Matthias IlgenSPD - Finanzierung und Förderung von Gründungen
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man der Opposition im Hause zuhört, dann ist es spannend. Wenn man den Linken zuhört, dann denkt man: Jeder, der sich in diesem Lande selbstständig macht, ist deshalb ein Getriebener, weil die Chancen auf dem Arbeitsmarkt so katastrophal sind, dass nichts anderes als die Selbstständigkeit bleibt. Wenn ich Frau Kollegin Andreae zuhöre, dann gewinnt man den Eindruck, dass man zwar nicht gezwungen ist, diesen Schritt zu machen, aber für diejenigen, die ihn gehen wollen, es quasi nichts an Unterstützung gäbe, um diesen Schritt zu gehen. Beides ist, wie ich glaube, eine verzerrte Darstellung der Realität.
Frau Kollegin Andreae, bei Ihrem Antrag kommt mir das Bild von zwei fahrenden Zügen in den Sinn: Der eine Zug, der fährt, stellt die Realität in Deutschland dar, und der andere ist der grüne Zug, der mit ein bisschen Time Delay hinterherfährt. Sie haben nämlich, wenn Sie das jetzt so in einem Antrag auf den letzten Metern zusammenschreiben, in dieser Wahlperiode nicht aufgepasst, was die Koalition in diesem Bereich alles gemacht hat. Und das ist eine Menge. Ich will auf einige Punkte eingehen, die auch Sie aufzählen.
Rechtliche Rahmenbedingungen für Investoren in Form eines Venture-Capital-Gesetzes verbessern – die Forderung klingt gut. Wir haben in dieser Wahlperiode kein spezielles Venture-Capital-Gesetz gemacht, aber wir haben – das habe ich heute einmal gezählt – 26 Verbesserungen, die wir in einem Strategiepapier bezüglich Venture Capital festgehalten hatten, in gesetzlichen Einzelmaßnahmen verabschiedet. Unter anderem – ich will nur das nennen – haben wir zuletzt den sogenannten § 8d Körperschaftsteuergesetz verabschiedet. Wir hatten eine lange Debatte über die Frage: Wie schaffen wir es, dass auch kleine und mittlere Unternehmen bei Beteiligungsformen bessergestellt werden, wenn ein Rauskauf oder Unternehmerwechsel ansteht?
Forschungsbonus für KMU in Form einer Steuerermäßigung. Die Frage der steuerlichen Forschungsförderung wollen wir gerne mit Ihnen diskutieren.
(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollen es nicht bloß diskutieren! Sie sollen es umsetzen!)
Wir glauben aber, dass man steuerliche Forschungsförderung, wenn man sie denn macht, zielgenau und punktgenau machen muss. Die breite Nummer „Wir machen es für alle“ wäre auch von Mitnahmeeffekten geprägt. Deswegen muss das mit Blick darauf, wie das zielgenau klappen könnte, auf eine kommende Wahlperiode verschoben werden.
Herr Kollege Ilgen, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Ja, gerne.
Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben vorhin gesagt, der grüne Zug fährt hinterher. Wir haben hier einen Gesetzesantrag zur Forschungsförderung vorgelegt, den Sie abgelehnt haben. Alle Experten – ich war allein heute auf zwei Veranstaltungen, beim Bundesverband Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften, BVK, und bei der Gesellschaft zum Studium strukturpolitischer Fragen – fordern vehement die steuerliche Forschungsförderung. Würden Sie in diesem Zusammenhang Ihren Vorwurf aufrechterhalten, dass die Grünen hinterherfahren, oder könnte es in diesem Falle sein, dass die Sozialdemokraten und vor allem auch die Union hinterherfahren?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich habe gesagt: bezogen auf Ihren Antrag. In diesem Punkt will ich Ihnen gerne einräumen, dass Sie vorangehen und sozusagen den ersten Vorschlag machen.
Noch einmal: Ich glaube, man muss es zielgenauer machen, als Ihr Antrag es vorsieht. Denn mit der Gießkanne zu fördern, halten wir nicht für vernünftig. Wir werden uns das in der nächsten Wahlperiode ansehen, und dann freuen wir uns, wenn wir gemeinsam über Gesetze reden können.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ein weiteres Beispiel: in den ersten zwei Jahren die Unternehmen von unnötigen Melde- und Informationspflichten befreien. Wir haben die Unternehmen über die Jahre hinweg von all diesen Pflichten befreit. Man kommt aber nicht darum herum, die Angestellten der Sozialversicherung zu melden und auch als Selbstständiger spätestens nach zwei Jahren eine vernünftige Steuererklärung abzugeben. Das sind die realen Meldepflichten, die es für Start-ups gibt.
Natürlich ergeben sich aus dem, was ein Unternehmen an Umsatz, Gewinn oder Verlust macht, immer Situationen, die mehr Meldepflichten nach sich ziehen. Das hat aber damit zu tun, dass man Umsatz und andere Grenzen überschreitet. Das ist aber etwas, was, wie ich finde, positiv ist. So viel Bürokratie, wie auf den normalen Bürger zukommt, wenn er eine Steuererklärung machen muss, müssen wir auch einem neugegründeten Unternehmen zumuten.
Sie schlagen in Ihrem Antrag vor, die gesetzlich versicherten Selbstständigen mit geringen Einkommen bei der Kranken- und Pflegeversicherung zu entlasten. Auch das haben wir gemacht. Wir haben den Mindestbeitrag abgesenkt. Wir Sozialdemokraten – ich sage das offen – hätten uns gewünscht, dass es eine exakt einkommensabhängige Anpassung gibt, weil das dem Modell der Arbeitnehmer in der gesetzlichen Krankenversicherung entspräche. Da besteht in einer nächsten Wahlperiode sicherlich Nachholbedarf. Aber zu sagen, wir hätten nichts gemacht, ist falsch.
Insbesondere begrüßen wir die Forderung, nicht anderweitig abgesicherte Selbstständige in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen. Auch das ist einer der Big Points unseres Wahlprogramms, das wir am kommenden Sonntag beschließen werden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Jetzt komme ich zu dem Argument, das vorhin von der Linken vorgetragen wurde, also zu der Fragestellung, ob sich jemand zwangsweise selbstständig macht. Das glaube ich weniger, und das zeigen auch die Zahlen nicht. Aber was wir haben, ist ein häufigerer Wechsel, ein stärkeres Gleiten zwischen verschiedenen Berufs- und Lebensperspektiven, zwischen der abhängigen Beschäftigung und der Selbstständigkeit. Gerade in der Kreativwirtschaft – Sie haben sie hier zu Recht herausgestrichen – ist das zunehmend der Fall. Dies hat einfach damit zu tun: Es gibt Phasen, da ist man selbstständig oder macht eine Projektarbeit, und es gibt Phasen, da wechselt man in ein Unternehmen und ist Angestellter. Da für eine Einheitlichkeit bei der Rentenabsicherung zu sorgen, halten wir für sehr sinnvoll. Das ist ein Punkt in Ihrem Antrag, der insgesamt zu loben ist.
Darüber hinaus haben wir am Anfang dieser Wahlperiode – Kollege Metzler hat es angesprochen; dazu habe ich auch meine erste Rede im Bundestag gehalten – über die KfW und die Fragestellung geredet, was wir mit dem ERP-Sondervermögen im Bereich Start-ups machen. Im Jahr 2018 – das ist jetzt vorgesehen – gründen wir eine eigenständige Beteiligungsgesellschaft des Bundes, die für die KfW ein ausgeweitetes Beteiligungsgeschäft betreiben soll. Das ist ein riesiger Schritt nach vorn.
(Zuruf des Abg. Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Der Staat tritt als Koinvestor auf. Ich bin aber immer dafür, dass auch Private etwas tun; denn wir wissen: Ein Staat kann alleine am Ende bei einem Investment nicht die Summen erzielen, die wir in dieser Branche brauchen, insbesondere in Wachstumsphasen. – Wir sehen: Die Länder, die in diesem Bereich eine kluge Mischung aus staatlicher Angebotspolitik und dem Stärken der privaten Formen, die vernünftig und im Rahmen sind, vornehmen, sind erfolgreich. Das wollen wir in der nächsten Wahlperiode weiter umsetzen.
Wir haben in dieser Wahlperiode aber auch in vielen Bereichen – ich will das noch einmal sagen – gemeinsam mit der Union Dinge machen können, die vernünftig waren. In denke an die Diskussion um Streubesitz und Veräußerungsgewinne: Da haben wir eine tragfähige Kompromisslösung gefunden wie auch bei der Frage – ich hatte es schon gesagt – von Verlustübertragungen bei Anteilseignerwechsel.
Insofern kann ich insgesamt sagen: Die Gründerszene in Deutschland ist gut aufgestellt.
(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Gründerszene sagt was anderes!)
– Ja, Frau Kollegin Andreae, das ist das Klagelied des Kaufmanns. Ich bin ja selber einer und weiß, dass man immer etwas für die Zukunft tun muss, damit es noch besser wird und es weiterhin Chancen gibt. – Ich kann uns allen nur empfehlen, die Debatte etwas niedriger zu hängen, als Sie es in Ihrem Antrag tun.
(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also die SPD macht nichts?)
Wir haben Schritte gemacht, und wir müssen jetzt sehr genau schauen – das wird man nicht in den letzten zwei Sitzungswochen einer Wahlperiode mit einem solchen Antrag machen können –, was wir in den kommenden vier Jahren zu tun haben. Ich glaube, es gibt noch eine Menge zu tun.
(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)
Ich hielt die Ich-AG-Förderung, die wir damals gemacht haben, für eine gute Sache. Wir sollten überlegen, was man im Bereich der Förderung von Start-ups am Anfang machen kann, also wie man Geld locker machen und in die Start-ups hineingeben kann. Das Problem ist: Auch bei diesem Programm stellte sich die Frage, wie zielgenau es am Ende ist – über zwei Drittel der Unternehmen waren nämlich in den ersten zwei Jahren wieder vom Markt gegangen –, also ob es vernünftig ist, sozusagen jedem das Geld zu geben, oder ob wir, wenn wir solche Programme machen, stärker darauf schauen müssen, wer das Geld bekommt; und das ist die Schwierigkeit. Sie haben vorgeschlagen, wenn der Businessplan einmal angeguckt sei, solle man einen Haken dahinter machen, dann könnte das Geld fließen.
(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)
Das halten wir für falsch.
(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das dachte ich mir!)
Wir müssen schon auch bei Gründungen in diesem Lande hinschauen. Man kann die Menschen nicht in ihr Elend treiben, indem man sie nicht gut vorbereitet den Schritt in die Selbstständigkeit gehen lässt. Es ist ein gewisser Schritt im Leben, und deshalb sind wir dafür, dass man solche Programme viel zielgenauer gestaltet, als es in der Vergangenheit der Fall war. Deswegen wird es mit einem Wiederauflebenlassen der alten Programme allein nicht funktionieren.
Wir haben in der nächsten Wahlperiode genug Zeit, das miteinander zu bereden. Ihren Antrag werden wir heute ablehnen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Der Kollege Dr. Philipp Murmann hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7121906 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 239 |
Tagesordnungspunkt | Finanzierung und Förderung von Gründungen |