22.06.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 240 / Zusatzpunkt 6

Christian PetrySPD - Aktuelle Stunde zur Europapolitik der Bundesregierung

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Marschall, danke für Ihren Redebeitrag, aber ich habe selten so viel Unsinn gehört wie in den letzten fünf Minuten.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matern von Marschall [CDU/CSU]: Die linken Kollegen klatschen besonders laut!)

Das kann man an ein paar Beispielen festmachen.

Eines vorweg: Wenn Sie in Europa so auftreten, wie Sie hier gerade aufgetreten sind, dann muss ich Herrn Hofreiter recht geben. Das geht so nicht. Was Sie hier vermitteln, ist keine Partnerschaft. Sie legen ein Sendungsbewusstsein an den Tag, die deutschen Interessen, die wir vertreten wollen, in den Vordergrund zu stellen. Mit gleicher Augenhöhe und Partnerschaft hat das gar nichts zu tun.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matern von Marschall [CDU/CSU]: Sie haben nicht zugehört!)

Sie haben die Eigenmitteldebatte als „Sozialisierung der Schulden“ – ich habe dieses konservative Schlagwort schon ein paar Mal gehört – bezeichnet. Eigenmittel sind dafür da, Aufgaben der Europäischen Union zu erledigen; das ist damit gemeint. Die Europäische Union soll neue Aufgaben wahrnehmen. Sie soll die Außengrenzen sichern. Sie soll die Flüchtlingsproblematik in den Griff bekommen. Sie soll viele soziale Aufgaben übernehmen. Dazu ist Geld notwendig, und dafür haben wir zurzeit ein Umlagesystem. Wenn man wie der französische Präsident darüber nachdenkt – auch Martin Schulz denkt darüber nach –, dafür Eigenmittel einzusetzen, dann geht es nicht um Schulden, sondern um die Frage der Aufgaben­erledigung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie Ihre Propaganda fortsetzen wollen, dann halte ich das nicht für zielführend, sondern eher für schäbig. Tut mir leid!

Aber zurück zum Thema. Hinter dem Titel der Aktuellen Stunde verbirgt sich ja ein ganzer Bauchladen. Statt uns über Griechenland, das dritte Paket, die 8,5 Milliarden Euro, zu unterhalten und darüber, dass wir dort auf einem guten Weg sind, führen wir eine Scheindebatte über den IWF, und es ist zusehends eine Scheindebatte. Die Refinanzierung über den IWF ist für viele Länder teurer als die Refinanzierung am europäischen Kapitalmarkt; das wissen wir. Wir haben gestern gehört, dass Portugal für 3 Prozent zehnjährige Anleihen bekommt und beim IWF für 5 Prozent und dass man die Kredite dort ablösen will. Wir müssen Griechenland in die Lage versetzen, sich in diesem Sinne selbst zu refinanzieren. Das ist viel wichtiger, als eine Scheindebatte über den IWF zu führen. Es ist gut, dass der IWF mit im Boot bleibt, auch wenn er sich etwas ausgeklinkt hat; aber langfristig gesehen bin ich persönlich der Auffassung, dass wir die Probleme europäisch lösen müssen. Das ist mir ganz klar.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dazu gehört, die Volkswirtschaft entsprechend wiederaufzubauen. Nachdem nun beim Staatshaushalt viel passiert ist und die Sanierung angelaufen ist, müssen Beschäftigung und Wachstum im Mittelpunkt stehen, um Griechenland voranzubringen. Das bezieht sich aber auf alle südeuropäischen Länder.

Macron wurde genannt. Ein weiterer Punkt ist die Weiterentwicklung der Europäischen Union. In der Zeit vom 17. Mai wird kommentiert:

Für einen europäischen Finanzminister muss die Eurozone zu einer echten Fiskal- und Transferunion werden – ähnlich wie sie in Deutschland und Österreich bereits existiert.

Das ist eine Forderung, die zu einer institutionellen Reform führen würde, und das ist letztlich auch das, was Macron angekündigt hat, nämlich dass man darüber nachdenkt. Aber das kann nicht nach der Marke von Merkel und Schäuble sein, nämlich dass wir nur mit intergouvernementalen Vereinbarungen arbeiten und keine echten Kompetenzen des Parlamentes und keine echte demokratische Kontrolle haben; denn nur so wird ein Schuh draus, nicht anders.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte noch auf einen saarländischen Europaabgeordneten, Josef Leinen, zu sprechen kommen. Josef Leinen hat den europäischen Vertrag mit ausgearbeitet; 2004 ist er vorgelegt worden. Leider ist die europäische Verfassung nicht ratifiziert worden. Dort müssen wir wieder ansetzen. Der Vertrag von Lissabon von 2009 hat das Ganze weiterentwickelt, aber die Fehler sind immer noch da. Der Europäische Rat ist mit seinem Einstimmigkeitsprinzip der Bremsklotz in Europa. Die Zusammenarbeit zwischen Kommission, Rat und Parlament funktioniert, aber letztlich sind die vielen nationalen Interessen im Europäischen Rat – das werden wir jetzt wieder erleben – die Ursache dafür, dass wir in weiten Teilen Stillstand haben. Das wiederum können wir jetzt gemeinsam mit unserem französischen Partner versuchen zu überwinden. Das sollte unser Ansporn, unsere Aufgabe sein.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ein letztes Thema ist der Brexit; er steht ebenfalls im Titel dieser Aktuellen Stunde. Wir sollten jetzt nicht in das Spiel verfallen: mein Corbyn, dein Corbyn. Wessen Corbyn ist er denn nun? Ist er der Corbyn der Linken oder der der Sozialdemokratie? – Ich bin froh, dass sein soziales Programm in Großbritannien gut angekommen ist. Wir als SPD haben auch ein soziales Programm, und das spornt uns selbstverständlich an.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich habe an der Überreaktion von Herrn Ulrich gemerkt, dass Sie davor Angst haben, dass wir dies nun übernehmen. Ich habe es gemerkt, weil Sie immer lauter und lauter argumentiert haben. Letztlich sind wir auf einem guten Weg.

Ein letzter Satz zu Europa. Ich bin froh, wenn wir gemeinsam an dieser Europäischen Union arbeiten, wenn wir gemeinsam die Freiheit und die Freizügigkeit verteidigen und ausbauen. Insofern ist das heute eine gute Debatte, um daran zu erinnern, dass wir gemeinsam Europa stark erhalten und machen müssen. In diesem Sinne: Glück auf!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächstem erteile ich dem Kollegen Alexander Radwan für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7122252
Wahlperiode 18
Sitzung 240
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zur Europapolitik der Bundesregierung
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