02.06.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 238 / Tagesordnungspunkt 45

Cem ÖzdemirDIE GRÜNEN - Cannabiskontrollgesetz

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Polizei wendet einen großen Teil ihres Personals für die Verfolgung der Drogenkriminalität auf, verbunden mit vielen Ermittlungs- und noch mehr Schreibtischstunden. 58 Prozent dieser Arbeit landen später im Mülleimer. Das sind die deutschen Cannabisdelikte. Sie werden von den Staatsanwaltschaften oder Gerichten größtenteils eingestellt.

Welcher Irrsinn und welche große Verschwendung ist das für die Polizisten und die polizeiliche Motivation? Ich glaube, niemand arbeitet gerne für den Mülleimer. Warum quälen wir dann unsere Polizisten weiter mit einem sinnlosen Gesetz, das wir endlich abschaffen sollten?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

164 000 Cannabisdelikte – ich sage es nochmals, damit es jeder hört: 164 000 Cannabisdelikte – stellen eine Beschäftigungstherapie für Polizisten dar, die bei der Bekämpfung von Einbruchsdelikten und Ähnlichem fehlen. Auch da kann ich Ihnen nur sagen: Wenn Sie nicht auf meine Fraktion hören, dann hören Sie doch auf die Polizei, hören Sie auf die Kriminologen, hören Sie auf die Justiz, hören Sie auf die Experten, die etwas von dem Thema verstehen und uns Recht geben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Tino Sorge [CDU/CSU]: Die sagen doch genau das Gegenteil, Herr Kollege Özdemir!)

Ich zitiere gerne einmal stellvertretend André Schulz,

(René Röspel [SPD]: Schulz ist immer gut!)

den Vorsitzenden des Bundes Deutscher Kriminalbeamter:

Noch nie gab es so viele Drogenkonsumenten wie heute und das trotz eines kompletten Drogen-Verbotes.

Frau Zeulner, Sie haben vorhin den Görlitzer Park angesprochen.

(Tino Sorge [CDU/CSU]: Finden Sie gut, was da passiert?)

Ich wohne mit meiner Frau und meinen zwei Kindern nicht so weit weg davon. Ich kann Ihnen nur sagen: Die Nulltoleranzpolitik des CDU-Innensenators in Berlin, die Politik von Herrn Henkel ist gescheitert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

Fragen Sie doch einmal die Dealer, welche Politik besser für sie war, unsere Politik oder die des Vorgängers.

Ich glaube, es ist höchste Eisenbahn, dass wir die Ideologie im Papierkorb der Geschichte versenken und uns endlich um einen wirkungsvollen Jugendschutz kümmern. Der gehört nämlich auf die Tagesordnung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Auf die Tagesordnung gehört auch, zur Kenntnis zu nehmen, dass 2,5 Millionen Menschen Cannabis konsumieren. Das ist eine Realität. Das haben wir heute schon ein paarmal gehört. Der Konsum ist durch die Verbotspolitik eben nicht zurückgegangen. Wir sind uns doch alle einig hier. Ich freue mich, dass bei einem Satz immer Einigkeit herrschte, nämlich dass wir aufpassen müssen, dass wir die Gefahren von Cannabis nicht verharmlosen. Deshalb muss man auch deutlich machen: Wir brauchen ein Cannabisverbot für Minderjährige. Elternverbände, Psychiater und Ärztevereinigungen warnen doch zu Recht vor den Risiken für Jugendliche.

Aber jetzt hören Sie einmal aufmerksam zu, was sie auch sagen. Sie warnen auch vor den Folgen von Alkoholkonsum. Da sind wir eben anders. Wir drehen unsere Hand nicht um bei Gefahren für Jugendliche. Für uns gibt es nicht größere und kleinere Gefahren, sondern für uns gibt es Gefahren für Jugendliche – und das sehen wir ganz ohne Ideologie.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Herr Präsident, es gibt eine Zwischenfrage.

Ich entnehme Ihrer Armbewegung und Ihrem Hinweis, dass Sie diese Frage zulassen.

So ist es.

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt die Steilvorlage!)

Ich frage mich, warum Sie dann das Strafmaß für die Weitergabe von Drogen an Jugendliche senken. In Ihrem Gesetzentwurf wird das Strafmaß gesenkt. Im jetzigen Betäubungsmittelgesetz ist das Strafmaß höher.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Gefängnisse sind eh schon voll!)

Ich verstehe Ihre Aussage, dass Sie die Jugendlichen besser schützen wollen, nicht, wenn Sie für die Dealer und die Personen, die die Drogen an Jugendliche weitergeben, das Strafmaß senken.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat er doch schon dreimal erklärt!)

Frau Kollegin, ich biete Ihnen gerne an, dass wir uns die Szene im Görlitzer Park und am Kottbusser Tor ganz ohne Kameras und ohne Journalisten anschauen, einmal zuhören und mit den Leuten reden. Dann fragen wir einmal gemeinsam, ob die Drogendealer nach dem Personalausweis fragen. Dann fragen wir gemeinsam, ob die Drogendealer eine Packungsbeilage mitgeben, wenn sie ihren Kunden das Zeug verkaufen.

(Tino Sorge [CDU/CSU]: Schicken Sie Ihr Kind mal in den Görlitzer Park!)

Wir fragen dann einmal gemeinsam, ob die Drogendealer beispielsweise mit dem Verbraucherschutz vorher das Zeug getestet haben. Dann fragen wir gemeinsam, welche Gesundheitsgefahren davon ausgehen. Dann fragen wir einmal gemeinsam, ob die Szenen dort getrennt sind, ob diejenigen, die die weichen Drogen verkaufen, nicht auch dieselben sind, die die harten Drogen verkaufen.

(Tino Sorge [CDU/CSU]: Einfach die Frage beantworten!)

Ihr Argument von der Einstiegsdroge wird doch genau durch das, was Sie sagen, bestätigt. Nur wenn Sie die Szenen trennen, indem Sie endlich dazu beitragen, dass es ein Cannabiskontrollgesetz gibt und Erwachsene, die Cannabis konsumieren wollen, von den Jugendlichen getrennt werden, dann bekommen Sie einen wirkungsvollen Jugendschutz.

(Tino Sorge [CDU/CSU]: Cem Özdemir, der Dealerfreund! Glückwunsch, Herr Kollege!)

Wir wollen den Jugendschutz, Sie verhindern den Jugendschutz doch gerade, Frau Kollegin.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

Mein Angebot war übrigens ernst gemeint. Das war nicht dem Wahlkampf geschuldet. Ich glaube wirklich, dass ein großes Problem bei dem Thema die mangelnde Sachkenntnis ist. Es hilft uns, glaube ich, wenn man sich ausführlich mit diesem Thema beschäftigt.

(Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Nur die Grünen wissen Bescheid!)

In unserem Entwurf zum Cannabiskontrollgesetz sprechen wir gerade nicht von einem unkontrollierten Verkauf, sondern wir reden von einer mengenmäßigen Begrenzung. Ich habe Ihnen aufmerksam zugehört. Sie haben die drei Pflanzen erwähnt und gesagt, Ihnen gefalle das nicht. Reden wir von mir aus über die Mengen, aber hören wir endlich auf, hier ideologisch zu diskutieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

Wir brauchen ein umfassendes Gesetz, das Jugendschutz, Verbraucherschutz und Suchtprävention regelt. Volljährige Konsumenten – um die geht es hier; das kann man gar nicht oft genug sagen – dürfen nicht weiter kriminalisiert werden. Die Strafverfolgungsbehörden müssen im Umkehrschluss entsprechend entlastet werden.

Wenn Sie auch da nicht auf uns hören, so reden Sie doch einmal mit den Kolleginnen und Kollegen Parlamentariern und Politikern in anderen Ländern. Ich meine, es ist doch kein Zufall, dass in immer mehr Ländern – man muss doch einmal hinhören, warum das so ist – gesagt wird: Gerade wegen des Jugendschutzes müssen wir die bisherige Politik auf den Prüfstand stellen. Jüngst ist noch Justin Trudeau aus Kanada zu den bekannten Beispielen hinzugekommen. Er argumentiert ausdrücklich mit dem Jugendschutz, indem er sagt: Wir wollen den Drogenmarkt schwächen, wir wollen es den Dealern schwerer machen. Ich finde, er hat recht. Auf ihn sollten wir da hören, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In den Debatten der vergangenen Jahre haben Sie uns – gerade wenn es um Umweltschutz ging – sehr gerne gesagt, wir sollten die Bürgerinnen und Bürger, was deren Freiheit angeht, nicht gängeln. Ich will Sie jetzt einmal fragen: Mit welchem Recht verbieten wir hart arbeitenden erwachsenen deutschen Staatsbürgern einen entspannten Feierabendjoint auf der heimischen Terrasse oder auf dem heimischen Balkon?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU)

Mit welchem Recht mischen wir uns in das Privatleben von Millionen erwachsenen Cannabiskonsumenten ein, die nichts anderes wollen als einfach ihre Ruhe? Sie schlagen ihre Frauen nicht, sie bringen niemanden um. Nach Ihrer Logik wird – das haben wir über Jahrzehnte hinweg übrigens auch in diesem Hause gemacht – der Alkoholkonsum verharmlost. Dagegen kriminalisieren wir die anderen Drogen. Das versteht doch kein normaler Mensch in diesem Land mehr.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ich komme zum Schluss. Ich bedanke mich dafür, dass sich bei der Schmerztherapie etwas getan hat. Mit dem Thema Cannabis habe ich aufgrund eines Videos ein bisschen zu tun gehabt. Ich habe viele Menschen mit schrecklichsten Schmerzen – mit Gehirntumoren usw. – getroffen. Es ist gut, dass wir uns da bewegt haben. Ich will aber auch sagen: Dass man es davor nicht gemacht hat, war auch nichts anderes als eine Art von unterlassener Hilfeleistung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt sind Sie den ersten Schritt gegangen. Dann gehen Sie doch bitte auch den zweiten Schritt und räumen Sie auch da ideologischen Müll zur Seite.

Danke sehr.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zum Abschluss dieser Aussprache hat der Kollege Dr. Georg Kippels, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7115690
Wahlperiode 18
Sitzung 238
Tagesordnungspunkt Cannabiskontrollgesetz
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