28.06.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 242 / Tagesordnungspunkt 6

Helga Kühn-MengelSPD - Gesundheits- und Pflegeversicherung

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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher! Frau Kollegin Michalk, wir sind zwar Koalitionspartner, aber ein bisschen kritisch kommentieren muss ich das schon. Wir haben ein sehr gutes Gesundheitssystem, aber ich glaube nicht, dass wir an der Spitze liegen. Andere Länder sind in Sachen Qualität und auch bei der Lebenserwartung weiter als wir. Wir investieren sehr viel in unser System, aber nicht überall sind – trotz aller Anstrengungen, die wir unternommen haben – die Resultate entsprechend.

Wenn Sie sagen: „Wir haben viele Reserven und Innovationen“, dann dazu Folgendes: Die Reserven sind in den letzten Jahren nicht zuletzt durch die hinter mir sitzende Präsidentin in Zeiten, als sie noch Gesundheitsministerin war, angelegt worden, und dafür hat sie sehr viel Kritik bekommen. Innovationen – das Stichwort ist auch gefallen – verbinde ich, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem System der gesetzlichen Krankenversicherung.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Birgit Wöllert [DIE LINKE] und Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Kein System hat so viel für Qualität, für Patientenschutz und für Innovation getan wie das gesetzliche. Hier muss man bei der Wahrheit bleiben.

Es wird seit vielen Jahren diskutiert, ob es sinnvoll ist – Kollegin Klein-Schmeink erwähnte es –, zwei Versicherungssysteme nebeneinander vorzuhalten. Ein Versicherungssystem mit einer Vollversicherung auch im privaten Bereich gibt es nur bei uns. Die Niederlande haben ihres vor einiger Zeit abgeschafft, und zwar, so kann man sagen, mit gutem Erfolg und großer Akzeptanz.

Die Bürgerversicherung ist deshalb ein Thema, weil wir im Zusammenhang mit dem Gesundheitssystem immer über die Finanzierung, über Strukturen, über Versorgung, über Gerechtigkeit und nicht zuletzt auch über Zukunftsfähigkeit reden müssen. Es gab in den letzten Jahren auch Entscheidungen, die vielleicht, wie die Mediziner immer sagen, suboptimal waren, die nämlich unter dem Vorwand getroffen wurden, das System für die Zukunft abzufedern. Das führte nicht nur zur Einführung bzw. Erhöhung von Zuzahlungen und zur Ausgliederung von Leistungen, sondern auch zu einem Sonderbeitrag für die Versicherten in Höhe von 0,9 Prozentpunkten. Mit dem GKV-Finanzierungsgesetz im Jahr 2010 wurde der Arbeitgeberbeitrag schließlich bei 7,3 Prozent festgeschrieben.

Was bedeutet diese Festschreibung? Alle Gesetze, die wir hier in dieser Legislatur erarbeitet und beschlossen haben, sind wirklich gute Instrumente. Aber die höheren Kosten, die sich daraus ergeben, werden nur noch von den gesetzlich Versicherten finanziert. Ich nenne einige Beispiele: die Verbesserung in der ambulanten und stationären Versorgung, die strukturellen, finanziellen und personellen Verbesserungen in der Pflege, die Verbesserung in der Prävention. Also, die weniger Einkommensstarken zahlen die Gesundheitsförderung und die Verbesserungen bei der Behandlung gesundheitlicher Beeinträchtigungen ganz allein.

Die Verbesserung in der Hospizarbeit, das E-Health-­Gesetz, die Überprüfung der Qualität, die wir Gott sei Dank auf den Weg gebracht haben, Innovationsfonds, Versorgungsforschung – das alles sind wichtige Sachen, die in den kommenden Jahren zu weiter steigenden Belastungen führen werden. Nicht nur die Einseitigkeit wird als ungerecht empfunden, sondern auch die Tatsache – davon bin ich wie die gesamte SPD fest überzeugt –, dass unter diesen Umständen für die Arbeitgeber keine Motivation besteht, gute Strukturen im Gesundheitssystem weiter zu verbessern, auf die Qualität zu achten oder Beitragssätze stabil zu halten.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen sagen auch wir: Das Ziel ist die paritätische Bürgerversicherung. Parität bedeutet, Arbeitgeber und Versicherte sollen den gleichen Anteil am Versicherungsbeitrag zahlen. Im Übrigen muss man sagen, dass eine Erhöhung des Arbeitgeberanteils von jetzt 7,3 Prozent auf paritätische 7,85 Prozent nicht den Untergang des Landes bewirken würde. Es gibt dazu ganz eindeutige Zahlen. Eine Handwerkerstunde kostet im Durchschnitt 56,73 Euro. Hier würde die Parität zu einer Erhöhung von 8 Cent führen. Das hat nicht die deutsche Sozialdemokratie berechnet, sondern die Handwerkskammer in der Region Stuttgart. Das sind wirklich interessante Zahlen.

Die Höhe der Beitragsbemessungsgrenze ist immer wieder in der Diskussion. Sie ist in der Krankenversicherung deutlich niedriger als in der Rentenversicherung. Deswegen sagen wir: Es wäre ein Zeichen von Gerechtigkeit, hier moderat anzugleichen. Das würde viel bringen und auch dazu führen, dass wieder mehr Menschen eine bessere Versorgung erleben. Es wird als ungerecht empfunden, dass nur bis zu dieser Beitragsbemessungsgrenze, die bei 4 237,50 Euro liegt, verbeitragt wird. Diejenigen, die darüber hinaus verdienen, also die mit den starken Schultern, zahlen relativ gesehen weniger. Das kann man ändern.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ökonomisch gesehen ist das Nebeneinander von privater und gesetzlicher Krankenversicherung nicht begründbar. Ich sage immer: Die Privatversicherten können auch Leistungen ausschließen und sich sozusagen die Rosinen herauspicken; Cherry Picking heißt das.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt nicht, das ist doch falsch!)

– Natürlich machen die das. Ich kann Ihnen viele Briefe zeigen. Man muss sich auch einmal anschauen, was dort überflüssigerweise an Eingriffen erfolgt.

Wenn die private Versicherung nicht so gut ist wie die gesetzliche, fragt man sich: Warum muss sie es geben? Wenn sie wirklich besser ist, muss man fragen: Warum haben es die anderen nicht auch?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7124891
Wahlperiode 18
Sitzung 242
Tagesordnungspunkt Gesundheits- und Pflegeversicherung
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