Emmi ZeulnerCDU/CSU - Cannabiskontrollgesetz
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Erstes möchte ich sagen: Ich persönlich bedaure es, dass mein geschätzter Kollege Harald Terpe hier jetzt nicht seine letzte Rede halten wird. Es ist wohl dem Wahlkampf geschuldet, dass der Parteivorsitzende zu diesem Tagesordnungspunkt spricht.
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Terpe hat gestern ganz toll geredet! Davon können Sie etwas lernen!)
Dies bedaure ich sehr. Aber Sie als Grüne kämpfen gerade, und das ist anzuerkennen.
(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir können trotzdem für ihn klatschen! – Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Frank Tempel [DIE LINKE] und Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wir beraten heute abschließend – zumindest für diese Legislaturperiode – den Entwurf eines Cannabiskontrollgesetzes in zweiter und dritter Lesung. Ich kann feststellen: Der Entwurf wurde trotz der Diskussion nicht weiterentwickelt, und es wurden keine unserer Bedenken aufgenommen. Gerade in der heutigen Debatte zeigt sich deshalb, dass Sie, liebe Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, die Ignoranz, die Sie uns immer wieder vorwerfen, selbst an den Tag legen; sonst hätten Sie sich die Mühe gemacht, an Ihrem Gesetzentwurf etwas zu ändern.
Sie fordern weiter den legalen Besitz von bis zu 30 Gramm Cannabis und den Eigenanbau von bis zu drei Cannabispflanzen. Ich habe immer wieder betont, dass diese Mengen einfach viel zu hoch sind.
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie fordern also zwei Pflanzen, oder was?)
Ich finde es weiterhin richtig, über eine bundeseinheitliche Regelung zur Eigenbedarfsmenge bei Cannabis zu diskutieren. Selbstverständlich sollte dafür der bundesweit niedrigste Wert genommen werden; denn wozu die jetzt tolerierten Höchstmengen führen, sehen wir gerade in Berlin im Görlitzer Park.
Schon in der letzten Rede habe ich gefordert, dass der Görlitzer Park wieder den Familien gehören muss und nicht irgendwelchen Kleindealern, die nicht belangt werden. Die Dealer tragen nämlich die tolerierte Menge am Mann, während das größere Versteck, aus dem sie sich immer wieder neu bedienen, angeblich keinem gehört.
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das muss endlich ein Ende haben, genau!)
Dass die rot-rot-grüne Regierung in Berlin vor der Kriminalität einfach kapituliert
(Zurufe von der SPD und der LINKEN)
und statt Polizisten Sozialarbeiter einsetzt, ist eine Frechheit gegenüber den Menschen in Berlin.
(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Die waren doch schon vorher im Görlitzer Park! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Wir waren in der Debatte schon einmal weiter!)
Sie gehen in Ihrem Gesetzentwurf noch einen Schritt weiter: Für die Abgabe von Cannabis an Minderjährige wollen Sie die Strafgrenzen im Gegensatz zum jetzigen Betäubungsmittelrecht sogar herabsetzen. Damit machen Sie es den Kleindealern noch einfacher. In Ihrem Vorschlag dann aber zu schreiben, den Jugendschutz besonders im Blick zu haben,
(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)
ist einfach nur lächerlich;
(Tino Sorge [CDU/CSU]: Das ist zynisch! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn am Jugendschutz lächerlich?)
denn natürlich hätte man bei 30 Gramm den Spielraum, etwas weiterzugeben – gerade an Jugendliche, für die Cannabis selbstverständlich weiterhin nicht legal zugänglich wäre.
(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber der Dealer fragt doch nicht nach dem Personalausweis!)
Jugendschutz und das Öffnen eines Marktes für eine Droge passen für mich nicht zusammen; es funktioniert im Allgemeinen auch nicht.
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie weltfremd kann man sein?)
Das zeigen vier Fakten aus einer Studie zur Legalisierung von Cannabis in Colorado ganz deutlich.
(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Helfen Sie doch einmal, die Märkte zu schließen!)
Erstens. Der Cannabiskonsum bei Minderjährigen ist dort um 20 Prozent angestiegen, obwohl diesen kein legaler Zugang gewährt wurde. Ihr hochgelobter Rückgang des Konsums – gerade haben Sie diesen wieder als Folge einer Legalisierung angesprochen – ist hiermit widerlegt.
Zweitens. Die Zahl der tödlichen Verkehrsunfälle unter dem Einfluss von Cannabis in Colorado ist von 71 im Jahr 2013 auf 115 Fälle im Jahr 2015 gestiegen, also um gut 60 Prozent.
Drittens. Die Zahl der Krankenhausaufenthalte, die mit Cannabis im Zusammenhang stehen, ist von 6 715 Fällen im Jahr 2012 auf unglaubliche 11 439 Fälle im Jahr 2014 angestiegen, also um 70 Prozent.
Viertens. Auch die Zahl der Notfälle wegen Kindern, die sich an Cannabisprodukten vergiftet haben, ist seit der Legalisierung deutlich angestiegen. So hat sich die Zahl der Kinder unter neun Jahren, die Cannabis oral zu sich genommen haben, mehr als verdoppelt.
Der entscheidende Schritt, der in Colorado offensichtlich fehlt, muss sein, Minderjährige wirksam zu schützen, um so dem Schutzauftrag, der uns gegeben wurde, tatsächlich nachzukommen.
(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Da klatschen nicht einmal Ihre Kolleginnen und Kollegen!)
Neue Studien zeigen, dass nicht nur die ersten fünf bis sechs Lebensjahre besonders prägend sind, sondern vor allem der Zeitraum zwischen 15 und 20 Jahren für die Gehirnentwicklung besonders entscheidend ist: In dieser Zeitspanne findet eine Reorganisation des Gehirns statt, während der die Jugendlichen für schädliche Umwelteinflüsse besonders anfällig sind.
Cannabis, THC, erhöht das Risiko einer Psychose um das Siebenfache.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was tun Sie dagegen?)
In der Fachambulanz für Suchterkrankungen in München haben fast 60 Prozent der Patienten die Hauptdiagnose Cannabisstörung. Solche Zahlen – ob sie aus Colorado oder aus Deutschland kommen – können wir gerade als Gesundheitspolitiker nicht einfach ignorieren.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist meiner Ansicht nach, dass finanzielle Gründe niemals die Basis für ein Weniger an Gesundheitsschutz und eine Legalisierung sein dürfen; denn wenn man so denkt, dann müssten wir – überspitzt gesagt – bei der Strafbarkeit ziemlich vieler Taten ansetzen, deren Durchsetzung den Steuerzahler täglich Zigtausende Euro kostet.
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich verstehe Ihre Argumente nicht!)
Die Kosten für einen Gefängnisinsassen betragen täglich durchschnittlich 92 Euro. Überlegen Sie einmal, welche Einsparungen wir machen würden, wenn wir zum Beispiel Wohnungseinbrüche legalisieren würden. Dann gäbe es Tausende Einbrecher weniger im Gefängnis und Millionen mehr im Topf. Das kann doch wohl nicht Ihr Ernst sein.
(Dagmar Ziegler [SPD]: Mädel! Mädel! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie Bierzelte verbieten? – Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist tiefste Mottenkiste! – Weitere Zurufe von der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)
Ihr Vorwurf – das ist genauso tiefste Mottenkiste –, wir würden jeden, der 5 Gramm Cannabis bei sich hat, auf das Schlimmste kriminalisieren, entbehrt jeder Grundlage. Wir haben ein sehr ausdifferenziertes Strafrechtssystem, das sich besonders durch die Individualentscheidung auszeichnet. Einzelfallentscheidung bedeutet eben nicht – wie man gerne verstanden werden möchte –, dass der Einzelne willkürlich anders als der andere behandelt wird,
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie auch noch etwas zur Gefährlichkeit von Cannabis?)
sondern es bedeutet, dass man sich den Einzelfall mit allen Facetten anschaut. Natürlich wird jemand, der bereits Vorstrafen hat und auffällig wurde, anders behandelt als jemand, der zum ersten Mal auffällig geworden ist.
Für mich sind deshalb in der Drogenpolitik andere Punkte zentral. Wir müssen uns mehr für die Substitution einsetzen. Wir haben bereits in dieser Wahlperiode viele wichtige Maßnahmen getroffen, um den Substituierenden den Weg in einen weitgehend normalen Alltag zu erleichtern. Doch wir haben noch so viel Bedarf an den Schnittstellen.
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Denn gerade die Menschen, die sich entschließen, den Suchtweg zu verlassen, müssen wir auffangen und ihnen zur Seite stehen. Besonders bei der Substitution im Strafvollzug müssen wir dahin gehend nachbessern. Vor allem nach einer Entlassung gibt es viele Todes- und Vergiftungsfälle. Das ist nicht tragbar. Wir werden uns dafür einsetzen, dass wir auch in anderen Ländern Modellvorhaben wie in Niedersachsen bekommen. Hier wird in Zusammenarbeit mit Substitutionsärzten acht Wochen vor der Entlassung mit der Behandlung begonnen und diese dann nahtlos nach der Entlassung weitergeführt. Da sehe ich Handlungsbedarf.
Eines ist mir besonders wichtig: Wir müssen Lösungen finden, wie wir diejenigen stärken, die Nein zu Drogen sagen, damit sie den Mut haben, sich in einer Gruppe zu behaupten, selbst wenn der Druck von anderen sehr groß ist.
(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann fangen Sie doch an! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer regiert denn seit zwölf Jahren? Haben Sie immer noch keine Antwort gefunden? – Gegenruf des Abg. Tino Sorge [CDU/CSU]: Was machen Sie denn in den Ländern, wo Sie mitregieren, Herr Kollege Gehring? Da sieht es gruselig aus! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Aber das Wichtigste ist: Im Bereich der Anwendung von Cannabis als Medizin müssen die Krankenkassen das, was der Gesetzgeber ihnen aufgetragen hat, ausführen. Sie dürfen Patienten die Erstattung der Kosten von Cannabis nicht ohne schwerwiegende Gründe verweigern.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wir hören, dass die Krankenkassen hier sehr restriktiv verfahren. Wir werden das genau beobachten und, wenn das so ist, nicht hinnehmen. Denn dieses Gesetz „Cannabis als Medizin“ war von Anfang an dazu gedacht, die Patienten zu entlasten und keine neuen Hürden aufzubauen. An diesem Ziel halten wir weiterhin fest. Wenn die Krankenkassen auch zukünftig den gesetzgeberischen Willen ignorieren, müssen wir selbstverständlich den Genehmigungsvorbehalt überdenken.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE])
Das sind nur drei der zentralen Punkte, die ich als prioritär ansehe, prioritär vor der Legalisierung einer weiteren Droge.
Wenn ich Ihren Gesetzentwurf mit einer Note versehen müsste, dann würde ich eine Vier minus geben.
(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Immerhin! Ich habe mit einer schlechteren Note gerechnet!)
Und ein Fleißsternchen hätten Sie sich auch nicht verdient, denn Sie haben gar nichts geändert. Ihr Entwurf überzeugt mich deshalb weiterhin nicht. Deswegen lehnen wir als Unionsfraktion den Gesetzentwurf selbstverständlich ab.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Nächster Redner ist der Kollege Frank Tempel für die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7115680 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 238 |
Tagesordnungspunkt | Cannabiskontrollgesetz |