Stephan MayerCDU/CSU - Bericht des Expertenkreises Antisemitismus
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Ich darf zu Beginn auch namens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion den Mitgliedern des Unabhängigen Expertenkreises von ganzem Herzen für die Erarbeitung und die Vorlage dieses äußerst interessanten, einblickgebenden und instruktiven Berichts danken. Dieser Bericht ist eine umfassende und detaillierte Bestandsaufnahme auf über 300 Seiten. Ich darf für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion zusagen, dass dieser Bericht für uns über die heutige Debatte hinaus in die nächste Legislaturperiode hinein ein wichtiger Rat- und Hinweisgeber sein wird.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich denke, wir können mit Selbstbewusstsein feststellen, dass Deutschland ein modernes, freies, weltoffenes und plurales Land ist. Auch wenn ich der festen Überzeugung bin, dass es falsch wäre, zu behaupten, dass in der Breite der deutschen Gesellschaft Antisemitismus verbreitet ist, müssen wir doch konstatieren, dass sich Antisemitismus in allen gesellschaftlichen Schichten wiederfindet, insbesondere aber am rechtsextremen und, sehr verehrte Frau Kollegin Pau, auch am linksextremen Rand. Die Bekämpfung und die Zurückdrängung des Antisemitismus sind eine Daueraufgabe für unsere Gesellschaft. Ich bin auch der festen Überzeugung, dass jeder von uns, egal wo er Verantwortung trägt, es den rund 200 000 Mitbürgerinnen und Mitbürgern jüdischen Glaubens, aber auch unserem Land insgesamt schuldig ist, an jeder Stelle gegen rassistische Ressentiments, gegen Vorurteile gegenüber Juden einzutreten.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, der Bericht, über den wir heute debattieren, zeigt positive wie negative Aspekte auf. Ein durchaus erfreulicher Aspekt ist, dass der Antisemitismus in den letzten 15 Jahren in Deutschland insgesamt rückläufig ist. Der sogenannte klassische Antisemitismus findet sich im Jahr 2016 bei 6 Prozent der Bevölkerung; im Jahr 2002 war er noch bei 9 Prozent der deutschen Bevölkerung vorhanden.
Erfreulich ist auch, dass es durchaus rückläufige Tendenzen beim sogenannten sekundären Antisemitismus gibt. Ich möchte aber doch ausdrücklich betonen, dass es uns keinesfalls zufriedenstellen kann, dass nach wie vor 26 Prozent der deutschen Bürgerinnen und Bürger der Aussage zustimmen, dass die Juden – ich zitiere – ihre Position als Verfolgte ausnutzen würden.
Am stärksten ausgeprägt ist der sogenannte israelbezogene Antisemitismus. Bei 40 Prozent unserer Bevölkerung ist er vorhanden. Ich möchte ausdrücklich betonen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, dass es natürlich legitim ist und auch legitim sein muss, Kritik an der israelischen Regierung zu üben. Aber wenn diese Kritik als Deckmantel fungiert, um einen antisemitischen Bezug herzustellen, darf dies nicht akzeptiert werden und ist dies nicht hinnehmbar.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Es ist durchaus erfreulich, dass wir einen Rückgang des Antisemitismus in der älteren Bevölkerung feststellen. Es sollte uns aber mit Sorge erfüllen, dass der Antisemitismus in der jüngeren Bevölkerung nach wie vor stagniert.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich komme zu antisemitischen Straf- und Gewalttaten. Deren Zahl ist nach wie vor – das möchte ich in aller Deutlichkeit betonen – viel zu hoch. Es gab nach offizieller Statistik im Jahr 2016 1 468 antisemitische Straftaten. Das ist zwar unter dem Durchschnitt der Straftaten seit dem Jahr 2001, aber – das sollte uns mit Sorge erfüllen – über dem Durchschnitt der antisemitischen Straftaten seit 2010. Es gibt zwar einen Rückgang bei den antisemitischen Gewalttaten – im vergangenen Jahr waren es 34, und nur in den Jahren 2001 und 2011 waren es in Deutschland weniger –; wir dürfen uns aber, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, nicht blenden lassen. Im Durchschnitt vier antisemitische Straftaten am Tag und im Durchschnitt drei antisemitische Gewalttaten im Monat sind deutlich zu viel. Ich sage das auch vor dem Hintergrund, dass dies nur die offiziellen Zahlen sind und zu befürchten ist, dass das Dunkelfeld weitaus größer ist, weil nicht jede Straftat in diesem Bereich angezeigt wird.
Eine besondere Zuwendung muss aus meiner Sicht der Antisemitismus unter Migranten erfahren. Um es hier deutlich zu sagen: Wir sollten uns vor jedweder Pauschalierung und Generalisierung hüten. Aber es ist auch im Lichte dieses Berichts als besorgniserregend festzustellen, dass überdurchschnittlich viele Migranten mit arabischem Hintergrund und aus nordafrikanischen Ländern zu Antisemitismus neigen. Wir dürfen es, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, nicht zulassen, dass antisemitische Stereotypen und Verschwörungstheorien massenhaft nach Deutschland importiert werden. Hier muss die Prävention ansetzen. Ich sehe dies auch ausdrücklich als eine Aufgabe der Islamverbände und der Muslimvereine. Aus meiner Sicht muss es ferner ein zentraler Bestandteil der Integrationskurse für die nach Deutschland kommenden Migranten sein, dem Thema Kampf gegen den Antisemitismus einen großen Stellenwert beizumessen.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, besonders besorgniserregend empfinde ich im Lichte dieses aktuellen Berichts die Gemütslage unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger jüdischen Glaubens. 83 Prozent der Befragten befürchten, dass der Antisemitismus in den nächsten Jahren etwas oder stark zunehmen wird. Über die Hälfte unserer jüdischen Mitbürger hat die Sorge, in den kommenden zwölf Monaten Opfer versteckter Andeutungen oder direkter verbaler Beleidigung zu werden. Sage und schreibe 37 Prozent unserer jüdischen Mitbürger befürchten, Opfer eines körperlichen Angriffs zu werden. Wir müssen diese Sorgen sehr ernst nehmen. Dieses Klima der Verunsicherung dürfen wir nicht hinnehmen.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, der Kampf gegen den Antisemitismus ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe aller Regierungen – des Bundes und auch der Länder –, der Politik insgesamt, der Medien, der Schulen, der Universitäten, anderer Berufsbildungsträger, aber natürlich auch der Vereine und der Parteien.
Ich nehme es sehr ernst, dass der Unabhängige Expertenkreis in seinem Bericht unter der Überschrift „Handlungsempfehlungen“ insbesondere an die AfD, aber auch an die Linke adressiert, in ihren Kreisen antisemitische Ressentiments zu bekämpfen und darauf hinzuwirken, dass sich diese nicht weiter ausbreiten.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, es gibt viel zu tun. Ich möchte noch einmal ausdrücklich betonen, dass der Bericht, den wir heute debattieren, sowohl Licht als auch Schatten aufweist. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir in unseren Anstrengungen, Antisemitismus in Deutschland deutlich zurückzudrängen, nicht nachlassen dürfen. Dies wird auch in der nächsten Legislaturperiode einen hohen Stellenwert in der CDU/CSU-Fraktion haben.
Ich glaube, dass insbesondere den Themen Aufklärung und Wissensvermittlung in den Schulen, Vereinen und Integrationskursen eine Schlüsselfunktion zukommt. Wir sehen – das sage ich abschließend – in diesem Bericht durchaus Fortschritte und positive Entwicklungen, die es aus meiner Sicht zu würdigen gilt, die aber auch als Ansporn für einen weiteren Einsatz gegen nach wie vor bestehenden Antisemitismus und drohende negative Entwicklungen gelten müssen.
Ich danke herzlich für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich erteile das Wort nun der Kollegin Gabriele Fograscher für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
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Electoral Period | 18 |
Session | 239 |
Agenda Item | Bericht des Expertenkreises Antisemitismus |