Bettina Bähr-LosseSPD - Effektivere und praxistauglichere Strafverfahren
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Heute soll der Bundestag eines der größten Gesetzesreformpakete dieser Legislaturperiode beschließen. Der vorliegende Entwurf sieht vor, das Gesetz zur effektiveren Ausgestaltung des Strafverfahrens mit den Gesetzen zur Änderung des Strafgesetzbuchs, der Strafprozessordnung, des Jugendgerichtsgesetzes und weiterer Gesetze zu verbinden und um Regelungen zur Schaffung von Rechtsgrundlagen für die Onlinedurchsuchung und die Quellen-Telekommunikationsüberwachung zu ergänzen.
Ich gebe zu: Wo viel Licht ist, da ist auch Schatten. Man sollte vielleicht überdenken, ob es immer sinnvoll ist, solche großen Gesetzespakete zu schnüren und im Gesetzgebungsverfahren Einzelpakete als Junktim zu behandeln, oder ob es nicht transparenter wäre, die jeweiligen Gesetzentwürfe einzeln zu behandeln. Nichtsdestotrotz sehe ich in den nun vorliegenden Gesetzentwürfen eine überwältigende Leistung an parlamentarischer Arbeit. Jeder einzelne Gesetzentwurf nimmt gezielt Verbesserungen vor, sei es im Bereich der Strafprozessordnung oder sei es im Bereich der Strafverfolgung. Zum Ende der Legislaturperiode wird damit zum Abschluss gebracht, was sich die Koalition am Anfang vorgenommen hat.
Das Vorhaben geht auf die Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag zurück, das allgemeine und auch das Jugendstrafverfahren effektiver auszugestalten. Der Gesetzentwurf basiert auf der Arbeit einer eigens eingesetzten Expertenkommission.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur wurde nichts übernommen!)
Im Anschluss an die ersten Lesungen der Entwürfe gab es intensive Beratungen, Berichterstattergespräche, Gespräche auf Fraktionsvizeebene und auch Gespräche im Koalitionsausschuss, und es gab zu allen – ich betone: zu allen – Aspekten öffentliche Anhörungen:
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles für die Katz!)
zum Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens, zur geplanten Änderung des Strafgesetzbuches, zur geplanten Änderung der Strafprozessordnung, des Jugendgerichtsgesetzes und weiterer Gesetze. Auch die sogenannte Quellen-TKÜ und die Onlinedurchsuchung wurden intensiv erörtert. Insbesondere die Bedenken kritischer Sachverständiger sind in unsere Beratungen eingeflossen. Einige stellen jetzt die Behauptung auf, dieses Gesetz oder Teilaspekte davon seien quasi über Nacht und durch die Hintertür durchs Parlament gedrückt worden.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Montag!)
Diejenigen, die das tun, verkennen aber, dass es sich um einen fast vierjährigen Prozess handelt,
(Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Hört! Hört! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beweisen Sie das mal!)
an dem ich selber leider nur einige Monate teilnehmen konnte.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Hierzu eine andere Auffassung zu vertreten, ist selbstverständlich legitim. Ich halte den Umstand, dass bis kurz vor Ende einer Legislaturperiode um einzelne Positionen gerungen wird, aber für nachvollziehbar und legitim, wenn es um den schmalen Grat zwischen der Durchsetzung des Strafanspruchs des Staates einerseits und der Wahrung und Gewährleistung von Grundrechten andererseits geht.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Mit einem Nacht-und-Nebel-Gesetz hat das aber rein gar nichts zu tun.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber mit einem Hauruckverfahren!)
Nun zum Inhalt. Ich möchte nur die wichtigsten Aspekte herausstellen.
Ein Teil des Paketes ist die sogenannte StPO-Reform, die ein ehrgeiziges und wichtiges Ziel verfolgt, nämlich die Vereinfachung und Beschleunigung von Strafverfahren in allen Stadien.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist die geblieben?)
Es geht hier etwa um Ablehnungsverfahren bei Befangenheitsgesuchen, die Möglichkeit einer Fristsetzung für Beweisanträge und die audiovisuelle Dokumentation von Beschuldigtenvernehmungen, um nur drei Beispiele zu nennen. Der Gesetzgeber begegnet ja häufig der Kritik, dass viel zu viel Zeit zwischen Straftat und Gerichtsverfahren vergeht. Diesem Problem soll im Gesetzentwurf auf der Ebene der Strafprozessordnung begegnet werden.
Ein zweites Ziel, das mit der Reform der Strafprozessordnung verfolgt wird, ist die Anpassung an die rasante technische Entwicklung der letzten Jahre. Hierzu ein kurzer Blick in die Geschichte der Spurensicherung und Strafverfolgung: 1897 überführte Scotland Yard den ersten Täter anhand seiner Fingerabdrücke. Fingerabdrücke als Beweismittel wurden erstmals 1896 in Argentinien und 1901 in Großbritannien vor Gerichten zugelassen. In Großbritannien und den USA ist der genetische Fingerabdruck in Strafprozessen als Beweismittel zur Identifizierung oder zum Ausschluss eines Tatverdächtigen seit 1987 zugelassen. 1997 ist in Deutschland erstmals eine rechtliche Regelung der Voraussetzungen für den Einsatz des genetischen Fingerabdrucks in Kraft getreten.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht hier ja gar nicht zur Debatte!)
Das liegt nun aber auch schon wieder 20 Jahre zurück, und die Möglichkeiten der DNA-Analyse haben sich rasant weiterentwickelt.
Die Forensik hat wesentliche Fortschritte auf dem Gebiet der DNA-Analyse erzielt. Augen-, Haar- und Hautfarbe einer Person lassen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit bestimmen. Denjenigen, die meinen, dass dadurch eine Stigmatisierung bestimmter Gruppen erfolge, halte ich entgegen, dass zahlreiche andere Verdächtige demgegenüber entlastet werden,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
die vielleicht vorher unter Generalverdacht gestanden haben. Ist der Täter oder die Täterin blond und blauäugig, werden nun einmal die Schwarzhaarigen und die Braunäugigen entlastet. Das hat nichts mit Diskriminierung zu tun. Im Übrigen wäre eine Öffentlichkeitsfahndung ohne klare Benennung von Äußerlichkeiten wenig erfolgversprechend.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Drittens wollen wir unseren Strafverfolgungsbehörden mit den Regelungen zur Quellen-TKÜ und zur Onlinedurchsuchung ermöglichen, darauf reagieren zu können, dass auch Kriminelle neue technische Möglichkeiten nutzen. Die vorgeschlagenen Regelungen halten sich streng an die Vorgaben, die auch bei der Wohnraumüberwachung gelten. Traf man sich vor 20 Jahren noch in einer Wohnung, um kriminelle oder terroristische Aktivitäten zu planen, kann man sich heutzutage in einem Chatroom treffen. Der Gesetzgeber muss hierauf eine Antwort finden. Strafverfolger dürfen Kriminellen nicht hinterherhinken.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Oft ist zu hören, dass die Polizei schon jetzt in der Lage sei, die Kommunikation der Bürgerinnen und Bürger zum Zwecke der Verhütung terroristischer Aktivitäten zu überwachen und entsprechend auszuwerten. Das stimmt aber gar nicht. Besonders schwierig wird es für die Ermittler, wenn es um Datenmaterial geht, das durch sogenannte Messengerdienste ausgetauscht wurde. Wenn Behörden keinen Zugriff auf diese Daten haben, entstehen in der Folge Räume, in denen Strafverfolgung unmöglich ist. Das ergibt sich dann von selbst.
Unser Ziel muss also sein, die Behörden überhaupt erst in die Lage zu versetzen, ermitteln zu können. Die technische Entwicklung erlaubt uns dies jetzt erfreulicherweise. Deshalb treten wir mit unserem gemeinsamen Gesetzentwurf dafür ein, dass es künftig eine gesetzliche Regelung gibt, auf deren Grundlage besonders schwere Straftaten durch den Einsatz der sogenannten Quellen-TKÜ verfolgt werden können. Dabei möchte ich einen Aspekt betonen, der uns besonders wichtig ist. Diese Form der Überwachung, die vor der Verschlüsselung von Daten ansetzt, muss den Vorgaben genügen, die das Bundesverfassungsgericht in seinem BKA-Urteil im letzten Jahr aufgestellt hat. Die entworfene Regelung berücksichtigt also insbesondere den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, ist begrenzt auf den Schutz hinreichend wichtiger Rechtsgüter und gewährleistet dabei auch den Schutz Dritter.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU])
Frau Kollegin, denken Sie an die Zeit und kommen Sie zum Schluss.
Ich überspringe jetzt einfach einen Teil.
Ja, bitte bis zum letzten Satz.
(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD)
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf geben wir unserer Justiz Mittel an die Hand, um auf die Herausforderungen der Gegenwart überhaupt reagieren zu können. Ich bitte deshalb um Unterstützung.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Jörn Wunderlich für die Fraktion Die Linke das Wort.
(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Am besten bis zum letzten Satz!)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7122495 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 240 |
Tagesordnungspunkt | Effektivere und praxistauglichere Strafverfahren |