23.06.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 241 / Tagesordnungspunkt 33

Rudolf HenkeCDU/CSU - Suizidprävention

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren!

Sechzehn Jahre jung – gestorben an der Härte der Welt. Als sie von seiner Beerdigung kamen, schwiegen sie betroffen. Vater und Mutter weinten bitterlich. Ihr Sohn hatte sich das Leben genommen. „ Das ist schon der Dritte in diesem Jahr“, sagte der Pfarrer. Niemand fragte, wie groß die Verzweiflung und die Einsamkeit der Jugend noch sein müsse, um sie zu bemerken. Das Leben nahm weiter seinen Lauf. Es änderte sich nichts. Es änderte sich keiner.

Dieses Zitat eines unbekannten Autors findet man bei den Materialien des Teams „Ökumenischer Kreuzweg der Jugend“.

Machen wir uns nichts vor: Das Leben ist nicht so, dass die Politik den Menschen versprechen kann: Ihr seid von allen Lebenskrisen verschont. – Freunde sterben, Ehepartner sterben, Lebensentwürfe gehen zu Bruch. Menschen verlieren ihren Arbeitsplatz, Menschen verlieren ihre Gesundheit, Menschen verlieren ihre Wohnung, Menschen verlieren ihre Partnerin, ihren Partner, Menschen verlieren jeden, der sie ansieht, jedes Ansehen.

Auf den Mitmenschen in einer solchen Situation zuzugehen, ist eine Aufgabe, die nicht wir hier im Deutschen Bundestag lösen können. Die werden wir nur dadurch lösen können, dass wir darüber sprechen, dass jeder einen braucht, der bereit ist, ihm zu begegnen. Das ist, glaube ich, die Botschaft, die man formulieren muss.

Wenn es dann gelingt, diejenigen, die in den Hilfesystemen als Ehrenamtliche, als Freiwillige, als Nächste arbeiten, dadurch zu stärken, dass man besser untersucht, besser erforscht, welche Formen von Suizidalität im Einzelnen unter welchen Bedingungen am besten verhütet werden können, dann hat man auch der Prävention sehr geholfen, und es ist gut, dass wir uns heute darum bemühen, dies gemeinsam zu entwickeln.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In Deutschland sind jährlich rund 10 000 Todesfälle auf einen vollendeten Suizid zurückzuführen. Schätzungen gehen davon aus, dass die Zahl der Suizidversuche etwa zehnmal so hoch liegt. Zwar haben sich die Zahlen seit 2005 nicht maßgeblich verändert, aber die Zahl der tatsächlich durchgeführten Suizide in Deutschland hat in den letzten 35 Jahren doch deutlich abgenommen. Zu Beginn der 80er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts lag sie noch bei fast 19 000 pro Jahr, Anfang der 90er-Jahre bei rund 14 000 jährlich. Jetzt, wie gesagt, pendelt sie um rund 10 000 jährlich.

Dennoch gilt: Jeder Suizidversuch und erst recht jeder Suizid ist einer zu viel. Weitere Anstrengungen zur Vermeidung von Suiziden und Suizidversuchen müssen unternommen werden, um betroffenen Menschen und deren Angehörigen frühzeitig Auswege in Form von Behandlung, Unterstützung, etwa durch die Vermittlung in eine Therapie oder Selbsthilfegruppe, und Prävention anbieten zu können.

Zu den Erfordernissen des Handelns äußert sich der gemeinsam von CDU/CSU, SPD und Grünen vorgelegte Antrag in einer Vielzahl von Punkten und Positionen. Er führt Dinge auf, die noch zu tun sind. Er führt Dinge auf, bei denen wir froh sind, dass es dazu schon lange entsprechende Programme gibt. Ich verweise auf das Nationale Suizidpräventionsprogramm aus dem Jahr 2002.

Lassen Sie mich neben der Werbung für die Annahme dieses Antrags noch einen anderen Punkt ansprechen, der ebenfalls im Zusammenhang mit diesem Antrag steht. Wir haben nicht ohne Kontroverse, aber mit großer Mehrheit im Jahr 2015 in das Gesetz geschrieben:

(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.

Das heißt, auch die Hilfe zum Suizid ist straffrei möglich.

Wir haben im März ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts erlebt, wonach der Staat Patienten in extremen Ausnahmefällen den Zugang zu Medikamenten mit tödlicher Wirkung nicht verwehren dürfe, da dies ein Eingriff in die Grundrechte sei, selbstbestimmt darüber zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt das Leben enden soll. Dabei, so das Gericht, beschränkt sich der Grundrechtsschutz – Zitat – „nicht auf Fälle, in denen infolge des Endstadiums einer tödlichen Krankheit der Sterbeprozess bereits begonnen hat oder unmittelbar bevorsteht“.

Die Bewertung, ob ein solcher Ausnahmefall besteht oder nicht, soll nach Meinung des Gerichtes das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte durchführen, also eine staatliche Behörde, deren eigentliche Aufgabe die Risikobewertung von Arzneimitteln und deren Zulassung ist. Wenn nun das Selbstbestimmungsrecht so weit geht, dass der Staat bei der Frage „Wie nehme ich mir das Leben?“ als Agent, als Handlanger dienen muss, dann resultieren daraus meines Erachtens keine Prävention von Suizid oder bestmögliche Behandlung von Suizidgedanken, sondern die Beförderung von Suizid.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deswegen ist es gut, dass wir heute einen weiteren Beitrag dazu leisten, dass ein gesellschaftliches Klima entsteht, in dem weder Krankheiten noch Bilanzsituationen zu einer Ausgrenzung von Menschen führen. Wir wollen auf allen Ebenen dafür sorgen, dass weniger Menschen den Weg in den vorzeitigen Tod als Ausweg sehen. Staatliche Unterstützung für die Durchführung des Suizids steht dazu in krassem Gegensatz.

(Beifall der Abg. Maria Michalk [CDU/CSU])

Nicht der vorzeitige Tod ist unser Ziel, sondern eine Hilfe, die das Ja zum Leben leichter möglich macht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Herr Kollege.

Ich komme zum Schluss. – Dann kann der Gedanke aus dem Team „Ökumenischer Kreuzweg der Jugend“ vielleicht auch irgendwann einmal mit den Sätzen enden: Es änderte sich viel. Es änderten sich viele.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt Birgit Wöllert das Wort.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7123112
Wahlperiode 18
Sitzung 241
Tagesordnungspunkt Suizidprävention
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