Lars CastellucciSPD - Einsatz in internationalen Polizeimissionen 2016
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute über den Einsatz von deutschen Polizistinnen und Polizisten in internationalen Missionen. Dabei geht es auch um Frontex, und über Frontex möchte ich sprechen.
Die Linke fordert, Frontex abzuschaffen.
(Beifall der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE])
Ich halte das für eine völlig absurde Idee. – Sie haben an dieser Stelle geklatscht, Frau Kollegin. Jetzt kriegt der Sprecher meiner Fraktion wieder eine SMS vom Sprecher der CDU/CSU, in der steht, dass die Linke bei meiner Rede klatscht.
(Heiterkeit bei der SPD und der CDU/CSU)
Das hatte ich jetzt nicht bezweckt.
Worum geht es denn bei Frontex? Wir haben in Europa Schlagbäume und Grenzanlagen niedergerissen. Das ist eine solch große Errungenschaft auf einem Kontinent, der Jahrhundert um Jahrhundert in immer neuen Kriegen versunken ist. Wir genießen Freiheit: ob wir jetzt kurz über die Grenze fahren – bei mir in der Region für einen Wochenendausflug –, ob es Unternehmer sind, die just in time produzieren, oder ob es um den nächsten Sommerurlaub geht. Gestern hatte ich zwei Schulklassen zu Besuch. Sie kennen gar nichts anderes als diese Freiheit; sie gehört zu ihrem Lebensstil.
Wenn wir in Freiheit ohne Grenzen im Innern leben wollen, dann müssen wir unsere Grenzen nach außen schützen. Daran führt kein Weg vorbei.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Anja Karliczek [CDU/CSU])
Grenzen schützen, liebe Ulla Jelpke, heißt nicht, Grenzen schließen oder Grenzen dichtmachen, wie das eben formuliert wurde.
Im Übrigen: Wie kann man denn sagen, dass das Patrouillieren von Booten in der Ägäis gegen die Flüchtlinge gerichtet wäre? Seit die Boote in der Ägäis patrouillieren, ist die Zahl der Toten im östlichen Mittelmeer um 90 Prozent zurückgegangen. Das ist doch nicht gegen Flüchtlinge gerichtet, sondern es nützt Flüchtlingen und es schützt Leben. Ich finde, das sollten wir an dieser Stelle auch so sagen können.
(Beifall bei der SPD)
Also: Grenzen schützen, aber nicht schließen.
Wir sind ein reicher Kontinent. Wir haben eine humanitäre Verantwortung. Wir können ihr gerecht werden. Wir brauchen auch Zuwanderung, und wir wollen für Talente aus aller Welt attraktiv sein, die uns helfen, unseren Wohlstand zu sichern und auszubauen. Wenn wir das alles erhalten wollen – unser humanitäres Engagement und auch den Wohlstand –, dann brauchen wir in den Fragen von Migration bessere Steuerung und mehr Ordnung. Das ist der Auftrag von Frontex. Deswegen hat Frontex unsere Unterstützung.
(Beifall bei der SPD)
Ich will an dieser Stelle auch sagen: Wir müssen unsere Grenzen schützen, aber es gibt keinen hundertprozentigen Grenzschutz. Das sagen ja auch schon die Zahlen der Einsatzkräfte, die hier mehrfach vorgetragen worden sind. Zum Beispiel gibt es einen Sofort-Einsatz-Pool von 1 500 Beamtinnen und Beamten, die auf die europäischen Außengrenzen verteilt werden.
Es ist also so wie vielleicht auch vor Ort bei unseren Städten und Gemeinden, wo sich Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker um sichere Schulwege bemühen, damit die Sicherheit von Schülerinnen und Schülern auf dem Weg in die Schule gewährleistet ist. Trotzdem sagen sie den Schülerinnen und Schülern weiterhin: Passt auf, wenn ihr auf dem Weg zur Schule seid! – Wir dürfen nicht so tun, als könnte es hundertprozentige Sicherheit geben. Aber wir müssen uns für den bestmöglichen Grenzschutz engagieren, den wir erreichen können. Das ist unser Job.
Jetzt sind wir in Europa in einer schwierigen Lage, und auch bei den letzten Konferenzen hat man gemerkt, dass sich die Staaten in einer Selbstblockade befinden. Zu Frontex bekommen wir Listen, die uns im Ausschuss vorliegen, und darin steht dann: Von den 1 500 Beamtinnen und Beamten für diesen Pool, den ich gerade genannt habe, sollen 225 aus Deutschland kommen. Von den 700 Beamtinnen und Beamten, die die Ausreise gewährleisten, sollen 76 aus Deutschland kommen. In jedem Bereich, in dem in Europa zusammengearbeitet wird, wird von jedem Land gefordert, dass es einen Beitrag leistet.
Jetzt spreche ich gegen diese Selbstblockade, indem ich Folgendes zu bedenken gebe: In keinem Unternehmen wird verlangt, dass alle das Gleiche machen; in keiner Regierung macht jeder das Gleiche, in keiner Familie ist jede oder jeder für das Gleiche zuständig.
Deswegen rate ich dazu, dass wir überlegen, ob diese Selbstblockade der Staaten in Europa nicht überwunden werden kann, indem nicht mehr alle das Gleiche machen, sondern indem in Zukunft arbeitsteiliger vorgegangen wird. Wenn wir 1 Million Flüchtlinge aufnehmen, dann können doch die Visegradstaaten, die sich da davonstehlen, im Grenzschutz mehr tun, als sie heute tun. Arbeitsteilung, das ist das Gebot der Stunde für die Europäische Union.
(Beifall bei der SPD)
Man kann nicht über Frontex reden, ohne auch über das Sterben auf dem Mittelmeer zu sprechen. 2014 sind 3 300 Menschen ertrunken – von diesen wissen wir –, 2015 3 800, 2016 über 5 000 und in diesem Jahr bereits 2 000.
(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Frontex rettet keine Menschen! Warum nicht?)
Frontex ist zuständig für die Seenotrettung und macht auch Seenotrettung. Aber, ich glaube, die Zahlen sagen ganz eindeutig, dass dieses Engagement nicht reicht. Wenn man hinschaut, dann sieht man dafür auch ganz objektive Gründe. Beispielsweise sind die Schiffe, mit denen Frontex auf dem Mittelmeer unterwegs ist, gar nicht in der Lage, von einem Moment auf den anderen Hunderte von Flüchtlingen, die auf irgendwelchen untauglichen Booten daherkommen, aufzunehmen.
Deswegen sage ich hier: Das müssen wir hinbekommen. Das werden wir am Sonntag auf unserem Parteitag auch so für unser Regierungsprogramm beschließen. Wir brauchen ein eigenständiges europäisches Seenotrettungsprogramm. Das Sterben auf dem Mittelmeer muss endlich ein Ende haben.
(Beifall bei der SPD)
Der guten Ordnung halber zum Schluss: Wer irreguläre Wege verhindern will, der muss legale Möglichkeiten schaffen; darauf kann ich jetzt nicht mehr eingehen. Wir brauchen Kontingente für Menschen, insbesondere für die Schwächsten, und diese Menschen müssen in Europa vernünftig verteilt werden. Wir brauchen ein Einwanderungsgesetz; das ist bitter nötig. Wir brauchen ein Gesamtkonzept, um die Situation und die Sicherheit in den Griff zu bekommen – auch auf dem Mittelmeer und an unseren Außengrenzen.
An dieser Stelle auch von meiner Seite ein herzlicher Dank an alle, die sich engagieren, und an die Familien, die das unterstützen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Kollegin Irene Mihalic hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7121931 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 239 |
Tagesordnungspunkt | Einsatz in internationalen Polizeimissionen 2016 |