Niels AnnenSPD - Abzug der Bundeswehr aus Incirlik
Frau Präsidentin, vielen Dank. – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundeswehr wird vom Stützpunkt Incirlik abgezogen. Diese Entscheidung ist richtig, und diese Entscheidung ist überfällig.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Dass Deutschland die Bundeswehr aus einem laufenden Einsatz aus einem NATO-Mitgliedsland abziehen muss, weil sich dessen Regierung weigert, uns Abgeordneten den Besuch unserer Soldatinnen und Soldaten zu gewähren, und dass dieser Einsatz stattdessen in ein Nicht-NATO-Mitgliedsland verlegt werden muss, ist ein einmaliger Vorgang.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Mit dem Abzug aus Incirlik – das muss man vermutlich so sagen – sind wir an einem vorläufigen Tiefpunkt in den Beziehungen zur Türkei angekommen.
Aber eines ist mir ganz wichtig: Es gibt keinen Grund, über die heutige Entscheidung Genugtuung zu empfinden. Dafür sind die Beziehungen zur Türkei zu wichtig. Deswegen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, will ich noch einmal daran erinnern, worum es bei diesem Streit im Kern eigentlich ging: Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Wir, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, entscheiden, ob wir Soldatinnen und Soldaten in bewaffnete Einsätze schicken, und wir entscheiden im Zweifel auch, die Soldatinnen und Soldaten, wenn nötig, zurückzurufen. Es muss eine Selbstverständlichkeit sein und es ist auch an allen anderen Einsatzorten eine Selbstverständlichkeit, dass wir die Soldatinnen und Soldaten, die wir in unserer Verantwortung in Einsätze schicken, an diesen Einsatzorten auch besuchen dürfen.
Ich will daran erinnern: Es war nicht der Deutsche Bundestag, der diese Besuche politisiert hat; es war Präsident Erdogan. Offensichtlich ging es dem türkischen Präsidenten dabei nicht nur um diese Frage. Es ging ihm um Innenpolitik. Es ging ihm darum, zu mobilisieren und vor einem innenpolitisch hochbrisanten Referendum eine emotionale Debatte loszutreten. Er hat dafür die Beziehungen zu unserem Land schwer strapaziert und in einigen Punkten sogar aufs Spiel gesetzt. Mit staatsmännischem Verhalten hat das nichts zu tun, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Um die Verfassungsreform durchzusetzen, ließ Erdogan den Konflikt mit Deutschland eskalieren. Sowohl die Präsenz der Bundeswehr als auch willkürlich inhaftierte deutsche Staatsbürger wie Deniz Yücel und andere wurden von Präsident Erdogan genutzt, um sie in politische Geiselhaft zu nehmen.
Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, Außenminister Gabriel dafür zu danken, dass er nie Zweifel daran gelassen hat und Forderungen Ankaras, wir sollten Türkinnen und Türken, die in Deutschland Asyl bekommen haben, nach dem Putschversuch ausliefern, stets mit großer Klarheit zurückgewiesen hat. Hier überhaupt eine Verknüpfung herzustellen – das hat die türkische Seite von uns erwartet, nämlich Freilassung von Herrn Yücel gegen Zugeständnisse, Besuchsrechte der Bundeswehr gegen politische Zugeständnisse –, ist inakzeptabel.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Allein die Forderung zeigt, was für ein hanebüchenes Rechtsverständnis der türkische Präsident hat. Herr Erdogan, nehmen Sie zur Kenntnis: In Deutschland entscheiden nicht Präsidenten oder Kanzler, sondern unabhängige Behörden und Gerichte darüber, wem politisches Asyl gewährt wird. Wenn Sie, Herr Erdogan, daran etwas ändern wollen, dann sorgen Sie dafür, dass in Ihrem Land die Menschenrechte wieder respektiert werden. Dann müssen Ihre Bürgerinnen und Bürger auch nicht in Deutschland Asyl beantragen.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Meine Fraktion steht fest an der Seite der Demokratinnen und Demokraten in der Türkei. 50 Prozent der Menschen, möglicherweise sogar mehr, haben ja gegen den Referendumsentwurf gestimmt. Diese Menschen dürfen wir bei allem Streit in dieser Situation nicht vergessen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich glaube, dass zu einer nüchternen Analyse der deutsch-türkischen Beziehungen auch eine selbstkritische Betrachtung gehört. Wir müssen eingestehen, dass es auch auf deutscher Seite Fehler gegeben hat. Ich komme nicht darum herum, darauf hinzuweisen, dass es Kanzlerin Merkel, die CDU/CSU und ihre europäischen konservativen Freunde waren, die die Türkei jahrelang auf Abstand gehalten haben, leider auch in einer Zeit, in der es in der Türkei noch Reformbemühungen gegeben hat. Wir haben dieses Momentum verspielt. Das ist ein Teil unserer Verantwortung.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Aber natürlich gehört zu dieser Analyse auch, dass die Eskalation von Ankara ausging. Die Bundesregierung hat immer und immer wieder versucht, Kompromisse zu schmieden, im Gespräch zu bleiben und eine gesichtswahrende Lösung zu erzielen. Herr Erdogan hat sich anders entschieden. Wir haben auch von parlamentarischer Seite den Dialog gesucht. Auch dies ist abgewiesen worden. Frau Roth und ich haben vor wenigen Tagen erlebt, dass eine Delegation nicht ins Land gelassen wurde. Die Signale waren eindeutig.
Ich weiß, dass jetzt von der Opposition und von vielen Bürgerinnen und Bürgern gesagt wird: Ihr habt euch hinhalten und vorführen lassen. – Ich sage: Das Gegenteil ist der Fall. Jeder Versuch, im Gespräch zu bleiben, war es wert. Dafür ist diese Beziehung zu wichtig. Es handelt sich bei einer Truppenverlegung in einem laufenden Einsatz nicht um eine Banalität. Aber nachdem das letzte Gespräch gescheitert war und Frau Merkel im Gespräch mit Herrn Erdogan kein Ergebnis erzielt hat, ist jetzt Klarheit gefragt, Kolleginnen und Kollegen. Genug ist genug, die Bundeswehr muss abzogen werden, und wir sind auf dem richtigen Weg. Ich glaube, das ist die Botschaft des heutigen Tages.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich will an dieser Stelle der jordanischen Regierung danken. Wir haben uns den Abzug nicht gewünscht. Wir haben dafür gearbeitet und gekämpft, dass die Bundeswehr in Incirlik bleiben kann, auch als ein Symbol für die deutsch-türkischen Beziehungen. Aber jetzt ist anders entschieden worden. Insofern will ich sagen: Es ist vielleicht eine Koinzidenz, aber keine schlechte, dass wir in einer schwierigen Lage – Sie alle wissen, dass die Kämpfe an der jordanischen Grenze an Intensität zunehmen – einem Land, das Hunderttausende von Flüchtlingen aufgenommen und sich in den letzten Jahren als ein stabiler, verlässlicher Partner erwiesen hat, jetzt diese symbolische Unterstützung zukommen lassen können. Ich glaube, das ist die richtige Botschaft.
Lassen Sie uns nach einer auch emotionalen Debatte in diesem Hause und in der Gesellschaft doch eines festhalten: Das Prinzip der Parlamentsarmee hat sich bewährt. Es hat sich auch in einer Zeit höchster Spannungen und großer Krisen bewährt. Lassen Sie uns nicht an diesem Prinzip rütteln.
Ich danke für die Aufmerksamkeit und bitte um Zustimmung.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen Dank, Herr Kollege Annen. – Jetzt hat Dr. Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke das Wort.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 239 |
Tagesordnungspunkt | Abzug der Bundeswehr aus Incirlik |