Dieter JanecekDIE GRÜNEN - Legislaturbericht Digitale Agenda 2014 bis 2017
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Innenminister! Es ist gut, dass Sie da sind, denn dann kann man auf Folgendes verweisen: Das Sinnbild dafür, wie die Einführung einer digitalen Verwaltung erst nicht gemacht und dann verschleppt wird und schließlich nach ihrer Einführung nicht funktioniert, sind nämlich Sie und die Regierung der Bundesrepublik Deutschland,
(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)
die das nicht geschafft haben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben die schlechtesten Zahlen in Europa.
Was Sie gerade vorgestellt haben, haben die Österreicher im Jahre 2000 angefangen. Wir haben jetzt das Jahr 2017 und sollten uns bemühen, auch mit Blick auf die Kompetenzen endlich eine digitale Verwaltung durchzusetzen, sodass nicht bis zu 130 analoge Behördengänge nötig sind, wie es heute in Deutschland immer noch der Fall ist.
Es gibt Länder in Europa, in denen man nur noch für genau zwei Vorgänge zum Amt muss, und das sind Heirat und Scheidung. Es ist auch ganz gut, wenn das so bleibt; denn das ist sicherlich besser als per SMS.
Wir könnten mit diesen Themen ein bisschen weiterkommen. Das haben wir in den letzten Jahren einfach nicht geschafft. Wir müssen unbedingt beim E-Government vorankommen. Hier haben wir wirklich ein Versagen der Regierung in Deutschland.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es gibt so viele Potenziale der Digitalisierung. Wenn ich mir den Bericht zur Digitalen Agenda ansehe – Frau Sitte hat es schon angesprochen –, dann stelle ich fest: Es gibt ein Sammelsurium an verschiedenen Initiativen, von denen einige gelungen sind – das will ich auch zugestehen –; manche sind mehr gelungen, manche weniger, manche gar nicht, wie das E-Government, aber es gibt überhaupt keine Zielrichtung. Was ist denn mit dem zentralen Thema der Nachhaltigkeit und der Ökologisierung?
Warum nutzen wir die Potenziale nicht? Warum reden wir bei der Mobilität, Herr Dobrindt, nicht endlich darüber, wie wir auch im öffentlichen bzw. auch im ländlichen Raum mehr Fahrzeuge teilen können?
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das will ich nicht! Ich will mein eigenes! Das geht Sie gar nichts an!)
Wo bleiben denn die Pilotprojekte? Es gibt keine. Wir kommen nicht voran.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben – das sagt die Wirtschaft – ein CO 2 -Reduktionspotenzial durch digitale Technologien von 20 Prozent. Aber die Rahmenbedingungen werden nicht gesetzt. Energie und Ressourceneffizienz der Fabriken sind gleich null. Das sind Themen, die wir vorantreiben müssten.
Ich komme noch einmal zum Thema Verkehr zurück. Wir haben ein Personenbeförderungsgesetz von 1936, das 1984 reformiert wurde. Wir haben immer noch nicht die Möglichkeit, Dienstleistern in der Fläche zu ermöglichen, Autos zu teilen. Das ist doch auch kein fortschrittliches Denken im Bundesverkehrsministerium.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Als jemand, der im ländlichen Raum wohnt, sage ich Ihnen, warum Sie es nicht machen: weil Sie immer noch vom Auto als Besitz ausgehen. Jeder muss ein Auto besitzen, und keiner darf es teilen. Denn dann könnte es womöglich weniger Autos geben, und das wäre ja ganz schlecht für die Verkehrspolitik in Deutschland.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sören Bartol [SPD]: Das eine schließt das andere doch nicht aus! Man muss doch beides machen! Wir haben das Carsharinggesetz doch gerade verabschiedet!)
Beim Thema „Open Data“ – darin können wir Ihnen zustimmen, Thomas Jarzombek – müssen wir wirklich schneller vorankommen, um diese Standards in der Wirtschaft, für den IT-Mittelstand, und auch im öffentlichen Raum zu verankern. Das ist auch eine Chance, Wettbewerbsgleichheit gegenüber den Amerikanern herzustellen. Denn wenn wir uns allein auf deren Systeme verlassen, dann werden wir immer abhängiger.
Jetzt komme ich zum Wettbewerbsrecht. Wir sind in der Entwicklung jetzt spät dran, wenn es darum geht, die großen digitalen Plattformen aus den USA und aus China auch in Europa zu unseren Standards zu zwingen. Es kann nicht sein, dass wir in Europa nicht das Marktstandortprinzip durchsetzen, sondern die Standards aus Amerika übernehmen, weil die Systeme aus dem Silicon Valley kommen.
Deswegen müssen wir mindestens zwei Prinzipien festlegen. Das eine ist die Datenportabilität. Das heißt, wenn ich meine Daten bei einem Anbieter habe, dann muss ich sie auch wieder mitnehmen können. Das zweite Prinzip ist: Messengerplattformen müssen auch untereinander nutzbar sein. Das geht zurzeit nicht ausreichend. Auch da müssen wir gesetzlich handeln. An der Stelle ist mehr Wettbewerb nötig, als es derzeit der Fall ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Stichwort „Breitband“. Ich komme aus Bayern. Dort hat die Telekom einen Marktanteil von 80 Prozent. Auch hier ist der Wettbewerb nicht ausreichend gegeben. Ein Blick nach Schweden zeigt, wie es dort gemacht wurde: mit vielen mittelständischen Anbietern vor Ort und einer soliden Infrastruktur. Die Schweden sind weiter als wir. Wir haben das Ganze einem Anbieter überlassen, und die anderen kommen nicht hinterher. Das kann nicht die richtige Strategie sein. Ich weiß, dass Bayern mit bestimmten Unternehmen sehr stark verflochten ist. Aber das ist nicht der richtige Weg nach vorne, mit dem wir in der Breitbandversorgung etwas erreichen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir brauchen also deutlich mehr Mut. Die Bilanz ist nicht in allen Feldern schlecht, aber sie ist ziemlich mager. Wir sind kein digitales Führungsland. Wir sind im europaweiten Index sogar vom neunten auf den elften Platz abgerutscht.
(Alexander Dobrindt, Bundesminister: Gar nicht wahr!)
Das heißt, Deutschland kann deutlich besser werden. Wir dürfen eines nicht tun, was Sie aber in der wirtschaftspolitischen Debatte oft machen, nämlich den Menschen zu sagen: Die Datensparsamkeit und der Datenschutz sind olle Kamellen von gestern; lasst uns das mal beiseiteschieben, dann werden wir ganz erfolgreich sein.
Denn es ist genau umgekehrt: Wenn wir es nicht schaffen, einen stringenten, guten und modernen Datenschutz zu verankern und die digitale Souveränität für unsere Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten, dann werden die Menschen kein Vertrauen haben. Darum geht es: Die Menschen wollen Vertrauen in die Digitalisierung und auch in das Thema Arbeit 4.0 haben. Sie wollen nicht hören, dass sie die niedrigsten Löhne bekommen, wenn es, zum Beispiel durch Click- und Crowdworking, sehr viel Wettbewerb gibt, sondern sie wollen Standards haben, zum Beispiel ein Mindesthonorar, wie wir es im digitalen Bereich fordern.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Lassen Sie uns die Digitalisierung gestalten. Lassen Sie uns ökologisch, nachhaltig, sozial und freiheitlich nach vorne gehen. Dann wird das klappen. Lassen Sie uns bitte der Digitalisierung überhaupt einmal eine Richtung geben – dann kommen wir voran –, am besten mit Grünen in der Bundesregierung ab Herbst 2017.
Danke.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Nächster Redner für die SPD ist der Kollege Lars Klingbeil.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7115384 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 238 |
Tagesordnungspunkt | Legislaturbericht Digitale Agenda 2014 bis 2017 |