02.06.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 238 / Tagesordnungspunkt 42 + ZP 9

Kerstin GrieseSPD - Konsequenzen aus dem Armuts- und Reichtumsbericht

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Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich beginne mit einem Zitat des Generalsekretärs des Deutschen Caritasverbandes, Georg Cremer, den wir in dieser Woche verabschiedet haben. Er hat in einem Interview auf die Frage nach wachsender Ungleichheit in Deutschland geantwortet – ich zitiere mit Erlaubnis der Frau Präsidentin –:

… es ist ein Unterschied, ob man feststellt, dass die Ungleichheit zugenommen hat, aber wir seit 2005 eine einigermaßen stabile Lage haben, oder ob behauptet wird, die Zustände verschlimmerten sich kontinuierlich. Mit immer neuen Superlativen versetzt man die Mittelschicht in Panik. Und das ist politisch kontraproduktiv.

Ich sage das, weil ich diese besonnene Haltung gut finde. Ich danke auch ausdrücklich dem Kollegen Matthias Zimmer dafür. Denn wenn man dauerskandalisiert und immer behauptet, dass alles in Armut versinkt, dass die Welt untergeht,

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wer sagt das denn? „Alles“ sagt niemand!)

dann verliert man den Blick für die echten Probleme und den Blick dafür, wo man ansetzen muss, um Armut zu bekämpfen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Der Armuts- und Reichtumsbericht tut das in sehr sachlicher Klarheit und schlägt deshalb auch konkrete politische Maßnahmen vor, wo man ansetzen muss. Wenn ich sage: „Es ist kontraproduktiv, dauerzuskandalisieren“, dann heißt das nicht, die Probleme nicht zu erkennen und nicht nach guten Lösungen zu suchen, sondern dann heißt das, genauer hinzusehen.

(Beifall des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD])

Genauer hinzusehen, heißt, dass jedes einzelne Kind, das in Armut lebt, dass jeder Mensch, der trotz eines arbeitssamen Lebens im Alter Grundsicherung beziehen muss, uns aufrütteln muss, uns zum Nachdenken bringen muss, und dass jeder, der lange aus dem Arbeitsleben ausgeschlossen bleibt und am Rand der Gesellschaft lebt, ein Recht hat, in die Mitte der Gesellschaft zurückzukehren.

Um bei den Ursachen anzusetzen, ist es gerade so wichtig, Kinderarmut zu bekämpfen. Dazu gibt es eine höchst interessante Zahl im Armuts- und Reichtumsbericht: Das Armutsrisiko von Kindern liegt bei 64 Prozent, wenn keiner der Eltern arbeitet. Wenn ein Elternteil in Vollzeit arbeitet, sinkt das Armutsrisiko schon auf 15 Prozent, wenn beide Eltern in Vollzeit arbeiten, auf 3 Prozent.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 15 Prozent bei Vollzeit!)

Es ist also wichtig, dass wir die Eltern in Arbeit bringen, dass wir vor allem für Alleinerziehende noch mehr tun, passgenaue Unterstützungsangebote schaffen, damit Arbeit und Kinderbetreuung vereinbar sind. Genau da hat die SPD schon viel durchgesetzt, und da wollen wir noch mehr erreichen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Die Union auch!)

– Vieles auch gemeinsam, Herr Kollege.

Ja, wir haben die niedrigste Arbeitslosigkeit seit 26 Jahren. Ja, wir haben Maßnahmen für Langzeitarbeitslose eingeführt, aber zu wenige. Ja, wir haben eine sehr gute wirtschaftliche Lage, aber – auch das zeigt der Bericht – das reicht nicht aus; denn es geht eben nicht immer sozial gerecht zu. Genau da müssen wir ansetzen. Das wollen wir ändern.

(Beifall bei der SPD)

Die Gefahr von Altersarmut betrifft nur etwa 3  Prozent. 3 Prozent der über 65-Jährigen bekommen Grundsicherung.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber nicht Armut! Armut im Alter ist 15 Prozent nach dem Armuts- und Reichtumsbericht!)

In der Gesamtbevölkerung sind es 9,3 Prozent, bei Kindern noch viel mehr. Deshalb geht es darum, dass wir gerade da ansetzen. Gestern haben wir hier in diesem Haus die Verbesserung der Erwerbsminderungsrenten beschlossen. Das ist richtig; denn damit setzen wir bei denen an, die Unterstützung brauchen. Andrea Nahles hat ein gutes Gesamtkonzept zur Alterssicherung vorgelegt, das vorsieht, dass Selbstständige in die Rentenversicherung einbezogen werden sollen. Und auch das setzt an der richtigen Stelle an: Gerade die Selbstständigen mit geringem Einkommen, die keine eigenen Versorgungswerke haben, sind besonders gefährdet, im Alter in Armut zu fallen. Insofern setzen wir da genau an der richtigen Stelle an.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU])

So ist das auch mit der gesetzlichen Solidarrente, die wir fordern. Ein arbeitsreiches Leben soll ohne Gang zum Sozialamt enden. Ein Rentenniveau, das 10 Prozent oberhalb des durchschnittlichen regionalen Grundsicherungsbedarfes liegt, soll mindestens herauskommen. Das, was wir vorhaben, ist: mehr öffentlich geförderte Beschäftigung, ein Arbeitslosengeld Q, mehr Qualifizierung. Das sind die richtigen Schritte, die man bei genauer Analyse, aber eben nicht bei Dauerskandalisierung herausfinden kann.

Noch ein letztes Wort zum Thema „Reichtum in Deutschland“.

Aber wirklich ein letztes Wort.

Genau. – Es ist lobenswert, dass dieser Bericht zum ersten Mal auch den Reichtum genauer untersucht und zeigt: Die wirklich großen Vermögen in Deutschland werden vererbt.

(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Vermögensteuer!)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7115625
Wahlperiode 18
Sitzung 238
Tagesordnungspunkt Konsequenzen aus dem Armuts- und Reichtumsbericht
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