22.06.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 240 / Tagesordnungspunkt 12

Xaver JungCDU/CSU - Inklusive Bildung für alle

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie wir alle wissen, beginnt Politik mit dem Betrachten der Wirklichkeit. Wer sich die gesellschaftliche Entwicklung der vergangenen Jahre anschaut, sieht erfreuliche Fortschritte hin zu mehr Inklusion. Vielen Dank an alle, die dabei mithelfen.

Inklusion ist aber inzwischen bei Schülern, Eltern und Lehrern auch ein sehr emotionsgeladenes Thema; denn teilweise macht sich im Bildungsbereich ein unseliger Aktionismus auf Kosten der betroffenen Kinder und Jugendlichen breit. Wie schaut sie denn in der Praxis aus, die oft übereilte, zwanghafte inklusive Beschulung von Schülerinnen und Schülern in Regelschulen? Wir erhalten inzwischen jede Menge negativer Erfahrungsberichte aus den Ländern, und das Schlimme ist: Das alles war vorhersehbar und vorhergesagt; Warnungen wurden in den Wind geschlagen.

Kinder mit starken Verhaltensauffälligkeiten haben keine Rückzugsräume mehr und belasten deshalb mit extremen Verhaltensweisen ihre Mitschüler und Lehrer. Sie bekommen nicht die notwendige zusätzliche Betreuung, sondern werden mit 25 weiteren Kindern in einer Klasse unterrichtet. Kinder, die mit ihren Mitschülern nur begrenzt kommunizieren können, werden ausgeschlossen und verbringen die Pause allein auf dem Schulhof. Andere lernbehinderte Schüler sind frustriert, weil ihnen die Klassenkameraden im Leistungsvergleich immer voraus sind. Lehrerinnen und Lehrer sind schlichtweg überlastet, weil die notwendige permanente Doppelbesetzung nicht erfolgt. Dafür vorgesehenes Personal wird stattdessen oft für Krankheitsvertretungen eingesetzt, ich sage: missbraucht.

Kurzum: Gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht. Hier wird ein ideologischer Ansatz, der in der Theorie sehr schön erscheint, durch mangelnde Ressourcen in der Praxis zu einem negativen Szenario. Wer so Inklusion betreibt, muss sich über Akzeptanzprobleme nicht wundern.

(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer so redet, auch nicht!)

Wer Förderschulen so wie Sie, Herr Mutlu, schließt, qualitativ gleichwertige Angebote in Regelschulen aber nicht bereithält, der betreibt das Gegenteil von Inklusion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wer quantitative Standards statt qualitativer Standards als Vergleichsmaßstab nimmt, der betreibt schlechte Inklusion, und wer sich wie Sie aus politischer Ideologie heraus

(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie betreiben Ideologie, nichts anderes!)

einem realistischen Blick auf diese Herausforderung verschließt, der betreibt das Gegenteil von gelingender Inklusion. Was Eltern, Schüler und Lehrer davon halten, hat sich bei der NRW-Wahl gezeigt: gar nichts. Die Regierung wurde auch deshalb abgewählt.

Wir hingegen wollen eine gelingende Inklusion. Das schließt ein, dass jedes Kind, welches nicht die gleichen Chancen auf eine freie geistige Entfaltung wie seine Mitschüler hat, auf eine Schule gehen darf, die ihm ein unbeschwertes Leben ermöglicht und keinen täglichen Kampf bedeutet. Wie die Erfahrung zeigt, ist dies eben nicht immer die Regelschule mit ihren Klassenverbänden; denn es gibt zum Beispiel Gehörlose, die sich lieber mit anderen Gehörlosen in Gebärdensprache unterhalten, statt isoliert auf dem Pausenhof zu stehen. Das müssen wir respektieren, und dem müssen wir Rechnung tragen.

Für eine gelingende Inklusion braucht es ein System, in dem es die Wahl zwischen allgemeinen Schulen und spezialisierten Förderschulen gibt. Diese Förderschulen garantieren eine liebevolle und individuelle Behandlung für diejenigen, die nicht zwangsinkludiert werden wollen. So sehen das übrigens auch die Lehrerinnen und Lehrer. Eine Forsa-Umfrage hat ergeben, dass 97 Prozent fordern, dass Förderschulen erhalten bleiben. Die Jugendlichen sehen das laut ihrer Erklärung von Lissabon genauso. Es geht darum, jeden Schüler bestmöglich individuell zu fördern und zu fordern, und zwar am Lernort seiner Wahl. Dafür stehen wir als CDU/CSU.

Wie können wir das verwirklichen? Es braucht mehr Ressourcen seitens der Länder, und es braucht einen realistischen Blick auf die Chancen und Herausforderungen. Dazu gehört, die Bildungsziele am einzelnen Schüler zu orientieren. Das hat übrigens auch die Deutsche Kinderhilfe bei einem von mir organisierten Treffen zum Thema Dyskalkulie und Legasthenie so gesehen; Frau Dr. Hein, Sie waren dabei. Es wurde ausdrücklich gewünscht, dass eine gesonderte Förderung möglich bleibt.

Bei alldem müssen wir behutsam vorgehen. Schritt für Schritt muss evaluiert werden, ob wir noch auf dem richtigen Weg sind. Wir haben bereits verschiedene gute Maßnahmen auf den Weg gebracht. Zahlreiche Forderungen aus dem Antrag haben wir bereits aufgenommen. Wir sind dabei, diese umzusetzen. Wir fördern als Bund die schrittweise Umsetzung der Behindertenrechtskonvention im Rahmen des Nationalen Aktionsplans.

(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit acht Jahren warten wir darauf!)

Der Bund betreibt Forschungsförderung und initiiert die Weitergabe der Erkenntnisse an alle Beteiligten. Der Bund finanziert und organisiert unter anderem die Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte, die sich ausdrücklich Fragen inklusiver Bildung im Bereich der frühen Bildung widmet. Seit Beginn dieses Jahres regelt das neue Bundesteilhabegesetz Fragen der Früh­erkennung und Frühförderung für Kinder mit Behinderungen. Berufsbildungsgesetz und die Handwerksordnung sind schon lange inklusiv aufgestellt. Davon abgesehen hat der Bund die Länder im Bildungsbereich mittlerweile erheblich entlastet, damit diese selbst tätig werden.

Wir gehen also schrittweise und mit Augenmaß vo­ran, kontinuierlich, aber mit Bedacht. So werden wir ein gutes System in ein noch besseres System überführen. Dafür stehen wir als CDU/CSU.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7122306
Wahlperiode 18
Sitzung 240
Tagesordnungspunkt Inklusive Bildung für alle
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