23.06.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 241 / Tagesordnungspunkt 32

Andreas SchwarzSPD - Bericht des 4. Untersuchungsausschusses (cum-ex)

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der große französische Romancier Émile Zola beschreibt in seinem im Jahr 1891 veröffentlichten Roman Das Geld die Folgen hemmungsloser Gier und Habsucht in der Finanzindustrie. Der Roman handelt von dem Treiben seiner Hauptfigur Aristide Saccard, einem windigen und betrügerischen Spekulanten, der zunächst sagenhaften Reichtum erwirbt, am Ende aber alles verliert. Der Roman ist 125 Jahre alt, an Aktualität hat er aber nichts eingebüßt; aber dazu später mehr.

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das können Sie in Ihr Poesiealbum schreiben!)

Hemmungslose Gier ist nicht nur der Antrieb von Aristide Saccard, sie ist auch der Antrieb der für die Cum/Ex-Betrügereien Verantwortlichen. Mit der Erfindung einer angeblichen Gesetzeslücke ließ man sich die zuvor einmal gezahlte Kapitalertragsteuer gleich mehrfach erstatten bzw. anrechnen. Das ist illegal. Das haben sowohl das Gutachten von Professor Spengel für den 4. Untersuchungsausschuss als auch die Expertenanhörung zweifelsfrei ergeben. Es bestand nämlich zu keinem Zeitpunkt eine Gesetzeslücke. Es bedurfte vielmehr krimineller Energie und einer gehörigen Portion Skrupellosigkeit, um solche Geschäfte zum Schaden der Allgemeinheit durchzuführen. Ein Beamter des BMF hat es in seiner Befragung vor dem Ausschuss auf den Punkt gebracht: Das ist organisierte Kriminalität – Punkt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, für uns ist durch die Ausschussarbeit erwiesen, dass es ein Zusammenwirken von verschiedenen Vertretern der Finanzindustrie mit dem Ziel der Ausplünderung des Staates gegeben hat. Es ist evident, dass dieses System nur funktionieren konnte, wenn wenige Leute zeitgleich agiert haben. Wir reden also von schwerer bandenmäßiger Steuerhinterziehung. Dieses Netzwerk, bestehend aus Banken, Beratungsfirmen, Anwälten, Wissenschaftlern und Börsenhändlern, baute seinen Geschäftserfolg auf einer Erfindung, einer angeblichen Gesetzeslücke, die niemals existierte, auf. Um diese Mär zu verbreiten, wurden Wissenschaftler engagiert, die mit ihren Veröffentlichungen versuchten, die Rechtsmeinung zugunsten ihrer abstrusen Rechtskonstruktionen zu drehen. Ich muss zugeben, dass mich das Engagement einiger Wissenschaftler in diesem ganzen Cum/Ex-Komplex ganz besonders empört. Da war so manch beamteter Professor offenbar nicht genug ausgelastet mit Forschung und Lehre.

Als Blaupause für die Aktivierung publizistischer Helfershelfer für eigene Zwecke könnte wiederum Émile Zolas Roman gedient haben; denn auch Saccard überlegt, wie er die Machenschaften seiner Bank in ein besseres Licht rücken kann. Er kommt auf die Idee, von den Gewinnen seiner Geschäfte mehrere notleidende Zeitungen aufzukaufen, um so die öffentliche Meinung bezüglich der Geschäfte seiner Bank in seine Richtung zu lenken. Das war scheinbar bereits vor 125 Jahren im Finanzwesen gängige Praxis.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man die Kommentare und Veröffentlichungen der letzten Tage verfolgt hat, konnte man den Eindruck gewinnen, dass die Schuldfrage geklärt ist und die Schuld beim Staat verortet wird. Die Schuldigen sind aber die Netzwerke der Finanzindustrie, die massiv Steuern zulasten der Allgemeinheit hinterzogen haben. Sie tragen die Verantwortung für die Cum/Ex-Geschäfte und sonst niemand.

(Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])

Ladendiebstahl ist auch verboten. Trotzdem wird geklaut. Dafür ist aber nicht der Ladenbesitzer verantwortlich zu machen, sondern der Dieb. Hier werden scheinbar Verantwortlichkeiten verschoben, und das kann man so nicht akzeptieren.

Gegenwärtig arbeiten die Ermittlungsbehörden auf Hochtouren daran, den Cum/Ex-Sumpf trockenzulegen. Bundesweit laufen Dutzende Ermittlungsverfahren gegen Beschuldigte, mit weiteren wird gerechnet.

In Émile Zolas Roman endet die Geschichte tragisch: Die hemmungslose Gier hat am Ende alles niedergerissen. Der schöne Schein fällt in sich zusammen. Not und Elend der Anleger sind die Folge. – Auch in unserem Fall, Cum/Ex, gibt es Verlierer: uns alle, den Staat und alle seine ehrlichen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Aber das hat die kriminellen Netzwerke nicht tangiert, geschweige denn von ihren Betrügereien abgehalten. Die Aussagen eines Steuerrechtsexperten vor dem Untersuchungsausschuss sprechen Bände. Auf die bohrenden Nachfragen des Kollegen Schick, ob man sich denn Gedanken darüber gemacht habe, dass die Rendite dieser Geschäfte von dem Geld ehrlicher Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufgebracht wird, antwortete er – ich zitiere –:

Es ist diskutiert worden, und es ist hingenommen worden, ja.

Die Zeit zitiert aus einem Meeting von Berger mit Bankern wie folgt – ich zitiere –:

Wer sich nicht damit identifizieren kann, dass in Deutschland weniger Kindergärten gebaut werden, weil wir solche Geschäfte machen, der ist hier falsch.

Diese beiden Zitate veranschaulichen die moralische Verkommenheit und die Skrupellosigkeit dieser Cum/Ex-Netzwerke.

Darüber, dass Schaden entstanden ist, sind wir uns alle einig; aber niemand kann ihn gegenwärtig seriös auf Heller und Pfennig beziffern. Umso wichtiger ist, dass der Staat nun das ergaunerte Geld wieder zurückholt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Roman kann sich Saccard einer mehrjährigen Haftstrafe zwar gerade noch so eben entziehen, am Ende aber ist der Preis, den er zu zahlen hat, die Flucht ins Exil. Schon damals stellte offenbar die Verlegung des Wohnsitzes ins Ausland eine mögliche Folge der Verstrickung in kriminelle Geschäfte dar. Dieser Roman ist wirklich erschreckend aktuell. Saccard verliert zwar alles und verlässt seine Heimat; geläutert ist er aber keineswegs. Lapidar heißt es – Zitat –: „... das liegt ihm im Blut.“ Da gibt es Parallelen, wenn man an Hanno Berger denkt, der mittlerweile im Exil in der Schweiz lebt, nicht in den Ausschuss kommen und auch nicht aussagen wollte. Man kann nur hoffen, dass sich in der Causa Cum/Ex die Betroffenen besinnen und reinen Tisch machen. Es gibt Bankhäuser, die sich im Zuge der Ermittlungen um Aufklärung bemühen und teilweise bereits Einigungen mit den Strafverfolgungsbehörden erzielt haben. Freilich geschah das nur auf öffentlichen Druck; das gehört sicherlich zur Wahrheit dazu.

Ein Skandal allererster Güte bleibt, dass die Commerzbank, die sich im Jahre 2009 vom Staat mit über 18 Milliarden Euro retten ließ, über Jahre hinweg selbst Cum/Ex-Geschäfte betrieben hat, den Staat also mit ausgeplündert hat, der sie zuvor gerettet hat. Da fasst man sich an den Kopf. Wie war das noch mal mit Moral, Skrupel und Demut? Ganz ehrlich, die Skepsis hinsichtlich der Läuterung diverser Akteure in der Finanzindustrie überwiegt. Demut scheint kein durchlaufender Posten in dieser Branche zu sein, wie wir bei diversen Befragungen in den Ausschusssitzungen unüberhörbar vernehmen konnten.

Oder mit den Worten von Immanuel Kant:

Es ist niemals zu spät, vernünftig und weise zu werden; es ist ... schwerer, wenn die Einsicht spät kommt ...

Eine kleine Ergänzung möge Herr Kant mir nachsehen: Es wird auch teurer, wenn man lange braucht.

Zum Abschluss möchte ich ein herzliches Dankeschön sagen: an das Ausschusssekretariat für seinen unermüdlichen Einsatz, an meine Arbeitsgruppe, die sehr viel lesen musste, und an die Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen und deren Mitarbeiter für das gute Miteinander. Zu guter Letzt danke ich den Zeugen für die gewonnenen Einsichten. Das gilt besonders für diejenigen, die im Ausschuss nichts gesagt haben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Fritz Güntzler hat jetzt für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7123101
Wahlperiode 18
Sitzung 241
Tagesordnungspunkt Bericht des 4. Untersuchungsausschusses (cum-ex)
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