22.06.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 240 / Tagesordnungspunkt 10

Renate KünastDIE GRÜNEN - Änderung des Grundgesetzes (Parteienfinanzierung)

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, wenn wir die Hand an das Grundgesetz legen, dann obliegt es uns, wirklich seriös zu arbeiten, mit kühlem Kopf und klarem Verstand, weil es schließlich um die Prinzipien der Demokratie geht. Ihre Vorlage entspricht diesen Ansprüchen nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wissen Sie, zugegebenermaßen ist die NPD ein Feind der Verfassung. Sie ist auf der anderen Seite aber auch ein politischer Zwerg – das wissen Sie. Sie suchen sich diesen politischen Zwerg isoliert aus dem Gesamtpaket heraus – als Teil von Rechtsextremismus, Rechtsradikalität und Rechtsterrorismus in dieser Gesellschaft – und wollen der Partei mal eben per Verfassungsänderung – ich sage: mal eben per Verfassungsänderung – das Geld streichen und suggerieren, damit wäre das Problem gelöst. Es ist damit aber nicht gelöst.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich habe eher den Eindruck, es geht um die Schmach der Innenminister, die zweimal groß die Notwendigkeit eines Parteiverbots begründet haben, wozu das Verfassungsgericht am Ende aber zweimal Nein gesagt hat.

Meine Damen und Herren, Sie suggerieren damit, dass das Problem aus der Welt geschafft wird, wenn diese 1 Million Euro – oder demnächst noch weniger – nicht an diese Partei gehen. Aber ich sage Ihnen: Wir haben Pegida, wir haben die Nach-Lucke-AfD. Sie können uns doch nicht ernsthaft verkaufen, dass damit jetzt ein Problem zu lösen wäre – und dann noch in diesem Tempo. Ich finde, in so einer Situation braucht man einen wirklich kühlen Kopf und Zeit; sonst kommen Fehlentscheidungen dabei heraus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich will zitieren, was Herr Voßkuhle in seinen einleitenden Worten gesagt hat; es taucht später noch einmal im Urteil an ein oder zwei Stellen auf. Er hat am 17. Januar gesagt:

Ob in einer solchen Situation … andere Reaktionsmöglichkeiten sinnvoll sind, wie zum Beispiel der Entzug der staatlichen Finanzierung, hat … der verfassungsändernde Gesetzgeber zu entscheiden.

Meine Damen und Herren, das Gericht hat aber nicht gesagt, dass sich daraus ein Zwang ergibt; es hat uns kein Datum für irgendetwas gesetzt, sondern nur gesagt, dass es abseits der Frage des Verbots oder Nichtverbots mildere Mittel geben könnte, über die wir entscheiden könnten. Das ist aber keine Aufforderung, dann mal eben zum Ende der Legislaturperiode das Ganze zu schleifen.

Wir haben in unserer Verfassung, in Artikel 20 Absatz 2, sozusagen als Grundlage unserer Demokratie die freie und gleiche Willensbildung des Volkes. Dazu gehört Artikel 21, der besagt: „Die Parteien“ – in Mehrzahl, als Antwort auf das, was in diesem Haus, im Reichstag, unter Herrschaft der NSDAP einmal stattfand, nämlich die Ausgrenzung und Verhaftung – „wirken bei der … Willensbildung … mit.“ Bei allem Ärger über die NPD: An dieser Stelle machen Sie eine Lex NPD. Ein Einzelfallgesetz sollte es bei der Verfassung nicht geben. Wir sollten uns stattdessen überlegen, was so eine Änderung eigentlich im historischen Kontext bedeutet. Man kann ihr nicht zustimmen,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

weil Artikel 21 tatsächlich Teil unserer Demokratie ist; er ist wirklich die Basis. Auf dieser Grundlage organisieren sich die Bürger.

Sie haben gesagt, die NPD erfülle verfassungsfeindliche Kriterien. Das Verfassungsgericht hat aber übrigens auch gesagt, es brauche den präventiven Schutz durch ein Verbot nicht, sondern die Kraft der freien Auseinandersetzung. Da kann ich Ihnen sagen: Für die Demokratie in diesem Land haben zum Beispiel – neben vielen anderen – die Bürgerinnen und Bürger in Leipzig im Kampf gegen Legida mehr getan, als Sie es heute mit dieser Regelung tun;

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

denn sie haben sich immer wieder aufgemacht und gekämpft. Das ist die Kraft der freien Auseinandersetzung. Diesen Rechtsextremismus lassen wir uns nicht gefallen, meine Damen und Herren.

Sie setzen meines Erachtens ein fatales Zeichen mit Blick auf die Demokratie. Sie wollen mal einfach ein Grundprinzip abschaffen? Wir haben Hate Speech, wir haben neue Parteien, neue Bewegungen. Die Frage lautet doch: Wie können wir in der Demokratie mit diesen Dingen umgehen, wie können wir sie bekämpfen? Nicht mit einer Lex NPD.

Ich finde, wir bräuchten in der nächsten Legislaturperiode eine Kommission, die sich ausführlich mit dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes befasst, die sich mit dem Internet und dem Rechtsextremismus dort befasst, die sich mit den Grenzen und dem Umfang des Parteienverbots befasst, die sich bei allem Verdruss, den die Menschen über Parteiendemokratie äußern – manche behaupten, die Parteien würden sich den Staat zur Beute machen –, mit der Frage befasst, wie man im 21. Jahrhundert Demokratie gestaltet, auch über das Internet. Wer hier wählen darf, wenn er seinen Lebensmittelpunkt hier hat, ob Jüngere als 18-Jährige wählen dürfen – das alles müssten wir diskutieren, Sie tun es aber nicht. Das würde Sinn machen und wäre angemessen.

Lassen Sie mich einen letzten Satz sagen. Schauen Sie einmal: So sieht der Artikel 21 Grundgesetz heute aus.

(Die Rednerin hält ein Schriftstück hoch)

Im Absatz 1 – „Die Parteien wirken … mit“; hier in grüner Schrift – steht das Positive, Absatz 2 – hier in roter Schrift – enthält die Verbotsregelung. 38 Wörter hat der erste Absatz. Man sieht: Das Grüne steht in einem gewissen Verhältnis zum Roten, dem Verbot. Wenn Ihre Änderungen durchkommen, bleibt das Grüne, das Positive, zur Parteiendemokratie bestehen, aber aus 38 Wörtern im zweiten Absatz werden bei einem Verbot 109 Wörter. 38 Wörter für die Demokratie, 109 Wörter dagegen. Das sieht dann so aus.

(Die Rednerin hält ein weiteres Schriftstück hoch)

Das hat eine Schieflage.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich kann Ihnen das auch auf das digitale Zeitalter bezogen erläutern: 275 Zeichen für die Demokratie, 855 Zeichen für Verbotsregeln.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie sind doch die Verbotspartei! – Burkhard Lischka [SPD]: Dann müsstest du den ganzen Absatz 2 streichen!)

Kollegin Künast.

Mein letzter Satz. – Es braucht einen aufrechten Gang unsererseits, einen breiten Kampf gegen Rechtsextremismus, eine gute Finanzierung.

Zu der 1 Million Euro, die Sie meinen der NPD entziehen zu können:

(Burkhard Lischka [SPD]: 1 Million für Nazis fordern Sie!)

Darüber müsste das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Schauen wir einmal, ob Sie entsprechend handeln würden.

Kollegin Künast.

Machen Sie sich aber nichts vor: Diese Million geht doch nicht in die Projekte, sondern die geht an eine andere Partei, deren Namen Sie kennen. Sie müssen sich schon dazu bekennen, Demokratie durchzuhalten und neues Geld lockerzumachen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das Wort hat der Kollege Helmut Brandt für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7122268
Wahlperiode 18
Sitzung 240
Tagesordnungspunkt Änderung des Grundgesetzes (Parteienfinanzierung)
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