21.06.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 239 / Tagesordnungspunkt 3 + ZP 1

Marian WendtCDU/CSU - Bericht des Expertenkreises Antisemitismus

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Antisemitismus ist ein kryptischer Begriff, der in seiner Abstraktheit darüber hinwegtäuscht, was ihm innewohnt, nämlich Hass gegen Juden. Er ist ein Begriff, der in seiner Abstraktheit gut erfasst, was dem Antisemitismus eigen ist: Er ist oft subtil, aber oft auch eckig und brachial; ein Begriff, der die Gefahr dessen erahnen lässt, was in ihm steckt, nämlich Hass, Gewalt und Mord.

Der Unabhängige Expertenkreis Antisemitismus, über dessen Abschlussbericht wir heute in dieser Legislatur erstmalig debattieren, hat seine Arbeit 2009 aufgenommen. Ich finde, das ist eine sehr wichtige Arbeit. Das möchte ich ganz deutlich betonen, und ich möchte den Mitgliedern des Expertenkreises ganz herzlich für ihre Arbeit danken.

Es bestehen offensichtlich Probleme bei der öffentlichen Beschäftigung mit dem latenten Antisemitismus in unserer Gesellschaft. Der öffentliche Umgang mit Antisemitismus ist nicht zufriedenstellend. Es wird möglichst viel geschwiegen; denn wo aufgeklärt wird, da gibt es schnell mal einen schlechten Ruf. Das ist vielleicht einer der Gründe dafür, dass der Antisemitismus, der in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen anzutreffen ist, so lange ignoriert wurde. Daher bin ich froh, dass es jetzt eine öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema hier im Plenum des Deutschen Bundestages gibt. Damit machen wir über die Parteigrenzen hinweg klar, dass es mit uns keinen Antisemitismus geben wird und dass wir uns deutlich gegen jede Form von Antisemitismus aussprechen.

Angriffe auf Juden sind in Deutschland leider keine Seltenheit. Ein aktueller Fall aus diesem Frühjahr ist mir besonders in Erinnerung geblieben, nämlich der Fall des Schöneberger Schülers, der sich Sätze anhören musste, wie: Du bist ja eigentlich ein cooler Typ, aber ich kann nicht mit dir befreundet sein; denn Juden sind alle Mörder. – Es geht mir unter die Haut. Solche Sachen sagen Kinder zu Kindern. Das ist erschreckend. Dass die betreffende Berliner Schule auch schon vorher zum Netzwerk „Schule ohne Rassismus“ gehörte, zeigt meiner Meinung nach – und da müssen wir uns ehrlich machen –, wie problematisch solche dauergeförderten Wohlfühlaktionen gegen Rassismus sind: Ein netter Name, alle fühlen sich toll, sind froh, etwas Gutes getan zu haben, aber am Ende hilft es, wie in diesem konkreten Fall, leider doch nichts.

In diesem Zusammenhang sage ich: Ich freue mich über die ausführlichen Handlungsempfehlungen des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus. Auf wissenschaftlicher Basis schlägt der Expertenkreis eine Menge meiner Meinung nach sehr wichtiger und guter Maßnahmen vor, die jetzt geprüft und dann zügig umgesetzt werden. Das gilt zum Beispiel für die genauere Analyse der Fälle von Antisemitismus und ihre Einordnung durch besser geschulte Polizisten. Das gilt auch für den Vorschlag, die deutsch-israelische Schulbuchkommission bei unseren Maßnahmen besser einzubeziehen; denn Bildung ist ein Kernstück der Prävention.

Der Fall des Schöneberger Schülers zeigt einen weiteren wichtigen Punkt auf, den wir nicht übersehen dürfen. Neben den klassischen Trägern antisemitischer Ideologie, den Rechtsextremisten, gibt es eine zweite, derzeit stark anwachsende Gruppe von Menschen mit antisemitischem Gedankengut – auch dies wird in dem Bericht klar angesprochen –: Unter den vordringlich aus muslimischen Staaten nach Deutschland kommenden Flüchtlingen sind leider viele, die oft schon von Kindheit an antisemitisch sozialisiert wurden. Ihr Antisemitismus, ihr Hass auf Israel, war und ist Staatsdoktrin in fast allen Golfstaaten, fast im ganzen Nahen und Mittleren Osten.

In dem Bericht wird richtigerweise eine genaue Untersuchung dieses Phänomens gefordert. Hier herrscht ein großer Erkenntnisbedarf. Deutschland kann es nicht einfach hinnehmen, dass es Bevölkerungsschichten gibt, die Antisemitismus für hoffähig halten. Für den, der zu uns kommt, gelten unsere Regeln. Dazu gehört auch, dass hier alle Menschen gleiche Rechte genießen, insbesondere auch das Recht auf Religionsfreiheit. Zustände wie in Frankreich, wo nach einem Artikel in der Welt innerhalb der vergangenen zehn Jahre 40 000 Juden das Land verlassen haben, sind erschreckend. Ich zitiere:

Viele Juden spüren seit einiger Zeit, dass sie in Frankreich nicht offen als Juden leben können.

Das sagt ein Sprecher der Jewish Agency. Wenn wir, Sie und ich, nicht höllisch aufpassen, dann bekommen wir solche Zustände auch in Deutschland.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, immer wieder kommt Antisemitismus übertüncht als Kritik an Israel daher. Machen wir uns nichts vor: Auch ein als Kritik an der Politik Israels getarnter Antisemitismus ist immer noch schlichter Antisemitismus. Aufrufe zum Boykott von Produkten aus Israel sind nichts anderes als neue „Kauft nicht bei Juden“-Schmierereien, nur in neuem Gewand.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Antisemitismus bedroht meiner Ansicht nach unsere Gesellschaft. Das muss man klar aussprechen. Ich freue mich, dass es einen offener werdenden Umgang mit Antisemitismus gibt; denn die unterschwellige Verbreitung dieses Phänomens hat leider Nischen gefunden, wie der Bericht zeigt. Deswegen ist es richtig und wichtig, dass wir weiterhin wachsam sind, den Bericht intensiv beraten und uns in der nächsten Wahlperiode wieder mit einem entsprechenden Expertengremium hinsetzen und die Lage analysieren, die dann hoffentlich besser ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zu einer Klarstellung nach § 30 unserer Geschäftsordnung erhält nun die Kollegin Haßelmann das Wort.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7121838
Wahlperiode 18
Sitzung 239
Tagesordnungspunkt Bericht des Expertenkreises Antisemitismus
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