiben wollen, auch vor dem Hintergrund, dass mindestens 60 Prozent des in Deutschland benötigten Rohstoffs über Kohlekraftwerke gesichert werden, an die Spitze der Bewegung stellen und sagen werden: Wir unterstützen im Südharz, in Nordthüringen, in Nordhessen, im Keuper von Baden-Württemberg und in Bayern den Aufschluss neuer Tagebaue. – Ich bin gespannt, ob die Bundestagsabgeordneten von Linken und Grünen in Verantwortung für ihre Region an der Spitze dieser Bewegung stehen und diese Entwicklung vorantreiben werden. Das, was ich derzeit aus Thüringen und Sachsen-Anhalt höre, lässt erwarten, dass man dies nicht tun möchte.
Ich will noch auf die Kommission „Wachstum, Strukturwandel, Regionalentwicklung“ eingehen – sie wurde schon erwähnt –, die im Zusammenhang mit dem Klimaplan etabliert wird. Es ist aus meiner Sicht wichtig, dass dies mitverfolgt wird und dass wir uns auch darüber Gedanken machen.
(Beifall des Abg. Thomas Jurk [SPD])
Herr Kollege Dr. Schulze, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Krischer?
Natürlich.
Herr Kollege, ich finde, es ist eine interessante Theorie, die Sie hier aufstellen.
Das ist keine Theorie, das ist Praxis.
Sie sagen, wir müssen Kohle abbauen, um die Gipsproduktion in Deutschland zu sichern. Das ist eine sehr interessante These. Damit sollten Sie öfters auftreten. Man könnte jetzt einmal weiter darüber nachdenken, was das alles für Konsequenzen hat. Wir baggern viele Quadratkilometer Fläche im Rheinland und in der Lausitz ab, schädigen das Klima und verschmutzen das Grundwasser, um am Ende das Abfallprodukt Gips zu erhalten, das bei der Stromerzeugung entsteht.
Meine Frage an Sie ist: Ist Ihnen bekannt, dass im Rheinland große Mengen Kalk zur Verhinderung der Versauerung und Verockerung in den Tagebau geschüttet werden, dass dieser Kalk in vielen Gebieten abgebaut und ins Rheinland transportiert werden muss und dass der Braunkohlebergbau, den Sie gerade als Rechtfertigung dafür benutzt haben, weiter Gips abzubauen, selber wieder einen Abbau von Kalk an anderen Stellen verursacht? Damit dreht sich Ihre ganze Geschichte im Kreis. Ich glaube, wenn ich noch ein bisschen länger darüber nachdenken würde, dann fielen mir noch ganz andere Sachen dazu ein.
Ich bitte Sie einfach einmal um eine Stellungnahme dazu.
Sie haben die Dinge gerade nicht vollständig benannt.
(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)
Natürlich brauche ich auch Kalk, um das Rauchgas zu entschwefeln. Diese Mengen müssen Sie also einfach mit dazurechnen. Ich habe bewusst auf diesen Teil hingewiesen.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also noch mehr!)
Wir haben ja schon eine Debatte über die Vermaisung der Landschaft geführt. Wir haben Biogasanlagen in nennenswerten Größenordnungen aufgebaut und deshalb die Maisanbaufläche um über 1 Million Hektar erhöht. Damit haben wir die Landschaft vermaist, um die Biogasanlagen mit Mais zu füttern. Damals hat sich keiner Gedanken darüber gemacht, welche Auswirkungen das langfristig auf die Biodiversität hat. Darauf hat keiner Rücksicht genommen.
Es wird mir doch wohl erlaubt sein, darauf hinzuweisen, dass auch diese Dinge ganz einfach mit berücksichtigt werden müssen, wenn man einen Kohleausstieg fordert.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich komme jetzt einmal zu Ihren Arbeitsplatzzahlen, die in dem Antrag hier angeführt werden. Sie sagen, es sind etwa 30 000. Ich kann diese Zahl nicht nachvollziehen. In den deutschen Kohlekraftwerken und in den Bergwerken haben wir zusammen 36 000 Arbeitsplätze. Da jeder dortige Arbeitsplatz mindestens einen Arbeitsplatz bei Industrieleistern nach sich zieht, sind wir bei knapp über 70 000. Kollege Jurk, Sie haben die 600 Arbeitsplätze vom Kraftwerk Jänschwalde angesprochen. Das sind die bei LEAG. Ich muss also die gleiche Anzahl auch noch einmal bei den Industriedienstleistern berücksichtigen.
Ich glaube nicht, dass es uns in dem von Ihnen angegebenen Zeitraum bis 2035 gelingen wird, die entsprechende Anzahl von Ersatzindustriearbeitsplätzen zu schaffen. Mit Paddelbootverleihern am Senftenberger See oder anderswo werden wir eine Region nicht ernähren können. Wir brauchen Industriearbeitsplätze.
Der sächsischen Wirtschaftsförderung in Rothenburg ist hier etwas gelungen, wenn denn die Ansiedlung kommt
(Ulrich Freese [SPD]: Wenn sie denn mal kommt!)
– das habe ich ja gesagt, Herr Freese – und 1 000 Arbeitsplätze entstehen. Das wäre dann aber nur ein erster Schritt. Damit muss es auf dieser Strecke insgesamt weitergehen.
Abschließend möchte ich noch auf das Thema Steinkohle eingehen. Frau Baerbock, Sie haben ja gesagt, es gehe Ihnen erst einmal um die Braunkohlekraftwerke. Mit anderen Worten – das hat Rot-Rot-Grün hier in Berlin ja verkündet –: Sie wollen noch einige Jahrzehnte weiter mit den Steinkohlekraftwerken wirtschaften.
(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, wir wollen auch aus der Steinkohle aussteigen!)
Darüber muss man einmal nachdenken.
2018 stellen wir die deutsche Steinkohlenförderung ein. Dann werden wir alles, was wir benötigen, importieren. Schauen Sie sich einmal an, unter welchen Bedingungen zum Beispiel in Kolumbien – ein Fraktionsmitglied von Ihnen war mit vor Ort – Kohle gefördert wird und welche Umwelt- und Sozialstandards dort gelten. Hinzu kommt, dass dort Tausende Hektar nicht rekultiviert werden. Das Grubengas, das im Ruhrgebiet und in anderen Steinkohlenabbaugebieten aufgefangen und thermisch verwertet wird, steigt dort auf Hunderten und Tausenden Hektar Fläche ungehindert in die Atmosphäre. Jedes Molekül Methan hat als Treibhausgas eine Wirkung wie etwa 25 Moleküle CO 2 . Auch das muss man berücksichtigen.
Dann muss man auch die Transportwege berücksichtigen. Ich erinnere hier auch an die Bedingungen, unter denen Menschen umgesiedelt werden und unter denen sie dort arbeiten. Da sage ich Ihnen: Solange wir Kohle noch benötigen, ist es mir lieber, dass wir Kohle mit den hohen Umweltstandards, die bei uns in Deutschland gelten, abbauen und sie nicht irgendwo anders herholen, zum Beispiel aus 8 000 Kilometer Entfernung. Das liefe dann nach dem Motto: Aus dem Auge, aus dem Sinn. Das ist im Sinne des globalen Klimaschutzes sicherlich nicht der richtige Weg.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Gerhard Schick für Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7115261 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 237 |
Tagesordnungspunkt | Kohleausstieg |