21.06.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 239 / Tagesordnungspunkt 3 + ZP 1

Barbara WoltmannCDU/CSU - Bericht des Expertenkreises Antisemitismus

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war letzte Woche in Israel, und ich war auch in Yad Vashem. Ich habe mich geschämt, und zwar darüber, dass unsere Vorfahren im Zweiten Weltkrieg, unter dem Naziregime, versucht haben, die Juden in Deutschland und in Europa auszurotten – Menschen wie du und ich, Nachbarn, Freunde. Viele unserer Großväter und Großmütter waren Täter oder Mitläufer. Nicht alle Deutschen waren das, aber viele – viel zu viele.

Noch mehr schäme ich mich dafür, dass sich Antisemitismus in Deutschland nach über 70 Jahren immer noch breitmacht, in alter oder in neuer Form, zum Beispiel durch die schon angesprochene judenbezogene Israel-Kritik. All das zeigt der zweite Antisemitismusbericht in erschreckender Weise auf. Insofern ist es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe aller, dem entschieden entgegenzutreten. Dieser Verantwortung sind wir uns bewusst, und wir haben in dieser Legislaturperiode die Mittel für die Vielzahl vorhandener Förderprogramme für Extremismusbekämpfung und Demokratieförderung verdreifacht. An dieser Stelle möchte ich die Arbeit des Bündnisses für Demokratie und Toleranz und auch die Arbeit der Bundeszentrale für politische Bildung lobend erwähnen.

Überrascht und auch erschreckt hat mich die Diskrepanz zwischen den unterschiedlichen Erfahrungswelten in der Bevölkerung: Die meisten Nichtjuden sehen Judenhass als historisch überwunden an. Sie reagieren mit Verharmlosungstendenzen und Einfühlungsverweigerung und sind sich dessen oft gar nicht bewusst. Für die große Mehrheit unserer jüdischen Mitbürger und Mitbürgerinnen ist Antisemitismus hingegen – meine Vorredner haben es schon erwähnt – eine alltägliche Erfahrung. Das betrifft nicht nur den Einzelnen, sondern immer auch seine gesamte Familie. Die Geschichte des gemobbten Friedenauer jüdischen Schülers, die wir alle aus den Medien kennen, ist eben kein Einzelfall.

Ich habe in Oldenburg, meinem Wahlkreis, einen Religionsdialog mit verschiedenen Religionen vor Ort initiiert. Im letzten Dialog haben wir uns ausführlich über das Thema Antisemitismus ausgetauscht. Ein Vertreter der jüdischen Gemeinde hat die Aussage des Berichtes bestätigt, dass sie tagtäglich Antisemitismus ausgesetzt sind, seien es verbale Attacken oder auch mehr, meist sehr subtil und unterhalb der Strafbarkeitsschwelle. Diese Entwicklung sehe ich mit wachsender Sorge; denn der Antisemitismus reicht bis in die Mitte der Gesellschaft hinein. Aber Judenhass und seine Auswüchse dürfen kein Normalzustand, keine Alltagserfahrung sein – für niemanden.

Der sogenannte klassische Antisemitismus scheint zwar laut Bericht weniger zu werden, aber die Kritik am Staat Israel dient in Verbindung mit Stereotypen zunehmend als Einfallstor, um „den Juden“ und „den Staat Israel“ zu diffamieren und zu bekämpfen, wie es schon die Demonstrationen 2014 in Deutschland anlässlich der zweiten Intifada gezeigt haben, wo sich offener Judenhass auf deutschen Straßen Bahn brach. So etwas darf nicht aufgrund irgendwelcher Deeskalationsstrategien der Polizei toleriert werden, sondern muss sofort unterbunden und geahndet werden.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Eine der fünf zentralen Forderungen des zweiten Berichts ist die Übernahme der Working Definition für Antisemitismus. Auch das Europäische Parlament – es ist erwähnt worden – hat Anfang des Monats einen Entschließungsantrag zur Bekämpfung von Antisemitismus angenommen, in dem die Mitgliedstaaten aufgefordert werden, diese Working Definition der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken anzunehmen und umzusetzen. Diese Forderung unterstütze ich. Ich denke, dass sie schnell umgesetzt werden könnte, ohne das Ende der Gesamtdiskussion über den kompletten Bericht im Parlament abwarten zu müssen; denn die in der Justiz und im Sicherheitsapparat angewendete Fassung soll, wie ich aus dem Justizministerium erfahren habe, mit der geforderten Fassung mehr oder weniger identisch sein.

Auch die Forderung nach einer verbesserten Erfassung antisemitischer Straftaten finde ich persönlich richtig. Aber dafür brauchen wir eine Definition, mit der diese Taten entsprechend erfasst werden können.

Die Bund-Länder-Kommission ist angesprochen worden. Für mich wäre es kein Problem, wenn die Länder mitmachten; denn die Länder spielen auch eine ganz wichtige Rolle.

Die Berufung eines Antisemitismusbeauftragten ist die Hauptforderung der fünf Kernforderungen der Experten neben den vielen Handlungsempfehlungen. Auch durch den Entschließungsantrag des Europäischen Parlaments sind wir aufgefordert, einen nationalen Koordinator zur Bekämpfung von Antisemitismus zu ernennen. Nun gilt es, über das Ob, das Wie und das Wann zu diskutieren. Es wurde von meinen Vorrednern angesprochen: Das kann man nicht einfach mal eben machen, sondern man muss diskutieren und sich genau überlegen: Was wollen wir, und wie wollen wir das umsetzen, um die beste Lösung zu finden?

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können wir nächste Woche im Ausschuss machen!)

Aufgrund der auslaufenden Wahlperiode ist dies jetzt leider nicht mehr abschließend möglich. Da der Bericht aber nicht der Diskontinuität anheimfällt, werden wir dieses Thema in der neuen Wahlperiode unverzüglich angehen. Die Union wird darauf drängen, das parlamentarische Verfahren in der neuen Wahlperiode schnell wieder aufzunehmen und weiterzuführen.

Die Experten haben uns eine Vielzahl an Empfehlungen, fachlichen Impulsen und Anregungen gegeben, wie eine gesamtgesellschaftliche und politische Debatte auf allen Ebenen geführt werden kann. Wir müssen sie führen, aber auch in den Ländern und Kommunen. Wichtig ist mir, dass die Umsetzung der Handlungsempfehlungen und die Forderungen diskutiert werden, um die beste Lösung zu finden.

Der erste Expertenbericht ist nicht ohne Folgen und ohne Ergebnisse geblieben. Ich denke, man muss beide Berichte zusammen betrachten. In der Gesamtheit sind sie eine gute Grundlage für die Fortsetzung der Bekämpfung von Antisemitismus. Das ist uns allen im Parlament wichtig. Daran werden wir alle gemeinsam arbeiten.

An dieser Stelle möchte ich mich im Namen der Union bei den Experten ganz herzlich bedanken. Ich möchte stellvertretend Frau Dr. Juliane Wetzel vom Zentrum für Antisemitismusforschung und Herrn Patrick Siegele, dem Direktor des Anne-Frank-Zentrums, danken; denn sie beide haben die Arbeit koordiniert. Das war nicht immer ganz einfach, aber sie haben ein sehr gutes Ergebnis innerhalb der vorgegebenen Zeit vorgelegt. Dafür meinen herzlichen Dank.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Marian Wendt ist der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7121837
Wahlperiode 18
Sitzung 239
Tagesordnungspunkt Bericht des Expertenkreises Antisemitismus
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