01.06.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 237 / Tagesordnungspunkt 16

Elke FernerSPD - Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen

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Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Die Ratifizierung der Istanbul-Konvention ist ein weiterer Meilenstein in einer langen Reihe gleichstellungspolitischer Meilensteine. Gewalt gegen Frauen ist auch bei uns kein Randphänomen und findet mitten in unserer Gesellschaft statt. Viele Frauen erleiden Gewalt. Alleine 2015 waren 104 000 Frauen von häuslicher Gewalt in der Partnerschaft betroffen. Doch auch heute schweigen viele von ihnen aus Angst vor weiterer Gewalt oder aus Angst, dass ihnen niemand glaubt, und das trotz eines gut ausgebauten Hilfesystems, trotz des Gewaltschutzgesetzes und trotz anderer gesetzlicher Regelungen.

Eine der zentralen Forderungen der Istanbul-Konvention ist, alle nicht einvernehmlichen sexuellen Handlungen unter Strafe zu stellen. Diese letzte Lücke im deutschen Sexualstrafrecht haben wir im letzten Sommer nach langen Diskussionen gemeinsam geschlossen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir haben das im Bundestag einstimmig beschlossen, mit großer Unterstützung aus der Zivilgesellschaft, für die ich mich bei allen Beteiligten ganz herzlich bedanken möchte. Ohne die Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft hätten wir diesen Paradigmenwechsel wahrscheinlich nicht geschafft.

(Beifall bei der SPD)

Jetzt gilt der Grundsatz „Nein heißt nein“ ohne Wenn und Aber. Wer diese Grenze überschreitet, macht sich strafbar. Das ist eindeutig und – das will ich klar sagen – auch für mittelmäßig begabte Männer zu verstehen.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Mit der Ratifizierung der Istanbul-Konvention stehen wir aber nicht am Ende, sondern am Anfang eines Prozesses. Mit der Ratifizierung verpflichten wir uns, die geschaffenen Standards im Kampf gegen Gewalt gegen Frauen dauerhaft aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln. Deshalb ist für mich ganz klar, dass in der nächsten Wahlperiode im Bundestag ein drittes Aktionsprogramm zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen und Mädchen beschlossen werden muss.

(Beifall bei der SPD)

Die Istanbul-Konvention muss auch im Alltag Wirklichkeit werden und in der Rechtsprechung angewandt werden. Dazu gehören auch Fortbildungen für Angehörige von Justiz, Ermittlungsbehörden und Polizei. Das liegt im Zuständigkeitsbereich der Länder. Ich kann diese nur ermutigen, Justiz-, Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden schnell mit den neuen Anforderungen vertraut zu machen; denn nur wenn Gewalt gegen Frauen erkannt wird, kann sie auch bekämpft und geahndet werden.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb müssen die Istanbul-Konvention und die sich daraus ergebenden Rechte auch in der Bevölkerung besser bekannt gemacht werden. Nur so können gewaltbetroffene Frauen und Mädchen ihre Rechte einfordern und besser geschützt werden.

Ich will ein Beispiel nennen. Die BVG hier in Berlin hat – vielleicht hat das der eine oder die andere schon mitbekommen – eine Kampagne zur Bekanntmachung des Prinzips „Nein heißt nein“ initiiert, die auf den Bildschirmen der U-Bahnen zu sehen ist. Das ist eine großartige Aktion. Ich wünsche mir, dass viele andere dieser Aktion folgen, um dieses Prinzip klarzumachen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Mit Ende dieser Legislaturperiode werde ich nach fast 27 Jahren – mit einer Unterbrechung – aus dem Deutschen Bundestag ausscheiden. Ich habe meine Tätigkeit als Abgeordnete über all die Jahre immer als großes Privileg empfunden. Es ist für viele von uns das Spannendste und Vielseitigste, was man kennenlernen kann. Ich durfte unglaublich viele Menschen kennen- und schätzen lernen. Ich konnte für die Menschen in meinem Wahlkreis und darüber hinaus viel bewegen und bei der Lösung ganz konkreter Probleme helfen. Ich habe hier im Parlament die Gelegenheit gehabt, auf unterschiedlichen Feldern zu arbeiten: in der Verkehrs-, Europa-, Haushalts-, Umwelt-, Gesundheits- und Sozialpolitik und nun in dieser Wahlperiode im Bereich der Familien-, Senioren-, Frauen- und Jugendpolitik. Das war immer mein persönliches Hobby. Es war toll, das sozusagen hauptamtlich in der Politik machen zu können.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Als verkehrspolitische Sprecherin meiner Fraktion, als stellvertretende Fraktionsvorsitzende und jetzt als Parlamentarische Staatssekretärin – zwischendurch war ich einmal beamtete Staatssekretärin im Verkehrsministerium – habe ich in unterschiedlichen Bereichen Verantwortung übernehmen dürfen. Ich bin sehr dankbar, dass ich wie heute an vielen gleichstellungspolitischen Meilensteinen in der Gesetzgebung mitwirken und damit auch ein Stück Frauengeschichte in Deutschland schreiben konnte.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

An vielen Punkten haben wir Frauen hier in diesem Parlament viel bewegt: bei § 218, bei der Erweiterung von Artikel 3 Grundgesetz, bei der Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe oder wie im letzten Jahr bei der Reform des Sexualstrafrechts. Ich hätte mir auch gewünscht – das sage ich hier ganz offen –, dass wir in dieser Wahlperiode die vorhandenen Mehrheiten im Parlament genutzt hätten, um zu beschließen, dass gleichgeschlechtliche Paare die Ehe eingehen können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vielleicht kann sich die Unionsfraktion noch dazu hinreißen lassen, in den letzten beiden Sitzungswochen den Fraktionszwang aufzuheben.

Wir haben auch dann sehr viele gleichstellungspolitische Meilensteine umsetzen können, wenn die SPD in der Regierungsverantwortung war. Ich will nur einige aus der Zeit nennen, in der ich im Parlament war: das Gewaltschutzgesetz; das Bundesgleichstellungsgesetz; die Einführung von Gender-Mainstreaming in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien; das Elterngeld; das Elterngeld Plus; Verbesserungen im Rentenrecht; der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz; die sogenannte Frauenquote, die ja in Wahrheit eine Geschlechterquote ist; die Entgelttransparenz. Wir hätten eigentlich auch noch in dieser Wahlperiode – das wäre wirklich wichtig gewesen – das Recht auf Rückkehr von Teilzeit- zu Vollzeitarbeit

(Beifall bei der SPD)

und auch die Verbesserung der Rentenanwartschaften für die Niedrigverdienenden, was ja insbesondere den Frauen zugutekommt, beschließen müssen. Insofern bleibt für die, die dem Bundestag in den nächsten Wahlperioden angehören, noch viel zu tun.

Ich würde mir sehr wünschen, dass in der nächsten Wahlperiode das Tempo erhöht wird. Wir haben in dieser Wahlperiode viel vorgelegt. Ich wünsche mir, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen den Lebensmodellen des 21. Jahrhunderts angepasst werden und nicht in den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts verharren. Dies gilt beispielsweise für das Ehegattensplitting, das wirklich ein Relikt aus dem letzten Jahrhundert ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich mir wünschen, dass Gesetze nur verabschiedet werden, wenn sie die bestehenden Benachteiligungen zwischen Frauen und Männern wirklich verringern. Die Aussage „Gleichstellungspolitische Auswirkungen: keine“ spricht eigentlich nicht für gute Gesetze. Vielleicht kann man sich diesen Punkt in der nächsten Wahlperiode vornehmen.

Ich würde mir wirklich sehr wünschen, dass endlich bei großen Teilen der Wirtschaft, aber auch bei den gleichstellungspolitischen Bremsern in diesem Parlament die Einsicht einkehrt, dass die Gleichstellung von Frauen und Männern in allen gesellschaftlichen Bereichen ein Gewinn ist – für alle: für die Männer, für die Frauen, für die gesamte Gesellschaft.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte jetzt schließen. Ich bedanke mich für die gute fraktionsübergreifende Zusammenarbeit. Ich möchte mich insbesondere bei meiner Fraktion, bei meinen Parteifreundinnen und ‑freunden zu Hause bedanken.

(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Bei der CDU/CSU-Fraktion!)

– Ja, bei allen hier im Parlament. Alle sind natürlich eingeschlossen.

Natürlich bedanke ich mich auch bei den Vertreterinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft, mit denen ich viel zusammenarbeiten konnte. Darüber hinaus bedanke ich mich bei meinem Team, bei meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und meiner Familie.

Ich wünsche Ihnen alles Gute für die nächste Wahlperiode und möchte, wie das bei uns im Saarland so üblich ist, mit einem herzlichen Glückauf schließen.

Vielen Dank.

(Beifall im ganzen Hause – Die Abgeordneten der SPD erheben sich)

Liebe Kollegin Ferner, das hat sich so angehört, als ob das Ihre letzte Rede hier im Deutschen Bundestag gewesen wäre. Deshalb möchte ich diese Gelegenheit nutzen, Ihnen im Namen der Kolleginnen und Kollegen für diese lange Zeit als Abgeordnete und für Ihre Arbeit im Hohen Haus herzlich zu danken.

(Beifall)

Wir fahren fort in der Aussprache. Ich erteile das Wort der Kollegin Cornelia Möhring für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7115271
Wahlperiode 18
Sitzung 237
Tagesordnungspunkt Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen
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