22.06.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 240 / Tagesordnungspunkt 14 + 37f

Rita Hagl-KehlSPD - Pestizidreduktion in der Landwirtschaft

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lebensmittelsicherheit ist wohl eine der wichtigsten und dringendsten Aufgaben des Verbraucherschutzes. Es stimmt, dass wir mehr Sicherheit und mehr Schutz der Umwelt und der Gesundheit durch innovative Landwirtschaft, technologische Entwicklungen und strenge Regularien in Deutschland erreicht haben. Trotz dieses Fortschritts müssen die stetig steigenden Ansprüche der Verbraucher berücksichtigt werden. Sie wollen gesunde und qualitativ hochwertige Lebensmittel. Der Verbraucher will auch nachhaltige und umweltschonende Produktionsweisen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Und billiger!)

Eine Studie bestätigt, dass 60 Prozent der Deutschen durch die Rückstände beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln beunruhigt sind. Es ist also nicht so, wie es der Herr Staatssekretär vorhin angedeutet hat, dass wir erst die Menschen verunsichern.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Ansprüche sind auch ein Schwerpunkt der Arbeit der sozialdemokratischen Agrarpolitik. Wir wollen die Verbraucherinnen und Verbraucher schützen, wir wollen aber auch eine nachhaltige Landwirtschaft fördern, und wir wollen gesunde und qualitativ hochwertige Lebensmittel, die in Deutschland wettbewerbsfähig produziert werden können. Außerdem ist für uns die Biodiversität natürlich ein wichtiger Faktor, der nicht zu vernachlässigen ist.

Wie ist jetzt die Situation? Wir haben wirklich einen intensiven Einsatz von Pestiziden. Wir haben überschrittene Höchstrückstandswerte in Gewässern. Die Kosten trägt der Verbraucher, der für sein Trinkwasser entsprechend mehr bezahlen muss. Wir haben überschrittene Höchstrückstandswerte in Lebensmitteln. Auch wenn die Rückstandsschwellen hochgesetzt werden, ist das nicht zu vernachlässigen. Wahrscheinlich hätten wir dann, wenn das nicht passieren würde, noch viel höhere Rückstandswerte. Wir haben Schäden an Bienen und Wirbeltieren. Wie die Kollegin Frau Dr. Tackmann bereits gesagt hat, ist die Biene eines der wichtigsten Tiere auch in der Landwirtschaft; ich glaube, sie wird in Deutschland als drittwichtigstes angesehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Deshalb dürfen wir die Gesundheit der Bienen nicht gefährden. Die Biene ist aber nicht nur durch die Varroamilbe gefährdet, sondern die Tiere, die dann eben schon geschwächt sind, sterben viel leichter an der Varroamilbe. Ich möchte keine Zustände wie in China, dass wir dann mit irgendwelchen Stäbchen umherlaufen und die Bäume besamen müssen.

(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Blüten bepinseln!)

– Ja, Blüten bepinseln, okay.

Wir haben eine steigende Abnahme der biologischen Vielfalt in Deutschland. Das ist wirklich sehr erschreckend.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Deswegen ist der Pflanzenschutzmitteleinsatz dringend zu reduzieren.

Wie kann man das tun? Man muss wieder vermehrt auf ackerbauliche Alternativen setzen,

(Beifall des Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD])

und diese Alternativen – auch wenn sie mehr kosten als der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln – werden zum Beispiel auch vom JKI, vom Julius-Kühn-Institut, empfohlen. Die konventionellen Pestizide sollen nach Möglichkeit – diese Möglichkeiten bestehen oft – durch biologische Pflanzenschutzmittel ersetzt werden. Wir brauchen eine konsequente Umsetzung und Weiterentwicklung des bereits vorher genannten Nationalen Aktionsplans zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln und den Umgang damit. Bisher sind die Ergebnisse noch sehr spärlich. Aber daran muss man konsequent weiterarbeiten. Wir brauchen eine stärkere und gezielte Förderung von sicheren Alternativen. Dafür müssen die Fördermittel bereitstehen. Da nehmen wir den Herrn Staatssekretär gern beim Wort, der gesagt hat: Es gibt genügend Fördermittel. Wir brauchen auch eine Ausweitung der ökologisch bewirtschafteten Anbauflächen. Der Herr Minister hat einmal das 20-Prozent-Ziel in den Raum gestellt. Ich habe noch nicht bemerkt, dass wir es zum Ende der Legislaturperiode erreicht haben. Also sind wahrscheinlich die Anstrengungen noch zu gering.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Hier stimme ich auch nicht mit der Pressemitteilung vom Chef des Bayer-Konzerns, Herrn Baumann – es geht auch um Monsanto und Bayer –, überein, der sagt: Durch die ökologische Produktion können wir die Welt nicht mehr ernähren. – Das ist für mich – tut mir leid – geringer Schwachsinn;

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

denn wir müssen die Welt nicht ernähren, sondern wir müssen die anderen Länder befähigen, sich selbst zu ernähren. Es kann nicht alles nur von Deutschland ausgehen, sondern wir brauchen auch Produktion in anderen Ländern.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Mit einem 20-Prozent-Ziel wird die Welternährung bestimmt nicht gefährdet, aber wir hätten viel für unser Land erreicht.

Positiv zu bewerten ist auch das Umdenken, das in der Gesellschaft und in der Wirtschaft sowie in der Agrarpolitik bereits stattfindet. Die EU-Kommission beabsichtigt, drei der meistverwendeten Neonikotinoide zu verbieten – ein Schritt in die richtige Richtung. Das EU-Parlament hat beschlossen, dass Pestizide auf ökologischen Vorrangflächen nicht mehr verwendet werden dürfen. Da stimme ich auch nicht mit dem Herrn Staatssekretär überein: Für mich ist es ein Widerspruch in sich, wenn man auf ökologischen Vorrangflächen, für die es Fördermittel gibt, Pflanzenschutzmittel, Pestizide ausbringt.

(Ingrid Pahlmann [CDU/CSU]: Eiweißproduktion!)

– Die Eiweißproduktion kann bestimmt nicht von den ökologischen Vorrangflächen abhängig gemacht werden. Das müsste man auf eine breitere Basis stellen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das muss man dem Staatssekretär noch mal erklären!)

Bei der Glyphosat-Zulassung sprechen wir auf EU-Ebene mittlerweile nicht mehr von 15 Jahren, sondern nur mehr von 10 Jahren, und es ist eine Einschränkung der Anwendung in der Nähe von Spielplätzen und Parks geplant. Wir haben dem Herrn Minister schon vor langer Zeit vorgetragen, dass man dieses Mittel auf kommunaler Ebene verbieten kann. Man kann es für die privaten Anwender verbieten. Es muss wirklich nicht sein, dass jeder Schrebergärtner mit Glyphosat arbeitet. Das gilt auch für die Bahn innerorts. Wir haben die Vorschläge gemacht. Vom Ministerium ist auf diese Vorschläge nicht eingegangen worden, obwohl andere Länder wie zum Beispiel die Niederlande – die sind bekanntlich auch in der EU – es bereits so machen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Monsanto verkauft neuerdings sein Mittel Roundup, das eigentlich das Glyphosat-Urmittel war, sogar ohne Glyphosat. Es geht also anscheinend. Es ist zwar ein sehr hoher Preis, der jetzt für Essig verlangt wird, aber wenn man auf dem richtigen Weg ist, ist das nicht verkehrt.

Dem, dass die Wissenschaft bei Glyphosat zu einem einstimmigen Ergebnis gekommen ist, kann ich nicht zustimmen, weil das Krebsforschungsinstitut der WHO – da sind bestimmt renommierte Wissenschaftler – ein anderes Ergebnis erzielt hat. Gleichzeitig muss man sagen: Wenn Studien nicht veröffentlicht werden, dann schränkt man die Wissenschaft ein;

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

denn ein Wissenschaftler kann nur mit veröffentlichten Studien arbeiten. Was hier gemacht wird, das ist – das sage ich, auch wenn ich „nur“ Geisteswissenschaftlerin bin – eine Einschränkung der Wissenschaft; denn wenn die Quellen nicht vorliegen, kann man nicht bewerten, ob das, was hier gemacht wurde, stimmt oder nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nun zu einem Punkt, der bei Pflanzenschutzmitteldiskussionen auf keinen Fall fehlen darf, und das ist unsere Kritik auch an dem Antrag der Grünen. Man hat das Zulassungsproblem, das wir in Deutschland mittlerweile haben, nicht bedacht. Wenn wir neue Wirkstoffe und Alternativen wollen, dann brauchen wir auch eine gute Zulassungsquote. Die ist bei uns momentan sehr schlecht. Wir haben ein EU-Audit vom Jahr 2016. Bei uns liegt die Zahl der benötigten Tage für eine Zulassung bei 757. Vorgegeben von der EU sind eigentlich 120 Tage. Das schränkt natürlich viel ein.

Die Erklärung war von der Presse und der Wirtschaft sowie unserem Koalitionspartner schnell gefunden: Das UBA, also das Umweltbundesamt, ist schuld. – Nur: Diese Erklärung greift etwas zu kurz; denn erhebliche Verfristungen entstehen auch in anderen Behörden. Die Hälfte der Verfristungen entsteht zum Beispiel beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Tatsächliche Ursache für die Verzögerung sind eher die hohen Antragszahlen. Die meisten Firmen versuchen eben, ihre Wirkstoffe in Deutschland zuzulassen, weil wir hier sehr strenge Kriterien haben. Deswegen ist eine Zulassung in Deutschland in diesem System die sichere Gewähr dafür, dass ein Wirkstoff auch in anderen Ländern zugelassen wird.

Wir haben ständig wachsende Anforderungen, die ja auch irgendwo ihre Berechtigung haben, die aber natürlich die Zulassung verzögern. Oft werden auch die Auflagen von der federführenden Behörde, in diesem Fall dem BVL, nicht akzeptiert, zum Beispiel wenn sie vom UBA kommen. Die SPD sieht hier dringenden Handlungsbedarf. Die Zulassungsverfahren müssen auf jeden Fall verbessert werden. Wir brauchen mit Blick auf das UBA die Beibehaltung der Einvernehmensfunktion. Wir brauchen aber auch eine Bündelung der Untersuchungen bei den zuständigen Behörden, und wir brauchen mehr Personal, nicht nur beim UBA, sondern bei allen Behörden, die mit diesem Thema befasst sind.

Die Anträge der Grünen enthalten viele Forderungen, die die SPD-Bundestagsfraktion als richtig und wichtig einschätzt. Aber wir werden den Anträgen trotzdem nicht zustimmen.

(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wundert mich jetzt gar nicht!)

Das Problem der Zulassung – es fehlt in dem Antrag – habe ich bereits genannt.

(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hättet ihr halt einen Zusatzantrag gestellt!)

Außerdem können wir bei Glyphosat nicht sofort den Hebel umlegen. Vielmehr brauchen wir einen Ausstiegsplan. Die Landwirte müssen Verlässlichkeit haben. Im Vorfeld muss natürlich auch eine bessere Beratung stattfinden. Wir haben gleichzeitig einige der Forderungen, die hier gestellt wurden, bereits berücksichtigt. Das betrifft zum Beispiel die Thematik der Neonikotinoide oder den Nationalen Aktionsplan zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln, der ausgebaut und weiterentwickelt werden muss. Auf Drängen der SPD wurden die Haushaltsmittel für die Forschung zum integrierten Pflanzenschutz 2017 bereits erhöht, genauso wie auf Drängen der SPD auch die Forschungsmittel für den Ökolandbau im Haushalt erhöht wurden.

Ich sage herzlichen Dank und hoffe, dass wir hier weiterhin auf einem guten Weg sein werden.

(Beifall bei der SPD)

Ingrid Pahlmann hat als nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7122695
Wahlperiode 18
Sitzung 240
Tagesordnungspunkt Pestizidreduktion in der Landwirtschaft
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