21.06.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 239 / Tagesordnungspunkt 3 + ZP 1

Gabriele FograscherSPD - Bericht des Expertenkreises Antisemitismus

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste auf der Besuchertribüne! Es war richtig, und es war notwendig, aber es war nicht selbstverständlich, dass wir in dieser Legislaturperiode einen zweiten Unabhängigen Expertenkreis Antisemitismus eingesetzt haben. Abgeordnete aller Fraktionen haben sich dafür eingesetzt – im Übrigen auch dafür, dass diese Debatte heute Nachmittag stattfindet.

Die Ergebnisse des ersten Berichts sollten aktualisiert, die jüdische Perspektive einbezogen, Antisemitismus bei Zuwanderern untersucht und die Entwicklungen im Internet und in sozialen Medien in den Blick genommen werden. Nach zweijähriger Arbeit hat der Expertenkreis fünf zentrale Forderungen formuliert, zu denen ich aus Sicht der SPD jetzt Stellung nehmen will.

Ich komme zunächst zur konsequenten Erfassung und Ahndung von Straftaten. Bisher gibt es keinen einheitlichen Kriterienkatalog zur Einordnung von antisemitischen Straftaten und Vorfällen. Deshalb schlägt der Expertenkreis vor, die Definition der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken zu übernehmen. Einige der Mitgliedstaaten der Europäischen Union nutzen diese Arbeitsdefinition bereits heute – Deutschland bisher offiziell nicht. Die Annahme dieser Arbeitsdefinition würde es erleichtern, Erkenntnisse bundesweit zu sammeln, die Dunkelziffer aufzuhellen und gesetzgeberische Maßnahmen sowie Hilfs- und Beratungsangebote zielgerichteter zu gestalten. Deshalb finden wir: Es ist Zeit, diese Arbeitsdefinition offiziell anzunehmen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Weiterhin fordert der Expertenkreis die institutionelle Förderung von Präventionsprojekten. Auch dieses Anliegen unterstützen wir. In dieser Legislaturperiode ist es uns dank unserer ehemaligen Familienministerin Manuela Schwesig gelungen, die Mittel für Projekte der Zivilgesellschaft auf mehr als 100 Millionen Euro zu verdreifachen. Das Programm „Demokratie leben!“ fördert in einer eigenständigen Säule Projekte und Initiativen gegen Antisemitismus. Es läuft allerdings 2019 aus. Wir brauchen aber eine Verstetigung der Demokratieförderung. Deshalb wollen wir als SPD-Bundestagsfraktion ein Demokratiefördergesetz des Bundes, um die Strukturen der Präventionsarbeit langfristig und nachhaltig zu sichern.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Morgen werden wir den Ausschluss verfassungsfeindlicher Parteien von der staatlichen Parteienfinanzierung beschließen. Das bedeutet, dass Steuermittel in Höhe von mehr als 1,4 Millionen Euro nicht mehr für antisemitische und rassistische Hetze zur Verfügung stehen. Diese rund 1,4 Millionen Euro können wir zusätzlich in den Kampf gegen Antisemitismus investieren.

(Beifall bei der SPD – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kennen Sie überhaupt unseren Antrag?)

Ein Großteil der Präventionsarbeit fällt in die Zuständigkeit der Länder. Dazu gehört die Sensibilisierung von Erzieherinnen und Erziehern sowie Lehrerinnen und Lehrern. Auch bei Polizei und Justiz – ebenfalls in der Zuständigkeit der Länder – braucht es mehr Aufklärung und Schulungen, um antisemitische Straftaten erkennen und entsprechend einordnen zu können. Deshalb unterstützen wir die Forderung des Expertenkreises nach der Schaffung einer Bund-Länder-Kommission, in der ein regelmäßiger Austausch über erfolgreiche Projekte und eine bessere Koordinierung der Programme stattfinden müssen.

Damit Projekte auch zielgerichtet ausgelegt werden können, brauchen wir mehr Forschung. Damit meine ich auch die Einbeziehung von Sichtweisen sowohl der jüdischen als auch der nichtjüdischen Bevölkerung. Forschungsergebnisse, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, können auch dazu beitragen, Vorurteile zu beseitigen. Ich begrüße es, dass die Bundesbildungsministerin gerade heute angekündigt hat, 35 Millionen Euro in Forschungsprojekte gegen Extremismus zu investieren. Es wäre gut, wenn ein Teil der Mittel auch in die Antisemitismusforschung fließen würde.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nicht nur der Expertenkreis fordert die Berufung eines Antisemitismusbeauftragten. Auch das Europäische Parlament hat in einer Entschließung am 1. Juni dieses Jahres die Einsetzung eines Koordinators in den Mitgliedstaaten beschlossen. Wir müssen darüber diskutieren, wie und wo man einen Beauftragten oder eine Beauftragte installiert und welche Aufgaben er bzw. sie wahrnehmen soll. Es wird dem Thema nicht gerecht, wenn der oder die Beauftragte dem Bundestag einmal oder zweimal in der Wahlperiode einen Bericht vorlegt, den dieser zur Kenntnis nimmt. Auf jeden Fall brauchen wir im Parlament eine Arbeitsgruppe oder einen Unterausschuss, der sich kontinuierlich mit diesem Thema befasst.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Hier gibt es allerdings sicherlich noch viel Gesprächsbedarf. Für mich und meine Fraktion steht fest, dass wir eine Institution, am besten im Parlament, brauchen, die das Thema Antisemitismus kontinuierlich bearbeitet.

Ich möchte allen Expertinnen und Experten für ihre kompetente, ausführliche und wichtige Arbeit danken. Hervorheben möchte ich, dass wir als Berichterstatterinnen und Berichterstatter der Fraktionen in regelmäßigen Abständen zu Besuch bei den Sitzungen des Expertenkreises waren. Wir wurden über den Sachstand der Arbeit umfassend informiert. Dafür meinen herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Die Grünen haben einen Antrag vorgelegt und verlangen, sofort darüber abzustimmen. Ich finde, das dient dieser Sache nicht. Wir werden für eine Überweisung plädieren. Das entspricht auch der Auffassung des Präsidenten des Zentralrats der Juden, der dies heute Morgen so formuliert hat.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müssen Sie aber mit uns noch in die Beratung eintreten!)

Wir wollen das Verfahren nicht mit der Kenntnisnahme des Berichts abschließen, sondern ihn in die Ausschüsse zur Befassung geben.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollten Sie heute Morgen noch nicht!)

Alle Fraktionen haben sich heute – so verstehe ich die Diskussion – darauf verständigt, den Bericht in der nächsten Wahlperiode wieder aufzurufen und zu beraten, um Maßnahmen zu beschließen, Antisemitismus effektiv zu bekämpfen. Deshalb werden wir die Überweisung nachher mehrheitlich beschließen.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Nächste Rednerin ist die Kollegin Barbara Woltmann für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7121833
Wahlperiode 18
Sitzung 239
Tagesordnungspunkt Bericht des Expertenkreises Antisemitismus
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta