Waltraud WolffSPD - Abschaffung der sachgrundlosen Befristung
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Bürgerliche Gesetzbuch ist kompromisslos und eindeutig: Die Probezeit eines Arbeitsverhältnisses dauert längstens sechs Monate. Ebenso eindeutig ist das Kündigungsschutzgesetz: Nach sechs Monaten gelten die festgelegten Schutzvorschriften. – Meine Damen und Herren, das ist Gesetz in Deutschland.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
In der Praxis sieht das anders aus. Wir haben es heute schon oft genug gehört: 42 Prozent der neuen Arbeitsverträge 2015 waren befristet – die Mehrzahl davon ohne sachliche Begründung. Wenn man nachfragt, erfährt man: Die wichtigste Begründung für eine Befristung von Arbeitsverhältnissen – so heißt es auch im Kurzbericht 5/2016 des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung – ist – man höre und staune – die Erprobung neuer Mitarbeiter. Genauso eindeutig wie das Gesetz ist, ist in der Praxis die Umgehung.
Die Linke schlägt in ihrem Entwurf vor, die sachgrundlose Befristung abzuschaffen. Das ist auch eine Forderung, die die SPD hat, und sie steht auch im Entwurf unseres Wahlprogramms. Denn für uns ist eines ganz klar: So berechtigt es ist, eine Vertretung für eine Elternzeit befristet zu beschäftigen, so unberechtigt ist es, Befristungen dazu zu nutzen, Arbeitnehmerrechte auszuhebeln. Das wollen wir beenden.
(Beifall bei der SPD)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, seit 19 Jahren bin ich Mitglied des Deutschen Bundestages, und in dieser Zeit habe ich Situationen wie heute immer wieder mal erlebt: Inhaltlich gibt es Übereinstimmungen mit der Opposition.
Frau Kollegin, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Behrens von der Fraktion Die Linke zu?
Aber ja, gerne.
Vielen Dank für die Möglichkeit, die Zwischenfrage zu stellen. – Mir geht es um ein konkretes Problem. Wir haben uns seit Jahren mit der Umstrukturierung, mit der sogenannten Reform der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung beschäftigt. Wir wissen, dass heute immer noch weit über Bedarf ausgebildet wird – alles klar, kein Problem; man wird nicht alle übernehmen können. Aber: Die, die übernommen werden, werden befristet übernommen. Warum ist es in dieser Bundesbehörde so, dass befristet übernommen wird?
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da ist sie doch nicht verantwortlich! – Dagmar Schmidt [Wetzlar] [SPD]: Wie wäre es mit einer Regierungsbefragung?)
Vielen Dank für diese Frage. – Ich bin nicht die Bundesregierung,
(Beifall bei der SPD)
die diese Frage hier sicherlich hätte beantworten können, wenn Sie sie in der Befragung der Bundesregierung gestellt hätten. Ich bin auch nicht zuständig für die Bundesbehörde der Schifffahrtsverwaltung. Aber: Wenn Sie diese Debatte verfolgt haben, Kollege Behrens, dann wissen Sie: Eines ist ganz deutlich geworden: Eingeführt worden ist die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung vor Jahren von Schwarz-Gelb.
(Beifall bei der SPD)
Wir, die SPD, haben seit langer Zeit in diesem Haus gemeinsam mit der Opposition festgehalten, dass das ein Ausmaß angenommen hat, das wir einfach nicht mehr tragen können.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Wir wollen, dass auch unser Koalitionspartner diese Situation erkennt. Vielen Dank für Ihre Frage. Eine andere Antwort kann ich Ihnen nicht geben.
(Beifall bei der SPD)
Ich war dabei, zu sagen, dass wir als SPD Teil dieser Koalition sind. Wenn die Linke das immer und immer wieder auf die Tagesordnung bringt, muss man auch einmal feststellen, dass der deutsche Parlamentarismus keine wechselnden Mehrheiten vorsieht. Das hat keine Tradition in Deutschland. Wir haben Koalitionen, und da verspricht man sich am Anfang in einem Vertrag, was man umsetzen will und was nicht.
(Beifall bei der SPD)
Dieser Vorschlag hat in der Koalition keine Mehrheit gefunden. Das kann ich persönlich bedauern, aber Fakt ist: Es gibt keine Mehrheit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines ist doch klar: Nur gemeinsam kann man Ziele erreichen, und wechselnde Mehrheiten gibt es, wie gesagt, nicht. Deshalb diskutieren wir ja auch lange und ausführlich und beschließen dann mehrheitlich. Aus diesem Grund werden wir natürlich auch dem Antrag der Linken nicht zustimmen können, auch wenn wir ihn in der Sache nachvollziehen können. Wir tun uns doch alle immer wieder einmal schwer mit Entscheidungen, egal ob das in Koalitionen ist, ob das in der Fraktion ist, ob das in Arbeitsgruppen ist. Wir haben nicht immer alle die gleiche Meinung. Das geht uns doch allen so. Vielleicht war der eine oder andere Fraktionsvorsitzende, den ich einmal hatte, der Meinung, dass ich das Recht, meine Gewissensfreiheit auszuüben, exzessiv genutzt habe. Ich sehe das überhaupt nicht so. Ich wollte mir an dieser Stelle sozialdemokratisch treu bleiben. Fakt ist doch: Es geht nicht immer nur um die Einzelfrage, sondern es geht auch um die Richtung. Die Richtung muss stimmen, und in dieser Legislaturperiode hat mit Blick auf Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik die Richtung doch gestimmt.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Karl Schiewerling [CDU/CSU])
Wir haben zwar die sachgrundlose Befristung nicht abgeschafft, aber wir haben den Mindestlohn eingeführt.
(Beifall der Abg. Dagmar Schmidt [Wetzlar] [SPD])
Wir haben Verbesserungen bei Leiharbeit und Werkverträgen hinbekommen. Wir haben in dieser Legislatur eine rentenpolitische Arbeit geleistet, die ihresgleichen sucht.
Frau Kollegin.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Wir haben auch das Bundesteilhabegesetz beschlossen. Das hätte man in einer anderen Konstellation als einer Großen Koalition nicht beschließen können, weil es ein Systemwechsel für Menschen mit Behinderung ist. Vor diesem Hintergrund sage ich zum Schluss dieser letzten Rede hier im Deutschen Bundestag für mich ganz selbstbewusst: Die Richtung hat gestimmt. Damit kann ich mich dann auch guten Gewissens hier verabschieden.
Das ist meine letzte Rede; ich habe es eben schon gesagt. Ich wünsche dem zukünftigen Bundestag, dass es eine gute Diskussionskultur gibt, dass man aufeinander hört und dass er gute Entscheidungen im Interesse der Menschen in unserem Land trifft.
Vielen herzlichen Dank.
(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei der CDU/CSU, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Die Abgeordneten der SPD erheben sich)
Liebe Kollegin Wolff, auch Ihnen herzlichen Dank für 19 Jahre – 19 Jahre für die Menschen. Den Appell, den sie bezüglich einer guten Diskussionskultur an uns gerichtet haben, werden wir uns zu Herzen nehmen. Ich wünsche Ihnen alles Gute. Sie haben Ihre Richtung jetzt bestimmt. Für diese Zeit wünsche ich Ihnen viel Erfolg. Herzlichen Dank!
(Beifall)
Als Nächstes erteile ich das Wort der Kollegin Katja Mast für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Source | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Cite as | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Electoral Period | 18 |
Session | 241 |
Agenda Item | Abschaffung der sachgrundlosen Befristung |