22.06.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 240 / Tagesordnungspunkt 9

Bärbel HöhnDIE GRÜNEN - Klimaschutzpolitik

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So, wie Professor Riesenhuber das hier gemacht hat, schaffe ich das nicht. Ganz interessant ist, wie er seine Reden immer vorträgt. Man könnte sagen: Das ist der, der mit der Luft oder mit dem Pult tanzt. Insofern: Alles Gute für Professor Riesenhuber. Ich werde mich aber gern seiner Idee anschließen, in 40 Jahren hier noch einmal vorbeizugucken, um zu sehen, was dann sein wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich würde mich auch gern seiner Freizügigkeit bezüglich der Redezeit anschließen wollen. Ansonsten werde ich meine Rede aber ein bisschen anders halten; jeder ist eben anders, und das zeigt die Vielfalt des Parlaments.

Ich möchte diese Klimadebatte mit Bezug auf eine Klimakonferenz beginnen, die am Anfang dieser Legislaturperiode, 2013, in Warschau stattgefunden hat. Überschattet wurde diese Klimakonferenz durch die Zerstörung, die der Taifun „Haiyan“ damals auf den Philippinen ausgelöst hat. A. G. Saño hat uns erzählt, wie er diesen Taifun wirklich nur durch Zufall überlebt hat. 10 000 Menschen sind gestorben, 4 Millionen Menschen sind obdachlos geworden, sehr viele Millionen Menschen haben ihr Hab und Gut und ihre Arbeit verloren und leben immer noch in einem Provisorium. Das, meine Damen und Herren, sind die Folgen der Klimakrise. Deshalb verlangen diese volatilen Staaten, dass wir, die Industrieländer, die Ursachen für diese Klimakrise endlich angehen und beseitigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)

Über 90 Prozent der Klimaerwärmung sind bisher in die Meere gegangen. Das führt dazu, dass die Wasseroberfläche sich erwärmt und dass die Wirbelstürme durch dieses Mehr an Energie sehr häufig die schlimme Kategorie von 4 oder 5 erreichen und entsprechende Zerstörungen nach sich ziehen. Neben diesem millionenfachen Leid der betroffenen Menschen hat uns der Ökonom Nicholas Stern mit seinen Klimastudien sehr deutlich und klar gemacht: Die Überwindung der Klimakrise ist billiger, als die Schäden zu bezahlen, die passieren und immer gravierender werden, wenn wir nichts tun. Das bedeutet: Wir müssen endlich anfangen, etwas zu tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Momentan gibt es in Afrika eine der schlimmsten Dürren, die wir je erlebt haben. 23 Millionen Menschen sind vom Hungertod bedroht. Das betrifft den Osten Afrikas und den Tschadsee. Betroffen sind Millionen Menschen, die auf der Flucht sind und sterben. Laut Berliner Zeitung hatte – das macht es vielleicht deutlich – der Tschadsee einmal die Größe Deutschlands; jetzt hat er die Größe Berlins. Es herrschen Temperaturen von über 55 Grad. Weil es kein Wasser mehr gibt, können die Menschen nicht mehr fischen, sie können keine Landwirtschaft mehr betreiben, sie können kein Einkommen mehr erzielen. Deshalb hungern sie, und deshalb fliehen sie.

Wer die Möglichkeit und das Geld hat, also die Wohlhabenderen unter diesen Menschen, der flieht nach Europa. Die meisten bleiben in Afrika. Wenn wir diese Klimakrise nicht stoppen, dann haben wir, wie uns der Bundesentwicklungsminister sehr deutlich gesagt hat, in Zukunft mit 100 Millionen Klimaflüchtlingen zu rechnen. Da tragen wir eine Verantwortung. Deshalb müssen wir hier in Deutschland endlich handeln.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Warum hier in Deutschland? Unser CO 2 -Ausstoß pro Kopf ist im Jahr zehnmal höher als der einer Person auf den Philippinen, und er ist 200-mal höher als der eines Menschen, der im Tschad lebt. Das heißt, wenn wir allein die letzten 25 Jahre zusammenzählen – und wir haben schon vorher sehr viel CO 2 in die Atmosphäre geschickt –, dann haben wir in dieser Zeit pro Person in Deutschland 5 000-mal mehr CO 2 in die Atmosphäre geschickt als die Menschen in diesen Dürrregionen Afrikas. Dieses CO 2 bleibt Hunderte von Jahren in der Atmosphäre. Das heißt, je später wir handeln, desto drastischer müssen wir den Strukturwandel vollziehen. Das bedeutet andersherum: Wir haben keine Zeit zu verlieren, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Deshalb macht es mich in einer solchen Situation fassungslos, wenn Abgeordnete der CDU, der Berliner Kreis, jetzt Chancen in der Klimaerwärmung sehen.

(Andreas Rimkus [SPD]: Unerträglich ist das!)

Sie stellen eine eisfreie Nordpassage, neue Fischfangmöglichkeiten und Rohstoffabbau in den Vordergrund. Meine Damen und Herren, das ist zynisch angesichts der Dürrekatastrophen und Überschwemmungen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

Das Öl unter dem Nordpol muss im Boden bleiben.

In diesem Monat hat in New York die erste UN-Ozeankonferenz stattgefunden. Die UN-Botschafterin von Mikronesien sagte: „Stirbt der Ozean, sterben wir.“ Ein Wirtschaftssystem, das auf kurzfristigen Profit setzt und die Nachhaltigkeit unserer Lebensgrundlagen nicht berücksichtigt, ruiniert uns und sich selbst. Die Überfischung, die Vermüllung, die Erwärmung der Meere müssen aufhören.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb ist es so wichtig, dass wir hier in Deutschland handeln. Wir haben international durchaus einen guten Ruf, weil wir auf Klimakonferenzen eine positive Rolle spielen. Aber in Deutschland haben wir Stillstand. Wir haben seit zwei Legislaturperioden, von 2009 bis 2016, den CO 2 -Ausstoß nicht mehr reduzieren können. Wir haben ein Plateau. Seit acht Jahren ist nichts mehr passiert. Das geht nicht so weiter. Da helfen die schönsten Reden nichts. Es ist blamabel, dass Deutschland seinen CO 2 -Ausstoß nicht mehr reduziert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Letztes Jahr ist der Klimaschutzplan aufgestellt worden. Das war eine Aufgabe, die aus dem Paris-Beschluss resultierte. Der Plan war am Ende eine Ansammlung von „könnte“, „müsste“, „prüfen“ und „verstetigen“. Am Anfang hat die Bundesumweltministerin richtige Forderungen aufgestellt. Sie hat damals sogar den Kohleausstieg innerhalb von 25 bis 30 Jahren und eine Abgabe für Kohlekraftwerke gefordert. Am Ende aber standen Subventionen von 1,6 Milliarden Euro für Methusalem-Kohlekraftwerke. Das war ein großer Fehler. So können wir nicht weitermachen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Am Ende ist die Politik vor der Demo der IG BCE und dem Braunkohlefreund Laschet eingeknickt. Das können wir nicht weiter so betreiben, weil das am Ende schlimme Folgen für die Menschen in den betroffenen Regionen hat. Wir reden im Zusammenhang mit Großbritannien vom harten oder weichen Brexit. Wir müssen das bei dieser Strukturänderung genauso sehen. Je weniger Zeit wir für den Strukturwandel haben, weil wir am Anfang die Probleme nicht anpacken, desto härter ist dieser Strukturwandel und desto schlimmer ist er für die Betroffenen in den Regionen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen klimaschädliche Subventionen abbauen und dürfen sie nicht permanent erhöhen. Allein in den vier Jahren von 2008 bis 2012, im wesentlichen unter Schwarz-Gelb, sind die umwelt- und klimaschädlichen Subventionen laut UBA von 48 Milliarden Euro auf 57 Milliarden Euro in Deutschland angestiegen. Das sind fast 10 Milliarden Euro in vier Jahren. Das muss ein Ende haben. Wir können nicht auch noch die Klimakrise subventionieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Die Kohle- und Atomkonzerne können sich momentan wirklich nicht über die Entscheidungen der Bundesregierung beklagen. Eine schlecht gemachte Brennelementesteuer ist gerade von den Gerichten kassiert worden. Das kostet uns 6,3 Milliarden Euro plus Zinsen in Höhe von 6 Prozent. – Wo kriegt man eigentlich 6 Prozent Zinsen? Hat der Finanzminister so viel Geld, dass er 6 Prozent Zinsen zahlen kann? – Das hat die Aktienkurse der Atomkonzerne hochschnellen lassen. Das geht in eine falsche Richtung, weil es die falschen Strukturen zementiert. Damit muss wirklich Schluss sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Kanzlerin Merkel hat sich beim Petersberger Dialog klar zum Klimaschutz bekannt. Sie hat gesagt, nichts könne und werde sie bei der Durchsetzung aufhalten. Ich habe mich gefragt, was sie damit eigentlich gemeint hat. Ich kann mich an eine Kanzlerin erinnern, die persönlich nach Brüssel geeilt ist und dort schon beschlossene ehrgeizige Grenzwerte für Pkws aufgeweicht und den Autobauern in Deutschland damit das Zeichen gegeben hat: Macht weiter so, ihr braucht nichts zu ändern. – Das war verheerend.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Seit dieser Zeit wird der Unterschied zwischen Theorie und Praxis beim Spritverbrauch der Autos immer größer. 2009 betrug der Unterschied noch 10 Prozent, mittlerweile sind es 40 Prozent. Das heißt, auch wenn sie es nicht gewollt hat, so war es doch ein Zeichen an die Automobilhersteller: Ihr könnt jetzt anfangen, zu tricksen und zu schummeln. – Das war ein schwerer Fehler, weil dadurch die notwendige Umstrukturierung der Automobilindustrie nicht eingeleitet wurde und weil damit mittelfristig Hunderttausende von Arbeitsplätzen hier gefährdet werden. Das darf in Zukunft nicht mehr sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen Planungssicherheit, was den Kohleausstieg angeht, und wir brauchen eine Verkehrswende und keine vagen Umschreibungen.

Meine Damen und Herren, ich komme an das Ende meiner letzten Rede hier im Bundestag. Ich möchte nach 27 Jahren, die ich als Parlamentarierin und als Ministerin gearbeitet habe, noch einen ganz wichtigen Punkt ansprechen. Ich habe eben mehrfach von Langfristproblemen gesprochen. Ich glaube, ein Problem unserer Politik ist, dass wir viel zu häufig viel zu kurzfristig entscheiden.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Wir befinden uns in Zeiten von vierteljährlich stattfindenden Bilanzpressekonferenzen der Wirtschaft und sozusagen im Dauerwahlkampf, und das gibt den Takt vor. Das ist ein ganz großer Fehler, weil wir immer wieder danach handeln: Das Hemd ist uns näher als die Jacke. Es ist ja noch Zeit. Die Langfristprobleme brauchen wir nicht anzugehen.

Ich kann einfach nur sagen: Ich sehe das mit großer Sorge. Ich habe Kinder, und ich habe Enkelkinder. Ich möchte, dass wir unseren Kindern und Enkelkindern – die meisten von Ihnen haben ebenfalls Kinder und Enkelkinder, und wenn Sie keine haben, kennen Sie Leute, die welche haben – diese Welt so übergeben, wie wir sie selber vorgefunden haben. Wir können nicht den uns nachfolgenden Generationen die Konsequenzen aus den Fehlern, die wir machen, aufbürden. Das geht nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Was mir Hoffnung gemacht hat: Wir haben auch auf diesen Feldern durchaus Erfolge gehabt, und zwar immer dann, wenn wir fraktionsübergreifend, über Legislaturperioden hinweg und unabhängig von Mehrheitsverhältnissen gearbeitet haben. Das war lange Zeit beim EEG so, das war vor zehn Jahren beim Klimaschutz so, und das war in dieser Legislaturperiode bei der Suche nach einem Atommüllendlager der Fall. Insbesondere den Abgeordneten, die dabei mitgemacht haben und die in ihren eigenen Fraktionen – häufig anders als wir Grünen – wirklich harte Arbeit leisten mussten, möchte ich meinen ganz großen Dank aussprechen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der Linken)

Ansonsten möchte ich mich dem anschließen, was Elisabeth Scharfenberg heute Morgen gesagt hat. Sie hat all den Mitarbeitern gedankt. Mir fehlt dazu jetzt die Zeit. Darüber hinaus fand ich es gut, dass diejenigen, die nicht meiner Meinung waren, mir trotzdem zugehört haben. Auch dafür herzlichen Dank! Ich fand es gut, dass ganz viele der Kollegen meiner Meinung waren und dass wir gemeinsame Projekte auf den Weg gebracht haben, die sehr viel Spaß gemacht haben. Dass so etwas auch möglich war, war gerade für mich als Oppositionsabgeordnete gar nicht so schlecht.

Ich möchte mich natürlich insbesondere bei den Mitgliedern des Umweltausschusses bedanken. Sie haben mir die Arbeit als Vorsitzende erleichtert. Die Arbeit mit Ihnen war wirklich sehr angenehm.

Ich möchte mich auch beim Ministerium und bei der Ministerin bedanken, weil wir gerade auf internationalen Konferenzen wirklich sehr gut zusammengearbeitet haben und auch erreicht haben, Deutschland dort gut zu repräsentieren.

Also herzlichen Dank allen, die in diesem Sinne hier ihre Arbeit geleistet haben. Ich wünsche für die Zukunft nachhaltige und weise Entscheidungen zum Wohle unserer Bevölkerung.

Ich habe noch eine Info – sie wird viele von Ihnen interessieren –: Auch wenn ich gehe, werden die Bundestagsbienen, wenn Sie es wollen, hierbleiben können. Insofern: Machen Sie es weiterhin gut.

Danke schön.

(Anhaltender Beifall im ganzen Hause – Die Abgeordneten des Bündnisses 90/Die Grünen, der CDU/CSU und der SPD erheben sich)

Vielen Dank, Bärbel Höhn. Wir danken von ganzem Herzen. Ich danke im Namen des ganzen Hauses einer streitbaren Kämpferin gegen die Klimakrise, einer leidenschaftlichen Politikerin für Umwelt, für Naturschutz, für die bäuerliche Landwirtschaft und einer sehr parteiischen Ausschussvorsitzenden – ich weiß, wovon ich rede –, parteiisch für die Interessen der Mitglieder des Umweltausschusses in diesem Haus. Vielen herzlichen Dank! Alles, alles Gute! Wie hat Trude Herr gesungen:

Niemals geht man so ganz  Irgendwas von mir bleibt hier ...

Es bleibt viel hier. Wir werden uns wahrscheinlich in Bonn bei der großen UN-Klimakonferenz im November dieses Jahres wiedersehen. Bärbel, vielen Dank und alles Gute!

(Beifall)

Ganz schön wehmütig heute. Ich muss wohl Taschentücher verteilen.

Nächste Rednerin: Dr. Anja Weisgerber für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7122204
Wahlperiode 18
Sitzung 240
Tagesordnungspunkt Klimaschutzpolitik
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